„Die Justiz darf nicht den Hauch eines Zweifels an ihrer Neutralität hinnehmen“
Die neue Justizministerin Barbara Havliza (CDU) will per Gesetz sicherstellen, dass Richter und Staatsanwälte in Verhandlungen keine religiösen Symbole zeigen dürfen. Beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick wirbt sie für eine Justiz, der alle am Gerichtsprozess Beteiligten vertrauen können.
Rundblick: Sie setzen sich dafür ein, dass der Landtag ein Gesetz beschließt, mit dem die Neutralität der Gerichtsprozesse untermauert werden soll. Was ist der Anlass für diesen Vorstoß?
Havliza: Das Grundgesetz gibt vor, dass Richter ihr Amt in sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit und Unparteilichkeit wahrnehmen und sich gegenüber den Verfahrensbeteiligten neutral verhalten. Diese Neutralität muss insbesondere auf der Richterbank zum Ausdruck kommen. In der Praxis gab es zum Beispiel in Niedersachsen Referendarinnen, die im Gerichtssaal ein Kopftuch tragen wollten. Ich finde es gut, wenn Menschen verschiedener Glaubensrichtungen in die Justiz gehen, das stärkt den Rechtsstaat. Doch an der Neutralität der Justiz darf es keinen Zweifel geben. In den Fällen der Referendarinnen wurde die Situation meistens so gelöst, dass diese Frauen dann nicht aktiv an Sitzungen teilgenommen haben. Aber nicht jeder Fall lässt sich so klären. Daher bin ich für eine gesetzliche Regelung. Um einen Flickenteppich an verschiedenen Regelungen zu vermeiden, wäre mir eine bundeseinheitliche Bestimmung am liebsten, beispielsweise im Gerichtsverfassungsgesetz. Da diese aber nicht absehbar ist, schlage ich ein Landesgesetz vor. Bis zu der anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für eine hessische Lehramts-Referendarin werden wir jedoch kein Gesetzgebungsverfahren einleiten, sondern nur interne Vorbereitungen treffen.
Rundblick: Was genau soll in einem solchen Gesetz bestimmt werden?
Havliza: Dort soll klar geregelt sein, dass Richter und Staatsanwälte, also die Vertreter des Staates in einem Gerichtssaal, das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes besonders zu beachten haben. Sie sollen im Gerichtssaal auf religiöse und weltanschauliche Symbole – ganz gleich welcher Glaubensrichtung – verzichten. Das heißt: keine Kippa, kein Kopftuch, kein Kreuz. Und die Regelung soll auch für Referendare und ehrenamtliche Richter gelten – soweit sie dienstlich Kontakt mit Dritten haben.
Rundblick: Ist das denn wirklich nötig, tut es nicht auch eine normale Hausordnung im Gericht?
Havliza: Nein. Denn ein Verbot religiöser und weltanschaulicher Symbole schränkt die Religionsfreiheit aus Artikel 4 des Grundgesetzes ein. Hier gilt der Vorbehalt des Gesetzes. Außerdem geht es doch um eine sehr grundsätzliche Frage. Stellen Sie sich nur als Beispiel einen Palästinenser vor, der als Angeklagter vor Gericht steht und dort auf einen Schöffen trifft, der eine Kippa trägt. Ich könnte gut verstehen, dass dieser Angeklagte ein mulmiges Gefühl bekommt und befürchtet, einem unfairen Prozess ausgesetzt zu sein, weil er ein Mitglied des Spruchkörpers als voreingenommen einstuft. So ist es auch bei Muslimen und bei Christen. Als Katholikin trage ich manchmal eine Kette mit einem sichtbaren Kreuz. Doch auf der Richterbank habe ich immer darauf verzichtet.
Richter und Staatsanwälte sollen im Gerichtssaal auf religiöse und weltanschauliche Symbole – ganz gleich welcher Glaubensrichtung – verzichten.
Rundblick: Diese Vorgaben sollen für alle Menschen im Gerichtsaal gelten?
Havliza: Ich will nicht allen, die vor Gericht erscheinen, diese Auflage machen. Eine Rechtsanwältin, die ein Kopftuch trägt, darf dies weiterhin tun. Es geht mir um Richter und Staatsanwälte, weil diese den Staat repräsentieren. Sie sollen die Neutralität, die ihnen durch Gesetz vorgegeben ist, auch symbolisieren.
Rundblick: Eigentlich ist der Trend in den Gerichten doch gegenläufig, Kleidervorschriften waren früher mal…
Havliza: Ja, es hat sich einiges geändert. Es gibt natürlich noch die Anordnung über die Amtstracht, wonach zum Beispiel Roben mit Samtbesatz oder für Männer der so genannte weiße Lang- oder Querbinder vorgeschrieben sind. Aber insbesondere bei den Amtsgerichten werden diese Vorschriften eher locker gesehen. Grundsätzlich habe ich auch nichts gegen die Lockerung von Vorschriften. Aber wenn es um das Thema Neutralität und um religiöse Gefühle geht, müssen wir sehr vorsichtig sein. Wir sollten nicht riskieren, dass es beispielsweise zu Befangenheitsanträgen kommt, weil ein Staatsanwalt religiöse Symbole zeigt. In öffentlichen Verhandlungen muss die religiöse Überzeugung von Richtern und Staatsanwälten auch optisch zurückstehen. Es darf nicht der Hauch eines Zweifels an der Neutralität der Justiz aufkommen. Hier kann das Argument der Glaubensfreiheit nicht gelten. Das Rechtsstaats- und Neutralitätsgebot rechtfertigen nach meiner Auffassung an dieser Stelle die Einschränkung der individuellen religiösen Freiheit, zumal es nur um die optisch wahrnehmbare religiöse Ausrichtung geht.
Rundblick: Die CDU wollte in einem Gesetz festlegen, dass in öffentlichen Gebäuden keine Burka und kein Nikab getragen werden darf. Greifen Sie das, was die Gerichte angeht, in ihrem Reformvorschlag auch auf?
Havliza: Vorsicht, hier muss man genau unterscheiden. Uns geht es bei dem bislang Gesagten um die Neutralität der Justiz und um Vorgaben für Richter und Staatsanwälte. Die Frage des allgemeinen Verbotes einer Vollverschleierung in Gerichtsgebäuden betrifft insbesondere das Thema Sicherheit. Wir planen, auch diesen Teil zu regeln. Wie genau, das ist noch in der Prüfung. Klar ist: Wer ein Gerichtsgebäude betritt, muss seine Verschleierung bei der Eingangskontrolle ablegen, da er sonst nicht identifiziert werden kann und die Sicherheit nicht gewährleistet ist. Aber auch für den Ablauf eines Gerichtsverfahrens kann die Vollverschleierung ein Problem darstellen. Für die Befragung eines Zeugen ist es zum Beispiel wichtig, dass das Gericht ihm ins Gesicht blicken kann. Als Richterin habe ich viele Fälle erlebt, in denen die Mimik des Befragten in deutlichem Widerspruch zu seinen Aussagen stand, was Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt zuließ. Die Wahrheitsfindung hat auch damit zu tun, wie der Richter den Zeugen oder Angeklagten visuell wahrnehmen kann. Eine weitere Frage ist, ob man Besuchern von Prozessen vorschreiben kann, dass sie auch nach der Einlasskontrolle auf eine Vollverschleierung verzichten müssen. Hier ist die Religionsfreiheit meines Erachtens stärker berührt.
Rundblick: Haben Sie als Richterin Erfahrungen gesammelt mit vollverschleierten Zuhörerinnen?
Havliza: Ja, das habe ich. Vor Jahren hat eine Gruppe von Nikab-Trägerinnen einen Prozess in Düsseldorf verfolgt. Immer wieder hat eine der Frauen unflätig dazwischengerufen und die Verhandlung gestört. Ich konnte als Richterin aber nicht erkennen, welche der Frauen das getan hat – und insofern war ich gehindert, Ordnungsmaßnahmen gegen die eigentliche Urheberin zu verhängen. Eines ist für mich klar: Wir dürfen es nicht so weit kommen lassen, dass die Religionsfreiheit als Begründung für die Vollverschleierung zum Vorwand genommen wird, um den Rechtsstaat zu verhöhnen.