Andreas Möller (44) ist Kommunikationschef des Maschinenbauers Trumpf. Nach seinem Roman „Traumfang“ und dem Sachbuch „Das grüne Gewissen“ ist von ihm nun ein neues Buch erschienen. In „Zwischen Bullerbü und Tierfabrik. Warum wir einen anderen Blick auf die Landwirtschaft brauchen“ befasst er sich mit dem Bild, das sich Verbraucher von der Landwirtschaft machen und plädiert für einen neuen Blick auf die Branche. Mit Andreas Möller sprach Martin Brüning:

Autor und Chef der Unternehmenskommunikation beim Maschinenbauer Trumpf: Andreas Möller – Foto: David Ausserhofer

Rundblick: Herr Möller, den Deutschen wird eine besondere Naturliebe nachgesagt. Wenn es aber in Fragen der Landwirtschaft konkret wird und man zum Beispiel nach unterschiedlichen Getreidearten fragt, dann hapert es. Wie kommt das?

Möller: Das ist ein Ergebnis einer immer stärker arbeitsteiligen Gesellschaft. Die Prozesse und das Wissen um die Landwirtschaft sind nicht mehr Teil unseres Alltags. Unsere Eltern und Großeltern kamen oftmals noch vom Land oder hatten einen Garten. In meiner Kindheit wuchteten Männer in weißen Schürzen noch Schweinehälften in den Laden. Der normale Großstädter sieht all diese Prozesse heute nicht mehr. Hinzu kommt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg noch jeder vierte Erwerbstätige in der Landwirtschaft beschäftigt war, heute sind es noch 1,4 Prozent. Das bedeutet: Es hat einen ganz normalen Prozess von Entfremdung gegeben. Wir haben zwar eine Meinung zu allem und sind sehr kritisch, es fehlen uns aber die Grundlagen.

Eine Kuh ist eben kein Tamagotchi, bei dem man auf den Aus-Knopf drücken kann. Der Dauereinsatz auf dem Hof ist hinderlich für eine gesunde Work-Life-Balance.

Rundblick: Hinzu kommt, dass in Bilderbüchern für Kinder die Höfe immer äußerst idyllisch dargestellt werden. Haben wir immer wieder eine Idylle vor Augen, die es in der Realität so nie gegeben hat?

Möller: Ja, wir sehen eine Bullerbü-Welt – und übersehen dabei die unglaubliche soziale Enge und den Entbehrungsreichtum, die es in dieser Welt damals gab. Wer ist Bauer, wer Knecht? Wen muss man heiraten? Kann ich eine weiterführende Schule besuchen? Diese Fragen gehörten damals dazu. Hinzu kam härteste körperliche Arbeit und ein Beruf, der keinen Urlaub kannte. Das ist übrigens ein Grund für das Höfe-Sterben der vergangenen Jahrzehnte. Nach der Wende gab es bundesweit noch fast 600.000 landwirtschaftliche Betriebe, jetzt sind es noch 274.000. Das hat neben den Skalierungseffekten auch damit zu tun, dass die junge Generation andere Berufs- und Familienbilder hat. Eine Kuh ist eben kein Tamagotchi, bei dem man auf den Aus-Knopf drücken kann. Der Dauereinsatz auf dem Hof ist hinderlich für eine gesunde Work-Life-Balance.

Rundblick: Die Kritik an der Landwirtschaft hat das Bild der Branche in den vergangenen Jahren geprägt. Was sagt der PR-Profi? Was kann man der Landwirtschaft raten?

Möller: Die Landwirtschaft ist oftmals im Modus, sich selbst un- oder missverstanden zu fühlen. Sie braucht Humor und Freude daran, die eigene unglaubliche Vielfalt zu erzählen. Und sie muss wieder mehr Selbstvertrauen haben – also eher sein wie Pippi Langstrumpf als deren miesepetrige Freundin Annika. Die Branche darf deshalb nicht mehr wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen, sondern sie braucht Menschen, die ihr ein positives Gesicht geben. Dazu muss auch jeder Landwirt zum Multiplikator in eigener Sache werden. Das bedeutet nicht, täglich twittern zu müssen, aber er sollte in seinem spezifischen Umfeld seine Arbeit erklären. Menschen, die sich der Debatte stellen, sind übrigens auch der beste Schutz gegen den Vorwurf, die Landwirtschaft sei heute nicht mehr als ein anonymes „System“.

Rundblick: Aber viele Geschichten rund um die Landwirtschaft sind eben nicht positiv, sondern eher problembeladen: zum Beispiel die Dürreschäden nach dem Hitzesommer.

Möller: Ja, aber es gibt eben viel mehr als das. Die Landwirtschaft führt teilweise die falschen Debatten. Es geht eben nicht nur um Dürre-Entschädigungen, Glyphosat, Bienensterben oder niedrige Milchpreise. Es gibt viele positive Geschichten: Landwirte als wichtige Arbeitgeber und Ausbilder in ihren Regionen oder die die wichtigen Aufgaben, die sie wahrnehmen – vom Winterdienst bis zur freiwilligen Feuerwehr. Die Landwirtschaft muss raus aus dem Klage- und Forderungsmodus.

Die Landwirtschaft braucht Humor und Freude daran, die eigene unglaubliche Vielfalt zu erzählen. Und sie muss wieder mehr Selbstvertrauen haben – also eher sein wie Pippi Langstrumpf als deren miesepetrige Freundin Annika

Rundblick: Eine der typischen Diskussionen der vergangenen Jahre drehte sich um die Frage „konventionell oder bio“. Bleibt uns diese Debatte erhalten?

Möller: Ich glaube, diese Debatte trifft nicht mehr den Punkt. Diese Thematik wird sich nach und nach auflösen. Das hat auch etwas mit neuen Technologien und damit auch ganz neuen Möglichkeiten des Pflanzenschutzes zu tun, Stichwort Digitalisierung. Zudem wird das regulatorische Momentum dazu führen, dass konventionelle Betriebe immer stärker umdenken und mehr und höhere Standards einführen. Der Bio-Begriff ist hingegen verwässert, weil es neben den harten Demeter-Siegeln auch zahlreiche sehr große Bioproduzenten in aller Welt gibt. Wir sollten deshalb nicht mehr die Schlachten der Vergangenheit schlagen. Es wird in Zukunft einen dritten Weg abseits von „bio“ und „konventionell“ geben. Wir sollten uns nicht hinter diesen Schemata verstecken. Entscheidend ist, dass wir die Landwirtschaft wieder als gesellschaftliches Thema begreifen.

Rundblick: Sie plädieren für einen neuen Gesellschaftsvertrag. Was meinen Sie damit?

Möller: Nach dem Waldsterben, dem Ende der Kernkraft und vielen anderen Technologiekonflikten ist die Landwirtschaft zum nächsten Schauplatz gesellschaftlicher Kontroversen an der Schnittstelle von Natur und Industrie geworden. Ich warne deshalb davor, in dieser Form weiter einseitig Kritik an der Landwirtschaft zu üben. Wir gewinnen nichts damit, wenn wir einerseits Pflanzenschutzmittel verbieten, andererseits immer weniger für Nahrung ausgeben wollen. Und nicht bedenken, wie rasant sich etwa die Bodenpreise seit der Lehman-Krise 2008/09 entwickelt haben. Genau deshalb werden auf der Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland heute keine Lebensmittel produziert, sondern Energiepflanzen. Dieser Widerspruch wird auch dazu führen, dass mehr Lebensmittel aus dem Ausland kommen, wo Arbeitsschutz oder Naturschutz teilweise meilenweit von unseren Standards entfernt sind. Wir können uns durch ständige Kritik an den Landwirten also keine heile Welt schaffen. Es braucht eine neue Wertschätzung der Landwirtschaft, damit es auf dem Land auch zukünftig noch Bauern gibt und das Land nicht nur ein „Produktionsraum“ mit Biogasanlagen, Viehbetrieben und Google-Servern ist. Und ein paar Nebenerwerbshöfen, von denen keiner mehr ohne das Vermieten von Ferienwohnungen und einen Hauptjob leben kann. Genau diese Entwicklung werden wir aber erleben, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz der Landwirtschaft nicht zunimmt.

Andreas Möller: Zwischen Bullerbü und Tierfabrik. Warum wir einen anderen Blick auf die Landwirtschaft brauchen. Gütersloher Verlagshaus, 2018, 240 Seiten, 20 Euro