„Die Polizei braucht neue Wege, damit sie Terrorpläne frühzeitig aufdecken kann“
Friedo de Vries (54) ist seit vergangenem Mai neuer Präsident des Landeskriminalamtes in Niedersachsen. Im Interview mit dem Politikjournal Rundblick äußert er sich zu den veränderten Arbeitsbedingungen der Polizei, zum Neubau seiner Behörde in Hannover und zu der Frage, welche Aspekte die Polizei in Zukunft stärker berücksichtigen sollte.
Rundblick: Herr de Vries, die Gegner des neuen Polizeigesetzes behaupten, die Große Koalition in Niedersachsen wolle einen „Überwachungsstaat“ aufbauen. Was halten Sie davon?
de Vries: Mich ärgern solche pauschalen und absurden Vorwürfe. Dahinter steckt die Vorstellung, die Polizei sei übermächtig und wolle im großen Umfang die Bürger kontrollieren. Wozu? Welchen Sinn soll es haben, die Kommunikation von tausenden Menschen aufzuzeichnen und auszuwerten? Allein schon mit Blick auf die dazu erforderlichen Ressourcen sind diese Gedanken völlig abwegig. Die Kontrolle kann und soll sich auf wenige schwerwiegende Einzelfälle beschränken. Aber dort ist es dann auch richtig und nötig.
Rundblick: Was genau wollen Sie tun – und warum reichen die bisherigen Mittel nicht aus?
de Vries: Die Erscheinungsform des Terrorismus, beispielsweise von islamistischer Seite, hat sich verändert. Anschläge werden über Ländergrenzen hinweg geplant und vorbereitet. Außerdem unterhalten Terroristen sich in fremder Sprache und nicht mehr nur klassisch am Telefon. Dass wir Telefone seit mehr als 30 Jahren überwachen können, natürlich nur nach richterlicher Genehmigung, ist inzwischen allgemein akzeptiert. Aber die Chatprogramme, die Kriminelle häufig für Absprachen nutzen, können wir bisher nicht mitlesen – so nutzen terroristische Gruppen ganz bewusst abgeschottet und konspirativ Schlupflöcher, ohne dass die Polizei ihre kruden Absichten nachverfolgen kann. Wenn wir aber über die Quellen-TKÜ und die Onlinedurchsuchung die Möglichkeit erhalten, auch in solchen Bereichen die Kommunikation mitzuverfolgen – auch hier natürlich nur nach richterlicher Genehmigung -, kämen wir einen großen Schritt weiter im Kampf gegen den Terrorismus. Und das muss im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger sein.
Wir sind noch auf Fremdfirmen angewiesen. Ich halte es für nötig, auf Bundesebene die technischen Möglichkeiten der Polizei in Eigenregie entwerfen und ausbauen zu lassen.
Rundblick: Aber dazu müssten Sie auch auf Angebote für Trojaner zurückgreifen, die von privaten Firmen entwickelt wurden. Wie können Sie sicherstellen, dass keine Kooperation mit zweifelhaften Unternehmen eingehen müssen?
de Vries: Es gibt Verpflichtungen, Verträge und Kontrollen. Natürlich kann die Polizei nicht alles selbst entwickeln und programmieren, wir sind noch auf Fremdfirmen angewiesen. Ich halte es für nötig, auf Bundesebene die technischen Möglichkeiten der Polizei in Eigenregie entwerfen und ausbauen zu lassen. Ich denke, wir kommen künftig an diesem Weg auch nicht vorbei. Denn die Gesellschaft erwartet von der Polizei völlig zu Recht, dass sie drohenden Gefahren wirksam begegnen kann. Dazu müssen wir aber unter anderem die nötigen technischen Mittel haben.
Rundblick: Nicht nur in Bezug auf die rechtlichen Möglichkeiten sind Sie im Rückstand, auch technisch. Das sieht man am veralteten kriminaltechnischen Untersuchungslabor in Hannover…
de Vries: Seit 15 langen Jahren wird über einen Neubau für das LKA diskutiert, um dort alle Kompetenzen unter einem Dach zu bündeln, die uns auszeichnen und die uns stark machen. Jetzt endlich sind wir auf einem guten Weg. Im Landesetat stehen 120 Millionen Euro, die wir für ein modernes und zukunftsweisendes Vorhaben der kommenden Jahrzehnte brauchen. Bis Ende November sollen die Bieter die Möglichkeit haben, ein aussagekräftiges Angebot abzugeben. Im April, denke ich, können wir das Konzept im Haushaltsausschuss des Landtags vorstellen – und schon kurz darauf soll der Bau beginnen und 2022 fertig sein. Einige Liegenschaften an unseren verschiedenen Standorten im Stadtgebiet von Hannover sind stark abgängig, insbesondere unser Kriminaltechnisches Institut (KTI) an der Schützenstraße. Dort wird seit Jahren in Erwartung einer Neubaulösung nicht mehr investiert. Bereits beim Betreten des Gebäudes nimmt man einen Duft von Marihuana aus den Asservatenräumen wahr. Das KTI hat höchste Qualitätsansprüche zu erfüllen. Aufsehenerregende Gerichtsverfahren im ganzen Land fußen auf Gutachten, die hier in auditierten Prozessen von den Mitarbeitern erstellt werden. Die Aufrechterhaltung dieser zentralen Schaltstelle KTI ist aktuell unter diesen Bedingungen mehr als kritisch zu betrachten. Ein Neubau ist unumgänglich und mittlerweile auch fraktionsübergreifend anerkannt. Die Untersuchungszeiten sind immer wieder Gegenstand von Kritik, sowohl intern als auch seitens der Justiz. Von veralteter Technik müssen wir zwar noch nicht sprechen, wir sind in vielen Feldern sogar bundesweit Vorreiter. Dennoch sind Absprachen mit der Justiz über den Umfang der Untersuchungen erforderlich. Wir wünschen uns hier, zum Beispiel bei Verpackungsmaterial von Rauschgift, eine Begrenzung auf ein vernünftiges Maß.
Wir müssen auch den Mut haben, Fehler zu machen
Rundblick: Wie muss die Polizei der Zukunft gerüstet sein?
de Vries: Die Kriminalität verlagert sich sehr stark ins Internet und betrifft auch den Postversand. Zu ermitteln heißt hier, digitale Spuren lesen zu können. Neben den neuen technischen Möglichkeiten, die wir schon besprochen haben, ist auch die Rolle des klassischen Ermittlers neu zu denken. Es braucht mehr digitale Kompetenz, einen „digitalen Ermittler“. Dazu wünsche ich mir auch in der Führungsebene der Polizei viele Menschen, die die Chancen der Digitalisierung für die Ermittlungsarbeit erkennen und unsere Arbeitsprozesse hinterfragen und zukunftsfähig gestalten. Daneben bleibt die gute Kommunikationsfähigkeit unsere zentrale Kompetenz. Das gesprochene Wort ist das A und O!
Rundblick: Wie können Sie die Polizei dazu ermuntern?
de Vries: Richtig, wir müssen Mut machen. Auch den Mut haben, Fehler machen zu dürfen. Es braucht eine Fehlerkultur, die akzeptiert, dass etwas schief laufen kann – das ist dann zu korrigieren und zukünftig besser zu machen, keine Frage. Aber die Einstellung, alles immer zuerst hundertprozentig absichern zu wollen, bevor wir etwas anpacken, führt uns aus meiner Sicht in unserer extrem dynamischen Welt nicht weiter.
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