
Es gibt zwar eine Menge Geld, aber es gibt auch eine Menge offener Fragen.
Rundblick: Welche Rolle spielt in dieser Debatte das niedersächsische Kultusministerium?
Mädge: Vom zuständigen Ministerium sind uns hierzu bisher keine klaren Vorstellungen übermittelt worden. Wir nehmen aber eine für das Kultusministerium eher unübliche Herangehensweise an diese Thematik wahr. Üblicherweise verfolgt das Haus nämlich einen sogenannten „Top-Down-Ansatz“. Es werden im Interesse der Bildungsgerechtigkeit landeseinheitliche, mitunter recht kleinteilige Vorgaben gemacht, auf deren Einhaltung die Landesschulbehörde dann sorgsam achtet. Paradebeispiel für diese Herangehensweise sind die geltenden Standards in den Kindertagesstätten. Bei der Digitalisierung will man anscheinend einen „Bottom-Up-Ansatz“ verfolgen. Das Kultusministerium möchte sich offenkundig darauf beschränken, Förderrichtlinien für die Digitalisierung von Schulen zu erlassen und die 471 Millionen Euro des Bundes an die Schulträger zu verteilen. Was in den knapp 3000 niedersächsischen Schulen dann konkret gemacht wird, soll scheinbar jede Schule in einem Medienkonzept mit ihrem Schulträger selbst aushandeln.
Rundblick: Aber das ist doch eigentlich prima – jede Schule und jede Kommune hätte auf einmal bestimmte Freiheiten…
Mädge: Aus Sicht des Städtetages ist diese kommunale Gestaltungsfreiheit natürlich erst einmal zu begrüßen. Unsere großen Mitglieder mit hoher Finanz- und Verwaltungskraft haben sich denn auch - teilweise mit externer Beratung - schon vor geraumer Zeit auf den Weg in Richtung digitale Schule gemacht. Bei unseren kleineren, weniger finanz- und verwaltungskräftigen Mitgliedern nehme ich dagegen eine gewisse Ratlosigkeit wahr. Und ob die niedersächsische Schullandschaft am Ende ein digitaler „Flickenteppich“ werden soll, muss letztlich das Land entscheiden. Die Voraussetzungen dafür stehen nach meiner Einschätzung derzeit jedenfalls sehr gut.
Das Kultusministerium möchte sich offenkundig darauf beschränken, Förderrichtlinien zu erlassen und die 471 Millionen Euro des Bundes an die Schulträger zu verteilen.
Rundblick: Sind die Schulen überfordert?
Mädge: Wichtig wäre doch, dass man Lehrer und Schüler „mitnimmt“. Nach unserem Eindruck fragen sich viele Schülern derzeit, was ihnen ihre Lehrer im Bereich Digitalisierung überhaupt beibringen können. Die Lehrenden artikulieren daher auch einen entsprechend großen Bedarf für Fortbildung. Viele kommunal Verantwortliche kennen das Ergebnis dieser Ratlosigkeit – das sind dann ungenutzte Whiteboards oder leerstehende Computerräume. Ohne Akzeptanz in den Schulen und insbesondere in der Lehrerschaft besteht die große Gefahr, dass auch die neuen digitalen Angebote ungenutzt bleiben. Dies darf aus zwei Gründen nicht passieren. Einmal ist eine halbe Milliarde Euro einfach zu viel Geld, um damit Experimente zu machen. Zum zweiten investieren wir in eine sehr schnelllebige Technik mit kurzen Halbwertszeiten. Für Ersatzbeschaffungen und Weiterentwicklung der neu installierten Systeme, aber auch für die laufende Systemadministration sind – jedenfalls aus Sicht von Bund und Land – künftig aber die Schulträger zuständig, also die Kommunen.
Rundblick: Wie könnte man es besser machen?
Mädge: Vor diesem Hintergrund muss die künftige Rollenverteilung zwischen Schulträgern und Land neu verhandelt werden. Nimmt man das Thema Digitalisierung in Schulen nämlich wirklich ernst, kommen auf die Schulträger nach Auslaufen der Anschubfinanzierung durch den Bund dauerhaft hohe Kosten insbesondere bei der Systemadministration zu. Muss sich das Land hier nicht beteiligen? Macht es in Zeiten von virtuellen Servern und Clouds nicht Sinn, wenn das Land ein Schul-Rechenzentrum betreibt und für jede Schule gegebenenfalls einen virtuellen Server einrichtet und zentral administriert? Es gibt hier bereits eine Idee, auf die jetzt aufgesetzt werden könnte – die niedersächsische Bildungscloud. Allerdings scheint das Projekt derzeit ins Stocken geraten zu sein und vom Kultusministerium etwas „stiefmütterlich“ behandelt zu werden. Vielleicht muss man hier auch noch einmal ganz neu denken.
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Rundblick: Sind das die Hauptsorgen der Kommunen bei diesem Thema?
Mädge: Es kommt noch mehr hinzu. Völlig offen ist etwa das Thema Datenschutz. Das Kultusministerium möchte bestimmte mobile Endgeräte offenbar nicht als Lernmittel vorschreiben, es setzt auf das Konzept „Bring-Your-Own-Device“. Damit gehen neben technischen auch mannigfaltige datenschutzrechtliche Probleme einher. Bei einheitlichen mobilen Endgeräten, die als Lernmittel vorgeschrieben sind, können hinsichtlich der Betriebssysteme, der zu verwendenden Programme oder einer möglichen privaten Nutzung Vorgaben gemacht werden. Beim Konzept „Bring-Your-Own-Device“ handelt es sich um Geräte im Eigentum der Schüler. Dasselbe gilt für die aufgespielten Programme. Die privaten Daten der Schüler auf ihren Endgeräten unterliegen dem Datenschutz. Wie soll nun ein kommunaler Systemadministrator verfahren, wenn in einer Klasse mit 25 Schülern, die unterschiedliche mobile Endgeräte mit verschiedenen Betriebssystemen haben, einzelne Schüler nicht am Unterricht teilnehmen können, weil deren Geräte nicht funktionieren? Darf er dann auf die Geräte der betroffenen Schüler zugreifen? Darf er unter Umständen Software löschen, die ein Funktionieren verhindert? Darf er auch private Daten löschen, wenn dies für eine Teilnahme am Unterricht erforderlich ist? Benötigt dann jeder Schulträger ein Datenschutzkonzept für seine Schulen?
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Rundblick: Was raten Sie der Landesregierung? Mädge: Es gibt noch viele weitere ungeklärte Fragen. Land und Kommunen sollten daher noch einen Moment inne halten und das Gespräch suchen, bevor 523 Millionen Euro bewilligt und ausgegeben werden. Denn aktuell scheint mir die digitale Schule - zumindest in der Anfangsphase - zwar gut finanziert, aber noch zu wenig durchdacht zu sein.