Ein bisschen sonderbar ist die Gegend für eine atomare Lagerstätte schon. Nur ein einziges, ein paar Hundert Meter breites Feld trennt das Endlager Schacht Konrad von dem 400-Seelen-Dorf Sauingen, das im Gegensatz zum weiteren Umland einen fast schon verträumten Eindruck macht. Um auf diesen Widerspruch in der Landschaft aufmerksam zu machen, haben Atomkraftgegner vor einigen Jahren direkt vor dem Eingang der zukünftigen atomaren Lagerstätte ein braun-weißes Tourismusschild aufgestellt, wie man sie normalerweise von der Autobahn kennt. „Weltatomerbe Braunschweiger Land“ steht darauf. Mehr als nur diesen Protest gibt es beim ersten offiziellen Besuch von Umweltminister Christian Meyer (Grüne) vor Ort nicht.

Eine Handvoll Polizisten steht gelangweilt vor ihrem Mannschaftstransporter, vertreibt sich die Zeit mit Plaudereien und grüßt freundlich. Der Eingangsbereich der Schachtanlage mit seinem Stacheldraht umwickelten Zaun erinnert schon jetzt an einen militärischen Sicherheitsbereich, obwohl noch gar keine schwach- und mittelradioaktiven Abfälle das Tor passiert haben. Erst ab 2027 soll die Einlagerung beginnen, bis dahin ist das Betriebsgelände eine einzige Baustelle – und eine teure dazu. Fast viereinhalb Milliarden Euro kostet der Umbau vom Erzbergwerk zum Endlager. „Drei Milliarden Euro sind schon verbaut worden“, sagt Meyer später unter Tage. Hier oben ist von diesem enormen Kostenaufwand allerdings nicht viel zu sehen.

Noch bevor ich mit Helm, Overall, Lampe und anderen Zubehör ausgestattet werde, bekomme ich eine Einweisung für meinen Sauerstoff-Selbstretter. Mindestens 60 Minuten lang kann mich das mehrere Kilogramm schwere Gerät zum Umhängen im Notfall mit Atemluft versorgen. „Wenn man in der Ecke kauert, hält es sogar fünf Stunden“, erklärt mir der freundliche Sicherheitsbeauftragte. Ob‘s stimmt, ist allerdings unklar. Er hat noch nicht erlebt, dass die „Selbstretter“ tatsächlich auf die Probe gestellt wurden. In Kombination mit dem Hinweis „Wir sind seit 153 Tagen unfallfrei“, der auf einem Schild am Pförtnerhaus zu finden ist, sind das doch gute Voraussetzungen für eine Grubenfahrt.
Meine Schutzbrille muss ich dagegen schon bei der Abfahrt mit dem Förderkorb aufsetzen, denn bei der rasanten Abwärtsgeschwindigkeit wird jede Menge Staub aufgewirbelt. Obwohl es mit 4 Metern pro Sekunde nach unten geht, dauert die Fahrt durch die Finsternis auf 1000 Meter Tiefe mehrere Minuten. „Ich persönlich nutze die Zeit immer gerne zur inneren Einkehr“, verrät Bergbauingenieur Christian Gosberg. Auf der dritten Sohle bittet er meine Journalistenkollegen und mich nach draußen. Angenehme 17,2 Grad Celsius herrschen hier unten, fast 8 Grad mehr als an der Oberfläche.

Auf den Umweltminister und die Führungsspitze der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) treffen wir erst später. Während sich sie, die Damen und Herren in den weißen Overalls, noch auf Erkundungstour in vermutlich spannendere Endlager-Bereiche befinden, werden die rotgekleideten Pressevertreter direkt zum Standort des zukünftigen Betonwerks gebracht. Dort gibt es zwar außer einer gewaltigen Sackgasse im Bergwerkstollen nicht viel zu sehen. Anhand von Schautafeln und Zeichnungen erklären die BGE-Ingenieure aber sehr anschaulich, was sich hier gerade im Aufbau befindet. Insgesamt 303.000 Kubikmeter Atommüll sollen hier einmal in fünf Einlagerungsfeldern verwahrt werden.

Das erste Feld mit fünf Kammern ist quasi schon vollendet. „Die Einlagerungskammern liegen wie Finger nebeneinander“, berichtet Ulrich Bergmann, der stellvertretende Betriebsführer von Schacht Konrad. Diese Finger sollen nach und nach mit den markanten gelben Atommüllfässern und anderen Abfallgebinden befüllt werden. Und um auf Nummer sicher zu gehen, werden die radioaktiven Abfälle in rund 850 Metern Tiefe anschließend auch noch einbetoniert. Dazu sind Brecheranlagen nötig, die Eisenerze zu Baumaterial zerkleinern und zertrümmern, sowie das bereits erwähnte Betonwerk. „Hier wird der Baustoff verarbeitet, der dann dazu verwendet wird, die Hohlräume in den Einlagerungskammern zu füllen“, erläutert Bergmann.

Die Fallleitungen, über die die Rohstoffe ins Betonwerk gekippt werden, gibt es bereits. Bei der Beschreibung der dazugehörigen Bohrarbeiten kommt der 65-Jährige, der schon als Kind gerne mit Lego gespielt hat, geradezu ins Schwärmen. „Das war wirklich ganz erstaunlich“, sagt Bergmann, der Bergbau an der TU Clausthal-Zellerfeld studiert hat. Im sogenannten „Raise“-Verfahren sei zunächst mit einem nur 13 Zentimeter breiten Bohrkopf nach unten gebohrt worden. Dann habe man diesen Bohrkopf gegen ein größeres Modell mit einem Durchmesser von vier Metern ausgetauscht und wieder nach oben gebohrt. Viele Bohrungen im Schacht Konrad werden nach diesem Prinzip durchgeführt – in der Regel von ausländischen Spezialfirmen. „Es gibt ja kaum noch etwas im deutschen Bergbau“, stellt Bergmann ein bisschen betrübt fest.

Unter Tage entstehen in den nächsten Jahren außerdem noch eine Werkstatt und eine Umladestation, in der der Atommülltransport vom Vertikalen ins Horizontale wechselt. In dem insgesamt 44 Kilometer langen Tunnelgeflecht und auf dem Betriebsgelände darüber ist richtig was los. „Wir haben jetzt etwa 1000 Menschen auf der Baustelle“, sagt Thomas Lautsch, der als Technischer Geschäftsführer bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) sowohl für die Endlager Konrad und Morsleben als auch für die Bergwerke Asse und Gorleben verantwortlich ist. Zusammen mit BGE-Chef Stefan Studt, der Bundestagsabgeordneten Dunja Kreiser und dem Umweltminister stellt sich Lautsch den Journalistenfragen.

Dabei interessieren allerdings weniger die technischen Details der Endlagerung, sondern ein möglicher Baustopp für das Atommüll-Lager, den unter anderem das „Bündnis Salzgitter gegen Schacht Konrad“ fordert. „Drei Generationen haben vom Atommüll profitiert und 30.000 Generationen müssen die Folgen ausbaden“, schimpft auch der Umweltminister. Meyer zeigt sich aber auch pragmatisch. „Als Atomkraftgegner wollte ich nie, dass man in diese Diskussion überhaupt einsteigt. Aber der Müll ist da und da muss man sich auch drum kümmern“, sagt er. Bei der Endlagerung von hochradioaktivem Müll fordert der Grünen-Politiker von der Bundesregierung deswegen auch deutlich mehr Tempo. „Je länger wir da keine Antwort haben, desto länger bleibt er in einem Zwischenlager“, sagt Meyer.

Bei einem Treffen früher am Tag im Rathaus von Salzgitter hatte Meyer den Endlager-Gegnern zwar ein bisschen Hoffnung gemacht. Doch mehr als die „bekannt kritische Haltung der Landesregierung zur Auswahl von Schacht Konrad“ ließ der Grünen-Politiker auch hier nicht durchblicken. Unter Tage betont der Umweltminister immer wieder, wie wichtig ihm bei der Endlagersuche der Aspekt der Sicherheit ist – auch in juristischer Hinsicht. Den Antrag auf Widerruf der Genehmigung für Schacht Konrad verspricht Meyer zwar prüfen zu lassen. Der Landespolitiker weiß aber auch, dass ein Stopp des Endlagers bedeuten würde, dass der bisherige Baufortschritt in Schacht Konrad völlig umsonst gewesen ist und mehr als drei Milliarden Euro in den Sand gesetzt worden wären. „Bei uns gibt es keinen Plan B“, bestätigt Lautsch. Dass der Antrag auf Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses für den Endlagerbau durchkommt, kann und will er sich nicht vorstellen. „Wir gehen davon aus, dass wir unsere Position begründen können“, betont der BGE-Geschäftsführer.

Auch die übrigen Angestellten der Bundesbehörde lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie die Endlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in Schacht Konrad für ungefährlich halten. Aus Sicht der Bergbauexperten hätte das Eisenerzbergwerk auch bis zu 600.000 Kubikmeter radioaktiven Müll fassen können und nicht nur die Hälfte. „Ich persönlich finde, dass man bei der Suche nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgehen, sondern die beste Endlagerstätte auswählen sollte“, sagt Bergmann. 33 Jahre lang habe er als Mitarbeiter der BGE daran gearbeitet, den Atommüll sicher unter die Erde zu bringen. Dass er die Einlagerung der radioaktiven Abfälle nicht mehr vor Ort miterleben kann, findet der angehende Ruheständler zwar schade. In seinen Nachfolger Christian Gosberg und das Team hat der Bergbau-Veteran und frühere Bohrinsel-Experte aber volles Vertrauen. Im Gegensatz zu seinem Mentor dürfte der 33-jährige Gosberg zumindest die Befüllung der ersten fünf Kammern aktiv miterleben.

Wann die weiteren Bergwerkstollen für die atomare Endlagerung umgebaut werden, steht noch nicht endgültig fest. „Die anderen 80 Prozent machen wir ‚on the go‘ in einem Zeitraum über 30 Jahre – so, wie wir sie gerade brauchen“, sagt Technik-Chef Lautsch. Dass das BGE-Team in Schacht Konrad zumindest technisch alles im Griff hat, wird auch bei der Rückfahrt durch die massiven Tunnel des früheren Eisenerzbergwerks deutlich. Mit dem Dodge-Pickup vom Typ „Widder“ rasen wir geradezu durch die unterirdischen Stollen zurück zum Förderkorb. Die Beherrschung der Naturgewalten durch Technik scheint im Untergrund von Salzgitter fast grenzenlos zu sein. Zumindest mich erfüllt das mit Zuversicht, dass die Bergbauingenieure auch die Endlagerung von Atommüll für viele Hundert Jahre hier unten sicher hinbekommen.
Christian Meyer spricht mit Thomas Lautsch, dem Technischen Geschäftsführer von Schacht Konrad, über die Zukunft des Endlagers. | Foto: Link Etwa 14 Kilometer lang ist das unterirdische Tunnelsystem von Schacht Konrad. | Foto: Link Auf dem Dodge Ram geht es mit Turbo-Diesel-Antrieb durch die Schächte in über 800 Metern Tiefe. | Foto: Link Der Protest gegen Schacht Konrad als Endlager für Atommüll reißt auch nach über 30 Jahren nicht ab. | Foto: Link Der Name ist Programm: Ulrich Bergmann ist Bergbauingenieur aus Leidenschaft. Vor seiner Zeit beim BGE war der 65-Jährige allerdings auf Bohrinseln im Einsatz. | Foto: Link Thomas Lautsch (links) erklärt die Situation. Christian Meyer und Dunja Kreiser wirken skeptisch bis unzufrieden. | Foto: Link Besser ausgebaut als so manche Kreisstraße: Das unterirdische Transportwegesystem in Schacht Konrad kann sich sehen lassen. | Foto: Link Im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit: Umweltminister Christian Meyer spricht in Schacht Konrad über die Endlagersuche. | Foto: Link Christian Gosberg erklärt die Pläne für das unterirdische Endlager. | Foto: Link In diesem Schacht soll das unterirdische Betonwerk für das Endlager entstehen. | Foto: Link Christian Meyer (rechts) mit Thomas Lautsch. | Foto: Link Alles absteigen: Umweltminister Christian Meyer & Co. erkunden den Schacht Konrad. | Foto: Link Das Tunnelsystem von Schacht Konrad ist mehrere Kilometer lang. | Foto: Link Befindet sich bis voraussichtlich 2027 im Bau: Das Endlager Schacht Konrad. | Foto: Link