Die Kornkammern sind voll – doch der Weltmarkt bestimmt den Preis
Von Isabel Christian
Staubumwölkt rattert der Mähdrescher von Ludwig Schulze über das Feld und erntet die Winterbraugerste. Er muss sich beeilen, denn aus den tief hängenden Wolken fallen schon ein paar Regentropfen. Doch der Landwirt aus Sülze im Landkreis Celle ist zufrieden, es wird eine gute Ernte. Die meisten Getreidebauern in Niedersachsen dürften dieses Jahr mit ihren Erträgen zufrieden sein, der Landvolkverband geht davon aus, dass die Gesamternte leicht über dem Ergebnis vom Vorjahr liegt. 2016 wurden 6,2 Millionen Tonnen Getreide geerntet. Doch volle Kornkammern bedeuten für den modernen Landwirt nicht automatisch mehr Gewinn. Was zählt ist der Preis, den er für sein Getreide auf dem Weltmarkt bekommt. Und der hängt längst nicht mehr nur vom Wetter ab.
„Die Welt ist nicht mehr so berechenbar, wie wir es gewohnt waren“, fasst es Niedersachsens Landvolk-Präsident Werner Hilse zusammen. Wie viel wird geerntet, wie ist der Bedarf in welchen Ländern, und welche Mengen werden exportiert – „globale Märkte werden immer stärker durch die Politik beeinflusst“, sagt Hilse. Die große Unbekannte in diesem Jahr sind die USA und ihr unberechenbarer Präsident, doch dort „spielt die Musik“, wie Jens Hottendorf vom Bundesverband der Agrargewerblichen Wirtschaft sagt. Denn die USA hätten besonders bei ihrem Weizen ein „Proteinproblem“. Ein Großteil des in den USA dieses Jahr angebauten Getreides ist von schlechterer Qualität als das aus Europa. Sommerweizen mit guten Proteinwerten sei deshalb auf dem Weltmarkt gefragt. Das wiederum treibt die Preise nach oben. „Wir in Europa mit unserem schönen Weizen können und sollten davon profitieren“, sagt Hottendorf. Er wolle die Landwirte deshalb ermutigen, bei der Ernte darauf zu achten, dass die Qualität erhalten bleibt. „Denn wie sich zeigt, sind mit Qualitätsprodukten bessere Preise erzielbar.“
Doch beim Stichwort Qualitätssicherung sehen die Landwirte schon die nächsten dunklen Wolken am Horizont aufziehen. Dieses Mal kommen sie aus Hannover. Es ist die kürzlich in Kraft getretene Düngeverordnung. Um die hohen Nitratwerte im Boden und Grundwasser zu senken, sollen Bauern viel weniger düngen, vor allem mit stickstoffhaltigen Substraten. „Wir sind nicht ganz sicher, ob wir bei diesen strengen Vorgaben, die die neue Düngeverordnung vorsieht, die geforderte Qualität des Getreides noch sicherstellen können“, sagt Jürgen Hirschfeld, Vorsitzender im Ausschuss für Pflanzenproduktion beim Landvolk. Er geht davon aus, dass die Ernte in diesem Jahr noch weitgehend unbehelligt von den neuen Bestimmungen bleiben wird. „Aber in der nächsten Saison werden wir die Folgen deutlich spüren.“
In der Diskussion um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen. Die Grünen im Landtag machen sich dafür stark, die Nutzung von Pestiziden und Insektiziden in der Landwirtschaft weitgehend zu begrenzen. Auch im Landvolk geht man davon aus, dass in Zukunft weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. „Dadurch werden aber viele Wirkstoffe verloren gehen“, sagt Hirschfeld. Er fordert deshalb die Vertreter der getreideverarbeitenden Branchen auf, sich für moderate Regelungen einzusetzen, damit die Bauern die geforderte Qualität auch erbringen könnten. „Man muss auch darüber sprechen, ob nicht einige Wirkstoffe weiterhin eingesetzt werden können, aber in geringeren Mengen.“ Handlungsbedarf bestehe auch bei der Dokumentationspflicht, findet Hirschfeld. Denn mit den zahlreichen Bestimmungen, die die Landesregierung den Bauern auferlegt, wachse auch der Anteil der Büroarbeit für die Landwirte. „Wir wollen gerne dokumentieren, wie wir nachhaltig wirtschaften, aber das darf nicht in Papierwust ausarten.“ Er bitte daher die Regierung, bei weiteren Bestimmungen zur Dokumentationspflicht darauf zu achten, dass sie praktikabel bleiben. „Ein Bogen zum Ankreuzen reicht doch oft schon aus.“
Die Zeit werden die Landwirte in Zukunft auch brauchen, denn der Weltmarkt verlangt immer mehr nach Getreide. „Etwa 40 Millionen Tonnen Getreide werden jedes Jahr zusätzlich verbracht“, sagt Verbandspräsident Hilse. Die Ernten dagegen schwankten. Niedersachsen hat im vergangenen Jahr eine gute Quote erreicht, für dieses Jahr wird ein ähnliches Ergebnis erwartet. Vor allem die Landwirte in den östlichen Landkreisen können sich freuen, hier hat es in diesem Frühjahr öfter geregnet als sonst. Vor allem die Weizen- und Roggenernten dürften deshalb höher ausfallen. Ein ähnlicher Trend ist in ganz Deutschland zu beobachten, sagt Alfred Reisewitz von der landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaft Agravis. Insgesamt 46 Millionen Tonnen Getreide werden in diesem Sommer erwartet, davon wird mit 25 Millionen Tonnen mehr als die Hälfte Weizen sein. Doch wie sieht es auf dem Weltmarkt aus? Die USA wollen und werden importieren, das zeige sich schon an den steigenden Preisen, zu denen Getreide an der Börse gehandelt werde. In Russlands Hauptanbaugebieten war es dieses Frühjahr ungewöhnlich kühl, hier rechnen die Experten mit einer mehrwöchigen Verzögerung der Ernte. Marktführer in Südamerika wird Argentinien sein, nach der Aufhebung zahlreicher Restriktionen durch die Politik entwickele sich der Getreideanbau sehr gut. In Europa ist Frankreich die große Unbekannte. „Hier gab es eine lange Trockenphase. Was die für Auswirkungen hat, wird sich erst noch zeigen“, sagt Reisewitz. Niedersachsen stehe also vor einem spannenden Jahr, prophezeit Landvolk-Präsident Hilse.