21. Mai 2020 · 
Wirtschaft

Die schwierige Suche nach einem, der die geliebte Firma übernehmen kann

Von Isabel Christian Die Zweifel kamen selbst dann noch, als Andreas Eberle längst zugesagt hatte. „Eine Firma zu übernehmen, das ist schon keine gewöhnliche Nummer“, sagt er. Denn 25 Jahre Fachkompetenz als Heizungsbauer sind plötzlich nebensächlich, wenn ein Businessplan erstellt werden muss, die Behörden zahlreiche Formulare ausgefüllt haben wollen und die Bank mit dem Finanzierungskonzept nicht zufrieden ist. Und alles muss abends nach Feierabend oder am Wochenende erledigt werden. „2017 war schon eine sehr aufreibende Zeit“, sagt Eberle. Sechs Jahre arbeitete er bei Behr Haustechnik in Wennigsen bei Hannover, als ihn sein Chef Thomas Behr 2014 fragte, ob er sein Stellvertreter werden wolle. Falls ihm mal was passiere, müsse es im Betrieb noch einen Meister geben, der die Betriebserlaubnis – Konzession genannt – besitzt. „Kannst den Laden auch später übernehmen“, hatte er dann hinzugefügt. Stellvertreter zu werden war für Eberle keine Frage, gern nahm er das Angebot an, sich auf der Meisterschule weiterzubilden. Doch selbst Chef werden? „Für die Entscheidung brauchte ich zwei Monate Bedenkzeit und viele Gespräche mit meiner Frau.“ Doch fünf Jahre später, nachdem er nun tatsächlich Geschäftsführer geworden ist, fühlt er sich wohl in seiner Rolle. „Es war absolut die richtige Entscheidung.“
Wir stellen immer öfter fest, dass die Menschen das Bedürfnis nach Selbstverantwortung und Selbstständigkeit verlernt haben. Sie befinden sich im Versorgungsmodus.
Für Thomas Behr war es ein Glück, dass er mit Andreas Eberle einen Mitarbeiter hatte, der fähig und willens war, das Familienunternehmen weiterzuführen. Denn immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen scheitern an der Nachfolgefrage. Dazu trägt zum einen der Fachkräftemangel bei, der die Auswahl geeigneter Kandidaten stetig schmälert. Aber auch die veränderte Wahrnehmung von Geschäftsführung spielt eine wichtige Rolle. „Wir stellen immer öfter fest, dass die Menschen das Bedürfnis nach Selbstverantwortung und Selbstständigkeit verlernt haben. Sie befinden sich im Versorgungsmodus“, sagt Peter Karst, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Hannover. Ein früher Feierabend sei vielen wichtiger als die eigene Unabhängigkeit. Unternehmern rät Karst deshalb, möglichst frühzeitig mit der Nachfolger-Suche zu beginnen. „Die Übergaben an Kinder werden immer seltener, deswegen sollte man sich gut im beruflichen Umfeld umschauen. Gibt es unter den Angestellten einen fähigen Kandidaten? Wie sieht es bei den Mitbewerbern aus? Oder hätte sogar ein Konkurrenzbetrieb Interesse, die Firma zu übernehmen?“ Hans-Ullrich Hauke wollte es anders machen als sein Vater. Denn dieser hatte sich nicht um einen Nachfolger oder einen Stellvertreter für seine Firma Elektro-Hauke in Steimbke bei Nienburg gekümmert. Als er mit 61 Jahren überraschend starb, musste sein Sohn, der damals gerade die Meisterschule besuchte, plötzlich die Firma führen. „In die Rolle bin ich schnell reingewachsen, schließlich bin ich mit dem Betrieb aufgewachsen“, sagt Hauke. Als jedoch sein eigenes Rentenalter langsam näher rückte, beschäftigte Hauke sich intensiv mit der Frage, wer denn mal auf ihn folgen würde. Denn er wollte nicht bis zum letzten Atemzug in der Firma arbeiten. „Meinen 60. Geburtstag hatte ich mir als Stichtag gesetzt. Da wollte ich aus der Firma aussteigen.“ Doch er wusste, dass seine beiden Töchter nicht übernehmen würden. Ein Nachfolger musste also gefunden und Schritt für Schritt an die Arbeit herangeführt werden. „Man muss früh damit anfangen. Zehn Jahre braucht es Vorlaufzeit, wenn die Übergabe vernünftig werden soll.“ https://soundcloud.com/user-59368422/wollen-wir-uns-nicht-mehr-die-hande-schmutzig-machen-herr-karst Heiko Weiglein hatte 1999 bei Haukes Firma als Elektroinstallateur angefangen, das Arbeitsamt hatte ihm die Stelle vermittelt. „Mein Chef und ich waren uns gleich sympathisch, als sich herausstellte, dass wir im gleichen Betrieb gelernt hatten“, sagt Weiglein. 2003 besuchte er die Meisterschule, schob später noch die Ausbildungen zum Betriebswirt und Fachplaner hinterher. „Die kaufmännische Ausbildung ist mittlerweile fast wichtiger als die technischen Fähigkeiten, denn der Papierkram im Handwerk hat extrem zugenommen“, sagt Weiglein. Schon vorher hatte Hauke ihn mal gefragt, ob er sich vorstellen könnte, den Betrieb mal zu übernehmen. „Damals habe ich Nein gesagt.“ Doch bei der Firma für Stromaggregate, bei der er nach der Ausbildung arbeitete, fühlte Weiglein sich nicht heimisch. Er überlegte, sich selbstständig zu machen. Doch dann kam sein früherer Chef noch einmal auf ihn zu. Wie übergibt man eine Firma richtig, wenn der Nachfolger feststeht? Vor dieser Frage standen sowohl Hans-Ullrich Hauke wie auch Thomas Behr. Antworten hat ihnen die Handwerkskammer gegeben. „Wir beraten zu allen Themen, die eine Firmenübergabe mit sich bringt. Zum Beispiel, wie Inhaber und Nachfolger einen Businessplan erstellen, wie sich die Übergaben finanzieren lässt, und worauf man rechtlich achten muss“, sagt Handwerkskammer-Chef Karst. „Mit unseren Juristen und Steuerberatern können wir den ganzen offiziellen Prozess quasi spiegeln, sodass Inhaber und Nachfolger genau wissen, was auf sie zukommt und was sie zu tun haben.“ Hauke und Weiglein etwa haben 2011 aus Elektro-Hauke eine GmbH gemacht und sich beide als Geschäftsführer eintragen lassen, bevor Weiglein das Unternehmen Anfang dieses Jahres komplett übernommen hat. „Die sieben Jahre habe ich auch gebraucht, um in die ganzen Aufgaben hineinzuwachsen“, sagt Weiglein. Auch für Hauke war die Zeit wichtig, um sich auf das Kommende einzustellen. „Ich habe früher fast jede Woche 80 Stunden gearbeitet. Das musste ich Schritt für Schritt reduzieren, denn von 80 Stunden auf Null wäre mir sicher nicht gut bekommen.“ Andreas Eberle ist von Behr angelernt worden, bevor er die Firma übertragen bekommen hat. „Aber ich kann ihn immer noch jederzeit um Rat fragen.“ Doch selbst wenn es einen Nachfolger gibt, kann die Übergabe noch scheitern. Eberle berichtet von einem Chef, der seinen Mitarbeitern eines Morgens auf dem Hof einen Fremden präsentiert hat, mit den Worten: „Ich ziehe mich zurück, das ist euer neuer Chef.“ „Die Firma gibt es mittlerweile nicht mehr“, sagt Eberle. Hauke weiß von einem Sanitärbetrieb, in dem sich Chef und Nachfolger im Übergabeprozess überworfen haben. „Der ,Kronprinz‘ hat sich ganz plötzlich selbstständig gemacht.“ Eberle und Hauke teilen die Ansicht, dass sich so etwas am besten verhindern lässt, wenn man sich intensiv um seine Mitarbeiter bemüht. „Die Mitarbeiter sind heutzutage das höchste Gut, sie zu hegen und zu pflegen ist der beste Weg, sich auch einen verlässlichen Nachfolger aufzubauen“, sagt Eberle. Und wenn in der Belegschaft sich keiner die Verantwortung aufbürden will, so hilft ein gutes Verhältnis zur Firma bei der Suche nach einem Nachfolger außerhalb der Firmenmauern immer noch weiter. „Zufriedene Mitarbeiter machen Werbung in eigener Sache“, sagt Hauke.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #096.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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