„Die Flüchtlinge verdrängen die Geringverdiener nicht vom Arbeitsmarkt“
Der befürchtete Verdrängungseffekt am Arbeitsmarkt zeigt sich bisher nicht, sagt Klaus Stietenroth, Chef der Bundesagentur für Arbeit in Niedersachsen. Für Nichtqualifizierte gebe es derzeit im Lande genügend freie Stellen, sodass ein Wettbewerb mit den Flüchtlingen nicht erkennbar sei. Stietenroth sagte in seiner Halbjahresbilanz, der niedersächsische Arbeitsmarkt zeige sich in diesem Jahr „erfreulich robust“. Die Zahl der Arbeitslosen sei im Halbjahresdurchschnitt um 6000 auf 257.000 gesunken. Wegen der stabilen wirtschaftlichen Lage erlebe er einen „grundsätzlich positiven Trend“. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen, derzeit 95.800, sei um 2,3 Prozent zurückgegangen.
Stietenroth meint, die Flüchtlinge und Ausländer hätten am Arbeitsmarkt einen zunehmend schwierigen Stand. Im Juni waren 15.300 Flüchtlinge in Niedersachsen arbeitslos gemeldet. Der ursprüngliche Plan, zunächst Deutschkenntnisse und erst anschließend die Berufsqualifikation zu vermitteln, sei nicht mehr ratsam. Beides müsse stärker miteinander verzahnt werden – auch deshalb, weil viele Flüchtlinge nicht lange warten wollten und könnten, bevor sie einen Arbeitsplatz annehmen.
Viele hätten den Drang, rasch Geld zu verdienen – um ihre Familie zu versorgen oder die Schleuser zu bezahlen. Fast zwei Drittel der Flüchtlinge seien für Helferberufe geeignet, nur jeder Achte habe eine so gute Qualifikation, dass er als Fachkraft oder Experte vermittelt werden könne. Drei Fünftel der Geflüchteten, die in Niedersachsen eine Bleibe gefunden haben, seien jünger als 35 Jahre und damit für eine Ausbildung gut geeignet. Typische Jobs, die Flüchtlinge annehmen, seien Tätigkeiten in der Gastronomie, bei Reinigungs- und Zeitarbeitsfirmen. Die Gefahr sei, dass diese Menschen sich aufs Geldverdienen versteifen und auf eine weitere Qualifikation verzichten. Dies müsse verhindert werden, da es die Integration erschwere.
Seit Anfang 2015 sind rund 9000 Flüchtlinge bei den Agenturen und Jobcentern qualifiziert worden, die Integration von 3000 Menschen sei schon mit Erfolg gelungen. Das größte Problem beim Start von Flüchtlingen in niedersächsischen Betrieben ist aus Sicht von Stietenroth die sprachliche Hürde: Wenn die neuen Arbeitnehmer nicht oder nur schlecht Deutsch können, gelinge die Aufnahme in die Betriebe ungleich schwerer. (kw)