5. März 2023 · Wirtschaft

Streit um verkaufsoffene Sonntage bekommt im Raum Osnabrück neuen Schwung

In der Osnabrücker Innenstadt lassen sich verkaufsoffene Sonntage nur mit großem Aufwand organisieren. Die Einzelhändler sehen sich deswegen im Nachteil zur Konkurrenz in den Niederlanden und NRW. | Foto: Stadt Osnabrück/Referat Medien

Im Westen von Niedersachsen wächst die Unzufriedenheit mit dem Ladenöffnungsgesetz. Die Einzelhändler aus dem IHK-Gebiet Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim fordern Erleichterungen bei den Sonntagsöffnungen. „Um im Wettbewerb zu den Niederlanden, zu Nordrhein-Westfalen und selbst zu den eigenen Kurorten zu bestehen, brauchen wir in der Region dringend eine einfache und belastbare Lösung zur Durchführung von verkaufsoffenen Sonntagen ohne besonderen Anlass“, sagt IHK-Vizepräsident Mark Rauschen. Die Innenstädte im Grenzgebiet haben aus Sicht der Einzelhändler einen entscheidenden Nachteil: In den Niederlanden ist grundsätzlich jeder Sonntag verkaufsoffen. Nordrhein-Westfalen hatte 2018 die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage pro Kommune von maximal vier auf acht pro Geschäft erhöht.

Niedersachsen verfolgt bei Sonntagsöffnungen dagegen wie die meisten anderen Bundesländer einen sehr restriktiven Kurs: Pro Ortsteil sind nur vier verkaufsoffene Sonntage aus besonderem Anlass erlaubt. Für Orte mit touristischer Bedeutung, vor allem für die 107 niedersächsischen Kur- und Erholungsorte, gelten (teilweise sehr weitreichende) Ausnahmen. Die schwer überschaubare Gesetzeslage hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit einem Grundsatzurteil im Jahr 2020 nochmals verkompliziert. Demnach liegt ein besonderer Anlass für eine Sonntagsöffnung nur dann vor, wenn die geplante Veranstaltung den Tag prägt und kein bloßes Anhängsel ist. Als Leitlinie gilt: Der Anlass für eine Sonntagsöffnung muss mehr Besucher anziehen als die Geschäftsöffnung selbst. Aber wie will man das mit Sicherheit prognostizieren? Immer wieder müssen deswegen die niedersächsischen Verwaltungsgerichte im Einzelfall entscheiden.

„Die Auflagen für diesen ‚Anlassbezug‘ sind für die Werbegemeinschaften sehr schwer darstellbar und sehr bürokratisch“, erläutert die Osnabrücker IHK-Geschäftsbereichsleiterin Anke Schweda und erinnert sich noch gut an die kurzfristige Absage des verkaufsoffenen Sonntags im Oktober 2020. Diesen hatte die Gewerkschaft Verdi mit einem Eilantrag drei Tage vor der Veranstaltung verhindert. Das Verwaltungsgericht Osnabrück gab dem Einspruch statt, weil ein Schausteller-Markt am Sonntag nicht genug Besucher in der City versprochen hätte. Die Stadt hatte mit 25.000 Besuchern kalkuliert, laut Gericht hätten es aber 100.000 sein müssen – genauso viele, wie an einem üblichen Werktag ohne besondere Events durch die Osnabrücker Innenstadt schlendern. Besonders ärgerlich für die Einzelhändler war dabei, dass die Stadt für die ebenfalls geplante Kunstaktion zum 300. Geburtstag des Juristen Justus Möser keine Besucherströme vorausgesagt hatte. Dadurch wurden die potenziellen Gäste des Möser-Jubiläums vor Gericht nicht gewertet.

Aus ähnlichen Gründen wurde im Frühjahr 2022 ein verkaufsoffener Sonntag in Lingen abgesagt, der in Kombination mit einer Automeile und einer Oldtimerausstellung stattfinden sollte. In Bramsche und Wallenhorst (beide Landkreis Osnabrück) wurden Sonntagsöffnungen in Verbindung mit Jahrmärkten vom Gericht auf den Innenstadtbereich beschränkt. „Das frustriert und demotiviert“, beschreibt Schweda die Situation im Einzelhandel und sagt: „In Summe haben genau wegen dieser Entscheidungen und nicht vorhandener Planungssicherheit viele Werbegemeinschaften schlichtweg resigniert und beantragen erst gar nichts mehr.“ Von den Unternehmern habe sie die Rückmeldung erhalten, dass die Belegschaft durchaus gerne an den wenigen Sonntagen im Jahr arbeiten würde.

Gewerkschaften wollen Ausnahmen für Sonntage streichen

Die Gewerkschaften sehen das anders. Die „Allianz für den freien Sonntag“ hat erst vergangene Woche wieder ihre Forderung bekräftigt, die grundgesetzliche Garantie des Ruhetages nicht weiter auszuhöhlen. „Sonntagsschutz ist Gesundheitsschutz“, sagt Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Es könne nicht sein, dass bestehende Schutzvorschriften „zugunsten von Dividenden und einseitiger Unternehmensinteressen geschleift werden“. Auch der Bundespräses der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung (KAB), Stefan Eirich, sieht in der „Gewinnabsicht von Kaufleuten“ keinen legitimen Grund für Sonntagsöffnungen.

„Wir brauchen deshalb nicht mehr, sondern weniger verkaufsoffene Sonntage. Die bestehenden Ausnahmeregelungen in den Bundesländern sollten überprüft werden“, sagt Eirich. Die Vorsitzende des evangelischen Verbands Kirche Wirtschaft Arbeitswelt (KWA), Gudrun Nolte, fordert darüber hinaus, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht durch Arbeitszeiten am späten Abend zu erschweren. „Im Einzelhandel arbeiten überwiegend Frauen. Wenn die Läden bis spät in die Nacht oder am Sonntag geöffnet bleiben, sind sie die Hauptbetroffenen. Das Leben mit und in der Familie, mit Kindern, Freunden, Bekannten, bleibt auf der Strecke“, sagt Nolte.

Auf der Strecke zu bleiben, droht aber auch der innerstädtische Einzelhandel. Leerstand und Verödung nehmen allerorts zu. Laut der jüngsten „Deutschlandstudie Innenstadt“ des Marktforschungsunternehmens Cima ist zur Revitalisierung der Innenstädte auch eine Flexibilisierung nötig, um Online- und Offline-Handel in eine ausgewogenere Wettbewerbssituation zu bringen. Diese Anforderung stellen vor allem die unter 30-Jährigen, die besonders innenstadt-affin sind. Dass verkaufsoffene Sonntage wichtig oder sehr wichtig sind, findet in dieser Altersgruppe jeder zweite (54,1 Prozent). Zwei von drei unter 30-Jährigen (67,2 Prozent) wünschen sich verlängerte Öffnungszeiten am Abend. Dieser Forderung schließt sich auch jeder zweite „Best Ager“ (30 bis 64 Jahre) an. Dem überwiegenden Teil der „Silver Ager“ (ab 65 Jahre) reichen die regulären Öffnungszeiten unter der Woche dagegen vollkommen aus.

Quelle: CIMA Beratung + Management GmbH

Laut den Marktforschern sollten aber nicht die Interessen der Senioren den Innenstadtumbau prägen, sondern die Wünsche und Vorstellungen der „Generation Y“ besondere Berücksichtigung finden. „Auch zukünftig wird nicht nur der Einzelhandel die Attraktivität unserer Innenstädte bestimmen, sondern das Miteinander von Einzelhandel, Gastronomie, Kultur- und Freizeitangeboten. Voraussetzung ist jedoch eine (noch) stärkere Fokussierung auf die Interessen der jungen Menschen und den damit verbundenen Wertewandel – egal ob beim Shopping oder bei Events“, betont Cima-Projektleiterin Julia Lemke.

Ein Kunde, der am Sonntag in NRW oder in den Niederlanden einkauft, kommt für diese Einkäufe in der nächsten Woche von montags bis sonnabends nicht nach Niedersachsen.

Anke Schweda, IHK-Geschäftsführerin

Die IHK in Osnabrück kann den von Marktforschern beschriebenen Trend nur bestätigen. „Wir stellen fest, dass die regionalen Handelszentralitäten von Mittel- und Oberzentren durch die verschiedenen Lockdown-Phasen während der Corona-Pandemie rückläufig waren. Gleichzeitig sind Frequenzen gesunken und Leerstände gestiegen – dies bis heute“, sagt Schweda. Besonders die Einzelhändler mit innenstadtrelevanten Sortimenten wie Bekleidung, Lederwaren (Koffer, Taschen, Schuhe), Schmuck, Bücher und Spielwaren hätten bedingt durch Covid-19, aber auch aufgrund der wachsenden Konkurrenz durch den Online-Handel Umsatzeinbußen erfahren. In den Innenstädten von Nordhorn über Meppen, Lingen, Quakenbrück, Bramsche, Osnabrück und Georgsmarienhütte bis Melle werde unter der Woche immer weniger eingekauft. Insbesondere Arbeitnehmer und Familien würden verstärkt an den Sonnabenden – und wenn möglich auch sonntags – einkaufen gehen, weil das besser mit Beruf, Familie und Freizeitverhalten vereinbar sei. Dass Niedersachsen an Sonntagen shoppen gehen, könne das Ladenschlussgesetz aufgrund der Nähe zu niederländischen und nordrhein-westfälischen Einkaufsstädten kaum verhindern. Schweda merkt dazu an: „Ein Kunde, der am Sonntag in NRW oder in den Niederlanden einkauft, kommt für diese Einkäufe in der nächsten Woche von montags bis sonnabends nicht nach Niedersachsen. Das ist dann auch hausgemachter Strukturwandel. Gleichzeitig gibt es vom Land Niedersachsen zahlreiche Förderprogramme in Millionenhöhe, die Innenstädte revitalisieren sollen. Zwei gegenläufige Ansätze, die leicht auflösbar wären.“

Die Zukunft aller Handelslagen in Städten und Gemeinden hängt von der Fähigkeit der Kommunen ab, frühzeitig die richtigen Weichen zu stellen.

Mark Rauschen, IHK-Vizepräsident

Von den niedersächsischen Kommunen erwartet die IHK, dass sie die Innenstadtentwicklung nach Kräften unterstützen. „Die Zukunft aller Handelslagen in Städten und Gemeinden hängt von der Fähigkeit der Kommunen ab, frühzeitig die richtigen Weichen zu stellen“, sagt IHK-Vize Rauschen. Eine kluge Stadtplanung müsse die Trends im Einkaufsverhalten der Konsumenten vorausschauend umsetzen. Rauschen gilt als Verfechter des Erlebnisshoppings und hat das Familienunternehmen Lengermann & Trieschmann (L&T) in den vergangenen Jahren vom Modehaus zum „Lifestyle- und Erlebnisquartier“ ausgebaut, das jährlich sechs Millionen Besucher anzieht. 2007 eröffnete L&T eine Markthalle, im Jahr darauf ein eigenes Parkhaus. 2016 kam das Café „Mr. Lemoncake“ dazu, 2018 ging das L&T-Sporthaus mit Fitnessstudio und Indoor-Surf-Anlage „Hasewelle“ an den Start. 2019 machte das Unternehmen auch noch eine Tapas-Bar auf. „Wer im Strukturwandel bestehen möchte, braucht viel Durchhaltevermögen, frische Ideen und starke Partner“, betont der Chef des größten inhabergeführten Bekleidungsgeschäfts Norddeutschlands. Das Credo im IHK-Handelsausschuss laute: „Einzeln stark, gemeinsam stärker.“ Durch Kooperationen bei Einkauf, Werbung und Schulungen hätten die Unternehmen mehr Zeit, sich auf die Kunden und strategische Gedanken abseits des Tagesgeschäfts zu konzentrieren. Auch das Land könne den Einzelhändlern hierbei unter die Arme greifen. „Wenn die Politik es mit ihrem Angebot nach Bürokratieabbau ernst meint, dann gehört eine verlässliche Rechtsgrundlage für verkaufsoffene Sonntage ganz oben auf die Agenda“, sagt Schweda.

Shopping als Erlebnis: Im L&T-Sporthaus in der Osnabrücker Innenstadt können Besucher auf der „Hasewelle“ surfen. Die Wellenhöhe lässt sich für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis anpassen. | Foto: L&T
Dieser Artikel erschien am 6.3.2023 in Ausgabe #041.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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