Anekdoten aus ihrem mehr als 35-jährigen Berufsleben im Finanzministerium in Hannover? „Nein“, sagt Martina Wethkamp, damit könne sie nicht dienen. Oder will sie damit nicht dienen? Wer die Leiterin der Haushaltsabteilung kennt, der kennt auch ihre strikte Verschwiegenheit. Allerhand kuriose Situationen dürfte sie erlebt haben, mehr als viele andere – doch darüber reden? Das ziemt sich nicht. Vielleicht auch, weil sie zu nah dran ist an den Mächtigen. Schnell landet die studierte Volkswirtschaftlerin bei den Sachthemen, bei den Argumenten und den Erklärungen. Sie trägt eindringlich vor, ihre Stimme ist dabei nicht besonders laut, oft sogar sehr leise. Das kann sie sich leisten, denn wenn sie redet, hören die anderen genau zu. Jedes Wort ist mit Bedacht gewählt, jedes Wort ist entscheidend.

Nun geht Martina Wethkamp in den Ruhestand, widmet sich ihrem Enkelkind. Elf Jahre war sie Leiterin der Haushaltsabteilung, vorher etliche Jahre die Stellvertreterin ihres Vorgängers Bernd Ellerbrock. Sie hat über viele Jahre hinweg dem „Arbeitskreis Steuerschätzungen“ angehört, jenem Gremium von Bund und Ländern, das volkswirtschaftliche Daten analysiert und daraus Erwartungen für die Steuereinnahmen ableitet. „Fast wissenschaftlich“ gehe es in diesem Gremium zu, sagt Wethkamp, und daraus spricht ein bisschen Anerkennung, vielleicht auch etwas Sehnsucht. Wissenschaftlich, faktenbasiert und rational begründet – das ist ein Idealbild, dem sie anhängt. Die Wirklichkeit der täglichen niedersächsischen Finanzpolitik ist oft eine andere, sie hängt von Interessen, Emotionen und politischen Strategien ab. Sich darüber zu beklagen oder darüber sogar die Nase zu rümpfen, das würde Martina Wethkamp niemals einfallen. Auf dieses Niveau will sie nicht herabsteigen. Sie würde viel eher mit einem vielsagenden Lächeln darüber hinweggehen.
Worin liegt nun die Stärke dieser Frau? Vor allem in ihrer ungekünstelt und in unerschütterlicher Ruhe vorgetragenen Sachlichkeit. Ob es um die juristischen Details von Sondervermögen, Schuldenbremse und Notlagenkrediten geht, um volkswirtschaftliche Erwartungen der Staatseinnahmen oder um die Höhe von Ausgabeansätzen – Wethkamp kann am Ende einer aufgeregten Debatte der Fraktionen im Haushaltsausschuss oft mit wenigen trockenen Bemerkungen die Diskussion beenden. Während ihr Vorgänger Ellerbrock oft zu langen Erklärungen ausholte, wie ein Lehrer, neigt sie stärker zu präzisen Anmerkungen. Ihren Begründungen für ein „Nein“ würde beispielsweise im Haushaltsausschuss des Landtags kaum jemand widersprechen. Oft reagieren manche mit einem „ach, so ist das“ – und wieder andere spüren, dass sie noch so lautstark widersprechen könnten, Wethkamp das aber kaum an sich heranlassen würde. Denn die Art, wie sie die Vorschriften interpretiert, wirkt nie halbherzig oder so, als würde sie selbst noch daran zweifeln. Immer sind ihre Botschaften klar, prägnant und durchdacht. Es ist so gut wie nie vorgekommen, dass sich Wethkamp mit ihrer Darstellung auf wackeligen Beinen befand, sich in Widersprüche verstrickte oder sich in einer wesentlichen Frage korrigieren musste. In mehr als 90 Prozent aller Fälle von hitzigen haushaltspolitischen Diskussionen im Haushaltsausschuss war Wethkamp am Ende die Gewinnerin. Warum? Vermutlich deshalb, weil sie eine hohe Autorität verkörpert. Man weiß über sie, dass ihr alle wichtigen Zahlen und Zusammenhänge geläufig sind – und man interpretiert ihr eher stilles, zurückhaltendes Wesen in den Ausschusssitzungen zu recht als ein Zeichen von stiller Mitwisserschaft. Sie kann es sich oft leisten, zu schweigen – wissen doch sowieso alle, dass sie über die Finanzlage des Landes vermutlich den besten Überblick hat.
Die Leitung der Haushaltsabteilung des Finanzministeriums zählt zu den mächtigsten Positionen in der Landesverwaltung – denn zu einem gewaltig großen Fachwissen kommt ein noch größeres Dienstwissen hinzu. Fachwissen, das ist die Kenntnis über alle aktuellen Rechtsvorgaben, Sondertöpfe und stillen Reserven im Landeshaushalt. Dienstwissen, das ist die Kenntnis darüber, wie sattelfest und verhandlungssicher die jeweiligen Landesminister sind, nicht nur die jeweiligen Finanzminister. Mindestens einmal jährlich wird ein neuer Haushaltsplan aufgestellt, und zum Ende hin gibt es dann die sogenannten „Ministergespräche“. Da muss jeder Fachminister zum Finanzminister und ihm erklären, warum er sich zu bestimmten Sparvorgaben nicht bereit sieht. Es geht um Millionen-, manchmal gar um Milliardenbeträge. In solchen Situationen ist Wethkamp über elf Jahre stets an der Seite des jeweiligen Finanzministers gewesen und hat erlebt, wie die unter Druck geratenen Fachminister dann reagieren. Einige sind betont cool und lassen zunächst ihre Staatssekretäre streiten, bevor sie sich dann selbst äußern. Andere gehen gleich auf Konfrontation und sagen: „Ich kann nicht anders“, wieder andere versuchen es mit Charme und Aggressivität im Wechsel. „Dass jemand mal unvorbereitet in solche Runden gegangen wäre, habe ich noch nicht erlebt“, berichtet Wethkamp. Ansonsten kenne sie die verschiedenen Verhandlungsstrategien in Hülle und Fülle – und natürlich die Gegenstrategien, die meistens von ihr und ihrem Team entwickelt wurden, im engen Kontakt mit dem Ministerbüro. Nicht selten enden derlei Runden dann so, dass Wethkamp dem jeweiligen Minister die möglichen Wege für Einsparungen in seinem Etat aufzeigt, wenn er sich selbst zu derlei Vorschlägen außerstande sieht. Der Gewinner, soviel ist klar, ist dann in den allerhäufigsten Fällen das Finanzministerium – da es auf die Rückendeckung des Ministerpräsidenten bauen kann.
Wenn Sie über besonders herausfordernde Zeiten sprechen soll, dann kommt sie auf die Regierungsjahre mit dem Minister Hartmut Möllring. Den Finanzminister von 2003 bis 2013 habe eine „sehr große Konsequenz“ ausgezeichnet, dies habe auch zu der Lage nach der Jahrtausendwende gepasst, als ausufernde Staatsdefizite in Grenzen gehalten werden mussten. Später sei die Schuldenbremse eingeführt worden – und die habe vor allem beim Bund bewirkt, dass Steuersenkungen nicht mehr mit neuen Schulden gegenfinanziert wurden. Die Schuldenbremse bezeichnet sie darum auch als Steuersenkungsbremse. Viele Jahre mit steigenden Steuereinnahmen und niedrigen Zinsausgaben hätten die Gesundung der Staatsfinanzen begünstigt. Eine „harte Zeit“ sei auch markiert worden durch die Corona-Krise, als die Landesverwaltung zunächst im völligen Ausnahmezustand gewesen sei, dazu schnelle Entscheidungen hätte treffen müssen – auch über riesige Kredite, mit denen beispielsweise Schutzmasken oder Impfstoffe erworben werden mussten. Derart wichtige Entscheidungen mussten dann oft eilig per Video-Schaltkonferenzen getroffen werden – mit allen Hindernissen und technischen Problemen, da derartige Kommunikationsformen 2020 noch völlig unerprobt waren. „Alle, die damals entschieden hatten, befanden sich auf Hochtouren – nicht wenige hatten oft noch privat Sorgen um erkrankte Angehörige.“ Das war die Zeit, als es noch keinen Impfstoff gab und die Bilder von Leichentransporten durch Norditalien über die Fernsehschirme flimmerten.

Aber selbst die aufregende Zeit zu Beginn der Corona-Krise hat dem ruhigen Gemüt von ihr nichts anhaben können. Wethkamp ist geboren in Hellwege (Rotenburg-Wümme), hat in Göttingen studiert und 1985 im Finanzministerium angefangen. Ein Jahr später wurde Birgit Breuel die erste Finanzministerin in Niedersachsen, und Wethkamp lernte sie als sehr beeindruckende Persönlichkeit kennen. Zu ihren Aufgaben im Kabinettsreferat zählte damals auch die Rolle der Frauenbeauftragten des Ministeriums. „Zuvor waren in dieser Rolle nur Männer gewesen, denn es gab ja auch nur Männer in Leitungspositionen“, erinnert sie sich. Heute ist es anders, und sei selbst war vor fast 40 Jahren in gewissem Sinne auch eine Vorreiterin für mehr Gleichberechtigung. „Das vielleicht doch als kleine Anekdote“, sagt Martina Wethkamp. Wenigstens eine.