…betrifft einen Polizeieinsatz im hannoverschen Hauptbahnhof – oder besser gesagt das, was rund um diesen Einsatz geschehen ist. Erstens haben sich offensichtlich mehrere junge Leute eingemischt, die Polizei bei ihrer Arbeit behindert und einen festgenommenen Taschendieb sogar befreit. Zweitens ist ein Teil der Ereignisse mit Handys gefilmt und ins Netz gestellt worden, sodass sich hier ein üblicher Shit-Storm in den sozialen Medien entfalten konnte. Drittens hat der Innenminister Boris Pistorius einen verunglückten Tweet zu dem Vorfall abgesetzt, der dann wieder gelöscht wurde. Alles in allem also: Ein wenig erbaulicher Vorfall.

Foto: PancrasPZ; Lukassek; Pistorius; DB

Viele Dinge haben mehrere Seiten. So auch die sozialen Medien. Einerseits ist es richtig und sinnvoll, dass Polizeieinsätze auch gefilmt werden. Nur auf diese Weise ist beispielsweise deutlich geworden, welche Gewalt ein Polizeibeamter Ende Mai gegen den dunkelhäutigen George Floyd in Minneapolis ausübte. Der auf den Boden gedrückte Mann starb, das hat eine Protestwelle ausgelöst und einmal mehr deutlich werden lassen, wie stark verbreitet doch der Rassismus in der Polizei in den USA immer noch ist. Nur der Film belegte die Gewalt des Ordnungshüters, der prompt entlassen worden war. Ohne die Handy-Aufnahme würde der Polizist heute noch seinen Dienst versehen – und womöglich täglich neues Unrecht begehen.


Lesen Sie auch:

Verdi warnt vor institutionellem Rassismus

„Polizisten, Lehrer und Richter sollten auf Ihre Verfassungstreue überprüft werden“


Das ist die eine Seite. Was vor wenigen Tagen nun auf dem Hauptbahnhof in Hannover geschah, wird derzeit von der Polizeidirektion Hannover aufgeklärt. So lange die Überprüfung noch läuft, sind verschiedene Verläufe denkbar. Tatsache ist, dass die Polizei einen Taschendieb festnehmen wollte und dabei von einer Gruppe Jugendlicher behindert wurde. Der zunächst festgesetzte Dieb konnte von ihnen befreit werden. Wie im Hauptbahnhof unvermeidbar, bekamen viele Passanten etwas davon mit – und einige filmten die Szenen. Als Schaulustige standen sie vermutlich auch den Polizisten im Weg. Es heißt, die Polizei habe mehr als 200 Platzverweise ausgesprochen.

Die mit Handys von Zuschauern aufgenommenen Szenen, die später ins Netz gestellt wurden, sind lückenhaft und spiegeln nur einen Teil der Ereignisse wieder. Zu sehen ist, wie ein 19-Jähriger festgenommen wird, der an der Befreiung des zuvor festgesetzten Taschendiebs beteiligt gewesen sein soll. Zu sehen ist auch, wie eine junge Frau auf einen Beamten zugeht, der den festgenommenen 19-Jährigen fixieren will. Sie spricht ihn an, berührt ihn womöglich gar – und der Beamte reagiert, indem er die Frau reflexhaft mit einer Hand, die er gegen ihren Kopf drückt, wegschubst. Die Frau steht daraufhin abseits. Wenig später gibt es noch eine Rangelei zwischen einem Beamten und einem Jugendlichen, der einen anderen Beamten offenbar bepöbelt hatte. Der Mann wird zu Boden geworfen.

Wenn das Video nicht täuscht, handelt es sich um die Bundespolizei. Ein bisschen Sachverstand, ein wenig Interesse an Fakten wäre schön.

Innenminister Boris Pistorius

Ist das nun Ausdruck von gewaltsamen Übergriffen einzelner Beamter in einer Situation, die ausgeufert war? Oder haben die Beamten völlig korrekt gehandelt und sind vielmehr von Jugendlichen unvertretbar provoziert worden? Haben die überraschend vielen Zuschauer, die sich in die Arbeit der Polizei bei der Verfolgung eines Taschendiebes einmischten, die Situation unnötig eskalieren lassen? Die wachsende Gereiztheit, das ist deutlich zu erkennen, erschwert die Arbeit der Polizei enorm. Dass aber Szenen nur ausschnitthaft und bruchstückhaft im Netz verbreitet werden, trägt ebenfalls zur Verzerrung bei.

Als wäre das nicht schon Panne genug, kommt noch eine Fehlleistung von Innenminister Boris Pistorius hinzu. „Wenn das Video nicht täuscht, handelt es sich um die Bundespolizei. Ein bisschen Sachverstand, ein wenig Interesse an Fakten wäre schön“, verbreitete Pistorius über Twitter. Allerdings sind die Beamten offenbar tatsächlich Landesbeamte und nicht solche der Bundespolizei gewesen – der Pistorius-Tweet wurde später gelöscht. Das alles kam beim Koalitionspartner CDU nicht gut an. Es sei „erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit sich unbeteiligte Personen in eine polizeiliche Maßnahme einmischen und Polizisten in Bedrängnis bringen“, schrieb CDU-Landtagsfraktionschef Dirk Toepffer. Irritiert sei er, schreibt Toepffer weiter, dass „der zuständige Minister in Niedersachsen schweigt“. Stattdessen versuche Pistorius, sich per Twitter von den betroffenen Beamten zu distanzieren – und zeige gleich auch noch, dass er diesen Beamten nicht einmal als Landespolizist erkannt habe.