Darum geht es: Die Sensation ist perfekt. Noch vor Tagen meinten die Beobachter, der CDU-Bundestagsabgeordnete Ralph Brinkhaus aus Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen sei ein Einzelkämpfer, der maximal einen kleinen Achtungserfolg mit seiner Kandidatur gegen CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder erzielen könnte. Jetzt hat er Kauder sogar gestürzt – und Angela Merkels Autorität schwer erschüttert. Das ist der Beginn einer Zeitenwende, die sich jetzt schneller als vermutet vollziehen kann, meint Klaus Wallbaum.

Ralph Brinkhaus (li.) bekam 125 Stimmen, Volker Kauder nur 112 – Fotos: CDU im Bundestag

Wer möchte jetzt noch wetten, dass Kanzlerin Angela Merkel in einem Monat noch Bundeskanzlerin ist? Die Aussichten stehen seit gestern schlecht, denn zu den miesen Umfragen der vergangenen Wochen vor den so wichtigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen kommt jetzt noch der dramatische Vertrauensverlust in dem für die Kanzlerin wichtigsten Gremium überhaupt hinzu – der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Eine Phase mangelnder Popularität kann ein deutscher Regierungschef mit einigem Geschick noch überstehen, solange er selbst sich nicht in einer Bundestagswahl messen lassen muss. Verlorener Rückhalt in der eigenen Bundestagsfraktion aber ist für ihn tödlich. Der normale Weg wäre jetzt so vorgegeben: Merkel muss die Vertrauensfrage stellen, droht diese dann zu verlieren – und muss ihren Stuhl räumen. Will sie eine solche Schmach vermeiden, so käme nur noch der freiwillige Rücktritt in Betracht. Das tut sie nicht? Darauf sollte man seit dem gestrigen 25. September 2018 nicht mehr wetten.

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Nun gibt es tatsächlich auch Interpreten, die von einer Ersatzhandlung sprechen: Die knappe Mehrheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe den Merkel-Vertrauten Volker Kauder abgewählt, weil sie einen Schuldigen brauchte, an dem sie ihren Frust über die Umfragen und die holprige Regierungsarbeit der vergangenen Wochen abreagieren kann. Weil man aber nicht Merkel selbst beschädigen wollte, habe man einen ihrer engsten Mitstreiter als Opfer ausgewählt. Aber was spricht dafür, dass sich mit dieser Aktion der rebellische Geist in der Union schon ausreichend ausgetobt hätte? Die – wahrscheinlichen – Wahlniederlagen in Bayern und Hessen stehen erst noch bevor. Auf internationalem Parkett wird man die Kanzlerin, die ja ebenso wie Horst Seehofer klar für die Wiederwahl Kauders geworben hatte, in den kommenden Wochen durch den Kakao ziehen – als einst stärkste Frau Europas, der jetzt mehr und mehr die Macht entgleitet und die ihren früheren Glanz verloren hat. Dieses Bild dürfte die ohnehin verunsicherte CDU/CSU noch weiter irritieren und die Bundestagsfraktion zu weiteren Aufständen anstacheln.

Angela Merkel hat den Zeitpunkt verpasst, an dem sie ohne Blessuren ihr Amt abtreten kann. Vermutlich war es kein irrationales Beharrungsvermögen wie einst bei Helmut Kohl, das sie dazu veranlasste, die Übergabe der Macht an jüngere Hände hinauszuzögern. Das Argument, dass eine erfahrene Frau wie sie in Zeiten von Trump, Putin, Erdogan und Brexit auf der politischen Weltbühne unbedingt gebraucht wird, ist ja nicht vorgeschoben, sondern höchst berechtigt. Aber so sehr dies für die internationale Ebene stimmt, so stark ist der Kontrast in der Innenpolitik. Die Unzufriedenheit bei Christdemokraten, Christsozialen und Sozialdemokraten mit ihrem eigenen Spitzenpersonal in der Koalition nimmt überhand. Die SPD schickte ihren erfahrenen Spitzenpolitiker Sigmar Gabriel im März aufs politische Altenteil, die Union dürfte es in den kommenden Wochen, knapp sieben Monate später, mit Angela Merkel tun.

Angela Merkel hat den Zeitpunkt verpasst, an dem sie ohne Blessuren ihr Amt abtreten kann.

Welchen Ausweg hat die Kanzlerin jetzt noch? Natürlich kann sie das aussitzen, aber spätestens nach der Bayernwahl dürfte ihr – wenn die Umfragen Wirklichkeit werden – die CSU als Teil der Bundesregierung das Leben zur Hölle machen. Sie kann dann noch zwei Wochen warten, bis auch die hessische Landtagswahl vorüber ist, die ebenso wenig Erbauliches für die CDU bereithält. Sie wäre in dieser Zeitspanne eine Spitzenpolitikerin auf Abruf, es wäre das unwürdige Ende der ersten Frau an der Spitze einer deutschen Regierung, die wahrlich Großartiges geleistet hat und der höchste Anerkennung gebührt.

Ja, ein Rücktritt geschähe in Zeiten der Schwächung. Aber wäre das wirklich so peinlich? Es wäre der notwendige Schritt nach den Dingen, die inzwischen passiert sind. Wenn Angela Merkel in ihrer politischen Laufbahn eines bewiesen hat, dann ist es die Fähigkeit zu rationalen, nüchtern kalkulierten Schritten – jenseits der großen Eitelkeiten. Das ist jetzt gefragt.

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