Ist ein aufgeblähter Verwaltungsapparat schuld, dass Niedersachsen zwar so viele Polizisten beschäftigt wie noch nie, aber die Dienststellen trotzdem über zu wenig Personal klagen? Diesen Eindruck hat der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Adasch. Kritische Hinweise kommen auch von der SPD und der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Die Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage von Adasch schlüsselt zwar nicht dezidiert auf, wie viele Polizeibeamte im Laufe der vergangenen Jahre in der Stabsarbeit eingesetzt wurden, doch das Ministerium räumt einen steigenden Verwaltungsaufwand bei der Polizei ein. Hat die Polizei zu viele Verwaltungskräfte in den Stäben? Es liege nicht daran, dass zu viele Köpfe in der Verwaltung eingesetzt sind, heißt es aus Gewerkschaftskreisen. „Es ist die Bürokratie in der Polizeiarbeit selbst, die stark abgespeckt werden muss“, sagt Alexander Zimbehl, Vorsitzender der DPolG. Polizisten sollten wieder ihre Arbeit machen können, ohne danach stundenlang vor dem Computer sitzen zu müssen und jeden Einsatz haarklein zu dokumentieren. Karsten Becker, polizeipolitischer Sprecher der SPD im Landtag, fordert zudem, den Alltag wieder stärker zu straffen. Die Polizei bekomme zunehmend Aufgaben aufgebürdet, für die sie eigentlich nicht zuständig ist.
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Ob Niedersachsen 3000 neue Polizeibeamte braucht, wie die CDU meint, oder die jetzigen rot-grünen Planungen von 1000 zusätzlichen Stellen ausreichend sind, darüber streiten derzeit Regierung und Opposition. In der CDU plädiert man für wesentlich mehr Stellen, als die Regierung schaffen will. „Es wird zwar eingestellt, aber in der Fläche kommt nichts an“, sagt der CDU-Abgeordnete Adasch. Obwohl Innenminister Boris Pistorius sage, es gebe in Niedersachsen so viele Polizisten wie noch nie. „Irgendwo müssen die doch sein“, sagt Adasch. Er ist deshalb überzeugt, dass die Stäbe der sechs Polizeidirektionen und der Zentralen Polizeidirektion so viele Kräfte in der Verwaltung binden, dass sich im normalen Einsatz- und Streifendienst ein Personalmangel ergibt. Hinweise darauf finden sich in der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage Adaschs. Die Aufgabenwahrnehmung der Polizei sei insgesamt zunehmend komplexer geworden, heißt es. Das gelte auch für die Arbeit in Stäben und Leitungsbereichen. Bei Demonstrationen etwa sei es immer öfter nötig, besondere Aufbauorganisationen zu bilden. Aber auch neue oder sich wandelnde Kriminalitätsphänomene wie Cyberkriminalität oder Kinderpornografie binden immer mehr Beamte. Dazu komme die kritische Beobachtung der Polizeiarbeit durch die Öffentlichkeit, die vor allem durch Onlinemedien forciert werde.
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Die Zunahme der Aufgaben bestätigt auch der DPolG-Vorsitzende Zimbehl, der den Kriminalermittlungsdienst im Polizeikommissariat Langenhagen in Hannover leitet. Er kritisiert jedoch, dass auch für kleine Einsätze im Polizeialltag eine umfangreiche Dokumentation nötig ist. Stundenlang müssten die Beamten Protokolle ausfüllen, wenn sie etwa von einem Einsatz von häuslicher Gewalt oder einem Diebstahl zurück sind. „Die Polizei muss sich juristisch absichern, das ist verständlich. Aber die Fülle der Formalitäten nimmt den Beamten die Zeit, sich bei den Bürgern auf der Straße präsent zu zeigen. Und das ist doch eine unserer Kernaufgaben.“ Bürokratische Gebilde wie die Beschwerdestelle gehören Zimbehls Ansicht nach ganz abgeschafft, weil sie überflüssig seien. „Wir hatten über Jahre ein funktionierendes Beschwerdemanagement. Jetzt haben wir ein Instrument für Menschen, die der Polizei allgemein gegenüber feindlich eingestellt sind.“
Eine Reform der Polizeiarbeit fordert auch der SPD-Abgeordnete Karsten Becker. Der Alltag im Streifendienst umfasse längst auch Aufgaben, die streng genommen gar nicht zum Aufgabenbereich der Beamten gehörten. Etwa die langwierige Aufnahme von Bagatellschäden nach Autounfällen auf Supermarktparkplätzen. „Das ist eigentlich ein Fall für die Versicherungen, aber nicht für die Polizei.“ Da die Bürger aber daran gewöhnt seien, in solchen Fällen die Polizei zu rufen, solle sie auch kommen. „Die Beamten sollten für solche Fälle ein Formblatt dabeihaben, auf dem sie die nur die Kontaktdaten der Unfallbeteiligten eintragen und sie dann der Gegenseite aushändigen.“ Eine Aufnahme in den Polizeicomputer solle es nicht mehr geben.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #122.