
engeren Kooperation mit den Niedersachsen. | Foto: GettyImages/Renato Arap
"Vorwärts, sagte die Oma im Schnee“, heißt ein gängiges finnisches Sprichwort. Trotz aller Widrigkeiten und Widerstände muss es immer vorangehen. Dieser Einstellung haben es die Finnen wohl auch zu verdanken, dass sie trotz ihrer direkten Nachbarschaft zum kriegstreibenden Russland scheinbar besser durch die Krise kommen als die Weltwirtschaftsmacht Deutschland. Inflation, Wirtschaftsabschwung oder Energiepreisschocks haben im Land der tausend Seen deutlich weniger zugeschlagen als hierzulande. „Finnland war auf die Energiekrise besser vorbereitet als viele andere Länder der Eurozone“, sagt die finnische Botschafterin Anne Sipiläinen bei einem Besuch in der Deutschlandzentrale des finnischen Aufzugherstellers Kone in Hannover.
Dort betont die Diplomatin, die seit 2019 die Botschaft in Berlin leitet, vor vielen Wirtschaftsgrößen auch die enge Verbundenheit mit Niedersachsen: „Deutschland ist unser wichtigster Handelspartner. Dutzende finnische Unternehmen sind in Niedersachsen tätig, die bilateralen Beziehungen zwischen Finnland und Hannover sind hervorragend.“ Die niedersächsische Landeshauptstadt sei vor allem als Messestandort in Finnland bekannt und beliebt. Der ruhige und sachliche Vortrag Sipiläinens macht deutlich: Das enge Verhältnis von Finnen und Norddeutschen ist nicht gerade von Leidenschaft geprägt, dafür aber von einer tiefen Wesensverwandtschaft. „Finnland und Deutschland teilen die gleichen Werte und die gleichen Ziele. Auf diesem Fundament können wir gut aufbauen“, sagt die 61-Jährige, die seit 1987 für das finnische Außenministerium arbeitet.

Ausgeglichen ist das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Wirtschaftsnationen freilich nicht. Sowohl beim Import als auch beim Export ist Deutschland für die Finnen der wichtigste Handelspartner. Begehrt sind vor allem chemische Erzeugnisse, Autos und Fahrzeugteile sowie Maschinen mit dem Label „Made in Germany“, die trotz günstigerer chinesischer Konkurrenz bei den Nordeuropäern immer mehr Marktanteile dazugewinnen. Die Finnen wiederum sind nicht einmal unter den Top 20 der wichtigsten deutschen Handelspartner. Gleichwohl hat auch die finnische Maschinenbaubranche einen guten Ruf und beliefert vor allem die Bundesrepublik. Neben dem Aufzughersteller Kone tun sich hier auch der Papier- und Zellstoffmaschinenbauer Valmet, sowie der Forstmaschinenhersteller Ponsse hervor. Aber auch die internationalen Traktorgiganten John Deere und AGCO haben in der früheren Agrarnation wichtige Produktionsstätten.
Außerdem liefern die Finnen viele Rohstoffe (darunter seltene Erden für die Batteriezellenproduktion), Papiererzeugnisse und Autoteile nach Deutschland. „Schon heute steckt in deutschen Fahrzeugen viel Technik und Knowhow aus Finnland“, sagt Sipiläinen. Und die Botschafterin weiß zu berichten, dass die aufstrebende finnische Softwarebranche gerne noch intensiver mit den deutschen Autobauern zusammenarbeiten würde. „Eine technologieoffene Gesellschaft macht Finnland auch zur idealen Testumgebung“, wirbt die Botschafterin für ihr Heimatland, das nicht nur bei der Mobilitätswende einen noch engeren Schulterschluss mit Deutschland sucht, sondern auch bei den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Nachhaltigkeit und Sicherheit.

Der russische Überfall auf die Ukraine hat auch in Finnland eine neue Ära eingeläutet, berichtet Sipiläinen. Die Finnen hätten sich zwar in den vergangenen Jahrzehnten schon daran gewöhnt, „dass wir einen schwierigen Nachbarn haben“. „Seit dem 24. Februar 2022 haben wir eine andere Welt und es gibt kein Zurück. Unser Sicherheitsumfeld hat sich durch den brutalen Angriff Russlands vollkommen geändert.“ Vor dem Angriffskrieg hatte sich nur etwa ein Viertel der Finnen für einen Nato-Beitritt ausgesprochen, inzwischen unterstützen fast 80 Prozent der Bürger die Norderweiterung des Verteidigungsbündnisses. „Sicherheit ist in Finnland schon immer eine Konsens-Sache gewesen“, sagt die ehemalige Staatssekretärin für Außen- und Sicherheitspolitik. Als positiv bewertet sie die Rolle der deutschen Bundesregierung, die nicht nur mit dem Verzicht auf russische Energie ein wichtiges Zeichen gesetzt habe. „Für Finnland ist die Zeitenwende-Rede wichtig gewesen, weil wir am nächsten Tag auch erstmals die Entscheidung getroffen haben, Waffen in ein Krisengebiet zu liefern“, sagt Sipiläinen und betont: „Finnland wird die Ukraine so lange unterstützen, wie es nötig ist.“ Die Regierung von Ministerpräsidentin Sanna Marin veröffentlicht zwar nicht, welche Waffenlieferungen geleistet werden. Sipiläinen stellt aber klar, dass es sich dabei auch um schwere Waffen in nicht geringem Umfang handelt. Inzwischen habe es bereits zwölf militärische Hilfslieferungen aus Finnland für das ukrainische Militär gegeben.
Der Abschied von russischen Brennstoffen sei auch den Finnen zunächst schwergefallen. Die Skandinavier haben jedoch kürzlich auch ein LNG-Terminal in Betrieb genommen und darüber hinaus eine ganz klare Haltung: „Die Energiewende ist nicht nur eine Klimafrage, sondern auch eine Sicherheitsfrage“, sagt Sipiläinen. Anders als in Deutschland sei jedoch Kernenergie in Finnland kein Streitthema in der sozialdemokratisch geführten Fünf-Parteien-Koalition. Schon jetzt stammen 37,9 Prozent der finnischen Stromversorgung aus der Kernenergie, Tendenz steigend. Im März soll der fünfte Kernreaktor des Landes auf der Insel Olkiluoto im Westen des Landes in Betrieb gehen. „Ob wir danach neue Atomkraftwerke bauen, ist eine offene Frage – nicht wegen Widerständen, sondern aus Kostengründen“, sagt die Botschafterin. Es dauere einfach zu lange, um neue Atomkraftwerke zu bauen, und schon jetzt sei Finnland praktisch unabhängig von Energieimporten. Stattdessen will sich das Land auf den Ausbau der Offshore-Windkraft konzentrieren. „Das Potenzial ist hier längst noch nicht ausgeschöpft“, sagt Sipiläinen. Wichtigste erneuerbare Energien in Finnland sind Wasserkraft (19,4 Prozent Anteil am Strommix), Wind an Land (17,5 Prozent) und Biomasse (9,4 Prozent). Der finnische Ausstieg aus der Steinkohle (6 Prozent) ist für 2029 geplant.

„Wenn es um Nachhaltigkeit, Bildung und Digitalisierung geht, befindet sich Finnland laut diversen Rankings weltweit auf Platz eins. Und die Finnen werkeln schon an ihrer nächsten Spitzenposition. „Wir glauben, dass wir in Finnland gute Voraussetzungen haben, um ein führendes Land der Wasserstofftechnologie zu werden“, sagt Sipiläinen. Das klingt zwar zunächst nach einer Kampfansage an Niedersachsen, das laut Wirtschaftsminister Olaf Lies zum „Wasserstoffland Nummer eins“ werden möchte. Doch von den finnischen Ambitionen können auch deutsche Firmen profitieren, wie aktuell der Bau des ersten finnischen Wasserstoff-Elektrolyseurs beweist, der in Kooperation mit dem Dresdner Unternehmen Sunfire entsteht. Bei der Entwicklung von Produkten auf Holzbasis gelten die Finnen bereits als Technologieführer. „Alles, was man aus Plastik macht, kann man auch aus Holz herstellen“, sagt Sipiläinen. Die weltweit erste Bioraffinerie baut der finnische UPM-Konzern in Leuna (Sachsen-Anhalt). Das 550-Millionen-Euro-Projekt soll im Laufe des Jahres in Betrieb gehen und fossile Rohstoffe für PET-Kunststoffe, Textilien oder Kosmetika durch nachhaltig erwirtschaftetes Holz ersetzen. UPM ist auch in Niedersachsen wohlbekannt, denn in Dörpen (Landkreis Emsland) betreibt das Unternehmen aus Helsinki die nach eigenen Angaben größte Papierfabrik des Kontinents. Der dafür benötigte Zellstoff wird vom Mutterkonzern per Schiff angeliefert.

„Die strategische Autonomie Europas ist eine der wichtigsten Herausforderungen, vor der wir derzeit stehen“, sagt Sipiläinen. Hierbei könnte vor allem Nokia noch eine wichtige Rolle spielen. Denn wer beim Ausbau der Digitalfunknetze nicht auf chinesische oder amerikanische Technologie zurückgreifen will, kommt am finnischen Telekommunikationsunternehmen oder dem schwedischen Ericsson-Konzern nicht vorbei. Während Ericsson derzeit bei 5G die Nase vorn hat, will Nokia das 6G-Zeitalter dominieren. Der Konzern plant, den Mobilfunkstandard der Zukunft ab 2030 kommerziell einzuführen. Auf die Frage, warum die Digitalisierung in Finnland besser funktioniert als in Deutschland, hat Sipiläinen eine einfache Antwort: „In Finnland ist es ganz natürlich, alles digital zu tun. Man akzeptiert gar nicht, dass es keine digitalen Dienstleistungen der Behörden gibt.“
Dahinter stecke auch ein höheres Vertrauen in die staatlichen Stellen, denen die Finnen deswegen zum Beispiel auch leichtfertiger ihre Gesundheitsdaten anvertrauen als es etwa die Deutschen tun. „Finnland ist eine Vertrauensgesellschaft. Vertrauen hält die Gesellschaft auch in Krisenzeiten zusammen“, so die Botschafterin. Mit etwas Sorge blickt Sipiläinen dagegen auf die Arbeitskräfteentwicklung. „Fachkräftemangel ist auch in Finnland ein Thema“, sagt sie. Im Gesundheitsbereich sei das Problem schon spürbar, in der IT-Branche im Wachsen. Zwei Monate vor den Parlamentswahlen in Finnland, die am 2. April stattfinden, laufe die Lösungssuche jedoch auf Hochtouren. Zudem habe das 5,5 Millionen Einwohner starke Land einen klaren Vorteil bei der Suche nach ausländischen Fachkräften: „Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist leicht. In Finnland sprechen alle Englisch.“