17. Aug. 2023 · 
Parteien

Die Linke vor der Spaltung? Noch wird an einem Versöhnungs-Konvent gearbeitet

Wie geht es nun weiter mit der Linkspartei? Nach dem angekündigten Rückzug der beiden bisherigen Bundestag-Fraktionssprecher Amira Mohamed Ali (Oldenburg) und Dietmar Bartsch (Stralsund) spricht derzeit viel für eine bevorstehende Spaltung der Partei. Auf der anderen Seite werden aber Versuche gestartet, genau diese Entwicklung abzuwenden und zu einer Verständigung zu gelangen.

Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali und ihr Co-Vorsitzender Dietmar Bartsch wollen ihre Ämter niederlegen. | Foto: Youtube/Die Linke

Im Landesverband Niedersachsen, der viele Jahre lang unter dem Einfluss des früheren Landesvorsitzenden Diether Dehm zu den Getreuen von Sahra Wagenknecht gehörte, haben sich die Machtverhältnisse in den vergangenen Jahren verschoben. Das Dehm-Lager hat wiederholt nicht mehr die Mehrheit gehabt, die beiden Landesvorsitzenden Franziska Junker (Leer) und Thorben Peters (Lüneburg) werden ausdrücklich nicht zum Wagenknecht-Fanclub gezählt.

Das niedersächsische Spitzen-Duo Franziska Junker und Thorben Peters zählt nicht zum Wagenknecht-Lager. | Foto: Die Linke

Auf der anderen Seite aber zählt Niedersachsen zu den Ländern, in denen bereits eine Organisation sichtbar wird, die Keimzelle einer später eigenständigen Wagenknecht-Partei sein könnte – sie trägt den Namen „Was tun“, prominentestes Mitglied ist der frühere Landesvorsitzende Lars Leopold aus Eime (Kreis Hildesheim). 50 Leute, teilweise altgediente Linken-Mitglieder, kamen zum ersten Treffen. Dehm selbst war nicht dabei, äußert sich aber in seinem Youtube-Kanal „Moats auf deutsch“ – und interviewt Leute, die etwa die Linken-Parteiführung für ihre Angriffe auf Wagenknecht tadeln. Das tat jüngst der frühere Landtagsfraktionschef Hans-Henning Adler.

Wie kann es nun weitergehen mit der Linkspartei in Deutschland – und damit auch in Niedersachsen? Es gibt dazu mehrere Szenarien:

Szenario 1: Die Linke grenzt Wagenknecht aus

Die Mehrheiten der Bundesdelegiertenversammlung und in den meisten Landesverbänden sind klar – nämlich auf Seiten der Wagenknecht-Kritiker. Der Kurs der Bundessprecher Janine Wissler und Martin Schirdewan, eine den Grünen nahe, aber in Sachen sozialer Gerechtigkeit betont linke Politik zu propagieren, stößt beim Establishment der Linken auf breite Zustimmung.

Der Wagenknecht-Kurs hingegen, gegenüber Zuwanderung kritisch zu sein und bei Klimaschutz-Investitionen aus sozialen Gründen zurückhaltend zu bleiben, genießt offenbar bei den Bundesvorstandsmitgliedern und den Landesvorständen weniger Zuspruch. Bei der Russland-Freundlichkeit, die sich in Ablehnung der Ukraine-Militärhilfe ausdrückt, könnte es zumindest im Osten anders sein. Mit der Russland-Karte indes spielen die Akteure vorsichtig. Diese Machtverteilung könnte ein Hinausdrängen der eher lästigen Wagenknecht begünstigen – auch um den Preis, damit den Bestand der Bundestagsfraktion zu gefährden.

Sorgt für Streit in der Linkspartei und möglicherweise auch für eine Spaltung: Sahra Wagenknecht. | Foto: Die Linke

Szenario 2: Wagenknecht trennt sich von der Linkspartei ab

Das Lager der Wagenknecht-Getreuen könnte sich selbst schrittweise von der Linkspartei abwenden. So könnte zunächst eine Gruppenbildung innerhalb der Bundestagsfraktion entstehen – in der dann womöglich bis zu zehn der 39 Linken-MdBs mitwirken. Für Oktober wäre damit zu rechnen. Der Austritt aus der Fraktion könnte in einem zweiten Schritt folgen, vermutlich aber aus verschiedenen Gründen (es müssen Geldgeber gefunden werden) frühestens Anfang 2024. Eine Wagenknecht-Partei müsste zur Europawahl im Juni 2024 antreten. Ihr in jenem Jahr eingeworbenes Spendenaufkommen wäre Basis für die Wahlkampfkostenerstattung.

Nahe läge es, wenn sie auch zu den wichtigen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg (September 2024) kandidiert. Das Risiko für Wagenknecht ist aber, dass sie gutes Personal für all diese Wahlen bräuchte – und darauf angewiesen ist, Überläufer aus anderen Parteien zu nehmen. Würde sie auch frühere AfD-Mitglieder verpflichten? Wo wären die Grenzen, welche Bedingungen müssten gelten? Immerhin ist das schlagkräftigste Argument der Befürworter einer eigenen Wagenknecht-Partei, dass diese vermutlich die Kraft hätte, der AfD Stimmen abzujagen und damit die AfD klein zu kriegen. Dass sie aber keine eigene Organisation und keinen Stab an zugkräftigen Leuten in ihrem Umfeld hat, ist Wagenknechts größtes Problem.

Szenario 3: Die Linke und Wagenknecht versöhnen sich

Der Vorschlag des Leipzigers Sören Pellmann, man möge einen „Parteikonvent“ veranstalten, hat viele Anhänger – offenbar auch in Niedersachsen. Bestünde eine solche Krisen-Konferenz nur aus dem Bundesvorstand und den Landesvorständen, wären die Wagenknecht-Gegner in der übergroßen Mehrheit. Bei Beteiligung der Kreisvorstände sähe es schon anders aus.

Spannend dürfte die Frage sein, welche Rolle man dann als Ergebnis einer Versöhnung Wagenknecht übertragen würde: Spitzenkandidatur für die Europawahl? Vorsitzende der Bundestagsfraktion und Wortführerin der Fraktion? Gegen den Erfolg einer solchen Versöhnung spricht, dass die inhaltlichen Unterschiede bei den Themen Zuwanderung, Nähe zu Russland und Nähe zu Klimaschutz-Gruppen zu unüberwindbar werden könnten. Viele Altvordere bei den Linken aber sehen ohne eine Verständigung ihr Lebenswerk bedroht.


Dieser Artikel erschien am 18.8.2023 in Ausgabe #139.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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