17. Dez. 2017 · 
Kommentar

Die Polizei darf sich nicht zur Gewalt hinreißen lassen

Darum geht es: Im Innenausschuss hat Niedersachsens Polizeipräsident Uwe Binias Auskunft zu dem Polizeieinsatz rund um den AfD-Parteitag am ersten Dezemberwochenende gegeben. Ein Kommentar von Isabel Christian. Der Einsatz des Wasserwerfers hatte besonders für Diskussionen gesorgt. Wie herzlos kann man sein, Demonstranten einer Sitzblockade bei Temperaturen um die null Grad mit Wasser zu bespritzen? Diese Frage beschäftigte nicht nur die Menschen, die am Hannover Congress Centrum (HCC) gegen den Bundesparteitag der AfD protestiert hatten, sondern später auch die Landespolitik. Lauscht man allerdings den Ausführungen von Polizeipräsident Uwe Binias über die Sicht der Polizei auf diesen Tag, lässt sich ein anderer Eindruck gewinnen. Die Polizei hat an diesem Tag nicht die Nerven verloren und die Demonstranten an der Schackstraße/Ecke Gneisenauer Straße mit massiver Gewalt verjagt. Sie musste die Straße räumen, um einen Weg für Rettungskräfte freizumachen, und hatte weder die Zeit noch die Beamten, um jeden Demonstranten einzeln von der Straße zu tragen. Also wählten die Einsatzleiter den Wasserwerfer. Binias zufolge wurden die Demonstranten fast eine halbe Stunde lang darüber informiert, dass der Wasserwerfer zum Einsatz kommen werde, wenn sie die Blockade nicht auflösten. Und als der kalte Regen schließlich niederging, hatte gut die Hälfte der Demonstranten schon den Rückzug angetreten. Interessant ist besonders die Antwort, die Binias auf die Nachfrage eines Abgeordneten gibt: Er erinnere sich nicht daran, wann der Wasserwerfer in Niedersachsen zum letzten Mal zum Einsatz gekommen ist. In seiner Zeit als Polizeipräsident jedenfalls nicht. Deshalb hat es eine gewisse Tragweite, wenn die niedersächsische Einsatzleitung sich für den Einsatz des Wasserwerfers entscheidet, noch dazu bei Kälte. Es ist ein Zeichen dafür, dass Niedersachsens Polizei seit Anfang Juli in einer Klemme steckt, wenn es um die Einsatzphilosophie bei Demonstrationen und insbesondere solchen mit linksideologischem Hintergrund geht. Nach Jahren, in denen die Begegnungen zwischen Polizei und Linksextremen selbst am geschichtsträchtigen 1. Mai auf kleinere Scharmützel beschränkt waren, hatte sich in der Politik der Glaube verfestigt, die legendären hannoverschen „Chaostage“ seien eine Episode aus der Vergangenheit. Doch beim G20-Gipfel haben die Autonomen in Hamburg daran erinnert, wozu sie noch fähig sind. Die hässlichen Bilder aus dem Schanzenviertel haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt und so manchen Politiker aufgerüttelt. Nun gilt im ganzen Land die Devise: Das darf sich auf keinen Fall wiederholen. Eine Polizei wie die in Niedersachsen spürt diese programmatische Kehrtwende im Umgang mit linken Demonstrationen stärker als die Polizei in anderen Bundesländern. Denn im Vergleich zeichnen sich Niedersachsens Polizisten meist dadurch aus, dass sie zurückhaltender agieren und länger warten, bevor sie Gewalt anwenden. Das liegt auch daran, dass sie in ihrer Ausbildung darauf trainiert werden, mehrere Rollen gleichzeitig einzunehmen. Sie sind Ordnungshüter, Sozialarbeiter und Streitschlichter in einem. Lieber ein Gespräch mehr führen als sich hinterher vor Gericht wiedersehen, ist die Devise. Auch die Führungskräfte der Polizei arbeiten nach diesem Grundsatz. Jetzt aber müssen sie einen Mittelweg finden aus Zurückhaltung und Kontrolle. Sie müssen den Bürgern weiterhin das Gefühl geben, sie nicht einschränken und gängeln zu wollen, gleichzeitig müssen sie mehr Härte gegenüber denen zeigen, die friedlichen Protest nicht von Krawall unterscheiden können. Binias hat diesen Druck, der auf der Polizei lastet, deutlich gemacht, als er sagte, die Polizei habe ihre Ziele bei dem Einsatz erreicht. Es habe in der Innenstadt von Hannover keine brennenden Autos, Barrikaden und Plünderungen gegeben. Allein die Wortwahl verrät, wie nervös die Innenpolitik derzeit ist, wenn es um Linksautonome geht. Beim AfD-Parteitag ist Niedersachsens Polizei der Spagat zwischen ihrer Appeasement-Politik und einer stärkeren Machtdemonstration gelungen. Doch der Parteitag war erst der Anfang. So schnell werden die Bilder aus Hamburg nicht in Vergessenheit geraten und mit der AfD in Bundestag und 13 Landesparlamenten bieten sich den Linksautonomen künftig eine Vielzahl von Anlässen, um für Unruhe zu sorgen. Niedersachsens Polizei darf sich aber auch in Zukunft nicht dazu hinreißen lassen, ihre bisherige Philosophie im Umgang mit linken Demonstrationen über Bord zu werfen, weil der harte Weg den schnelleren Erfolg verspricht. Denn genau diese Philosophie macht eine moderne Polizei aus. Und sie ist eine der wesentlichen Stärken, die diese Landespolizei hat. Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #225.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail