15. Sept. 2020 · 
Bildung

Die Corona-Krise zeigt, wie nötig flexible Regeln in den Schulen sind

Mehr als 800.000 Schüler besuchen eine der rund 2800 allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen, sie werden von rund 70.000 Lehrkräften unterrichtet. Allein diese Dimension macht deutlich, dass ein „Eine Größe passt für alle“-Prinzip nur schwer umsetzbar ist – erst recht in Corona-Zeiten. Dennoch wird an diesem Dienstag im Landtag immer wieder nach einheitlichen Vorgaben des Kultusministeriums für alle Schulen gefragt. Warum denn ein gestaffelter Schulstart nur empfohlen worden sei, anstatt den Schulen verbindliche Vorgaben an die Hand zu geben, fragt zum Beispiel der Grünen-Politiker Volker Bajus den Kultusminister und verweist auf zahlreiche Diskussionen vor Ort, die dadurch ausgelöst worden seien. „Wenn wir aus Hannover sagen, es gibt nur einen einzigen richtigen Weg, dann werden wir den unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort nicht gerecht. Deshalb wird es nicht verbindlich für alle Schulen vorgeschrieben“, antwortet Grant Hendrik Tonne. „Es gibt nicht nur einen Weg“, das ist das Mantra des Kultusministers in den vergangenen Monaten, und dieses Prinzip wird im verminten Gelände der Kultuspolitik zum Spießrutenlaufen zwischen den Forderungen der Opposition nach mehr klaren Vorgaben und den Appellen der Verbände, die sich zwar möglichst viel Freiraum, aber am besten möglichst wenig Verantwortung wünschen. Die Verantwortung „kann nicht auf den Schultern der Schulleitungen lasten“, hieß es in einem Schreiben des Schulleitungsverbands zum neuen Schuljahr.
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Im Kern geht es seit Wochen in den Debatte um den Umgang mit dem Coronavirus an den Schulen um das Prinzip der Eigenverantwortung. Gerade die Gewerkschaften haben sich seit Jahren daran gewöhnt, bei allen Mängeln, und davon tauchen in einem solchen System immer mehr auf, als Schülern, Eltern und Lehrern lieb sein kann, mit dem Finger auf das Kultusministerium zu zeigen. In der Corona-Krise hat Tonne den Spieß umgedreht. Das Kultusministerium gab einen Rahmen an die Hand, in dem  sich Schulen, aber auch die regionalen Gesundheitsämter, bewegen müssen. https://www.youtube.com/watch?v=ZOYU01Ecigw Nun müssen - oder besser: können - die Schulen, und vor allem die Direktoren, sich beweisen. Das führt bei einigen immer wieder zu Klagen, bei anderen klappt vieles erstaunlich reibungslos. Das stellt auch die Landtagsopposition vor Probleme. Was kann man landesweit am besten einfordern? Die FDP, eigentlich der politische Hort der Eigenverantwortung, forderte von Tonne schon eine „klare Regelung“ für alle Schulen, eine Teststrategie und die generelle Schulquarantäne für alle Urlaubsheimkehrer ohne negativen Test. Die Grünen warnten davor, dass das System gerade an Grund-, Haupt-, Real- und Oberschulen zu kollabieren drohe, weil es auch noch zu wenig Lehrkräfte gebe. Hinzu kämen zu allem Übel auch noch fehlende Waschbecken und marode Toiletten in den Schulen.
Die Katastrophe ist bisher ausgeblieben, das System ist nicht kollabiert.
Nun hat vermutlich kaum jemand in Niedersachsen damit gerechnet, dass während der Sommerferien in den Klassenzimmern auf die Schnelle Waschbecken montiert und Toiletten saniert werden. Vermutlich wäre das nicht einmal unter einer Grünen-Kultusministerin möglich gewesen. Und es gab auch keine Schulquarantäne für Reiserückkehrer. Dennoch ist die Katastrophe bisher ausgeblieben, das System ist nicht kollabiert. Die Zahlen scheinen Tonnes Strategie recht zu geben. Aktuell seien 109 Schüler, 17 Lehrer und eine einstellige Anzahl von Mitarbeitern landesweit an Covid-19 erkrankt, teilte der Kultusminister am Dienstag im Landtag mit. Auch wenn einzelne Klassen und auch Jahrgänge in Quarantäne geschickt wurden, ist eine massenhaften Corona-Verbreitung an den Schulen und ein weitgehender Zusammenbruch des Regelunterrichts ausgeblieben. Die Schulen kämpfen natürlich mit den örtlichen Gegebenheiten. Mal führt das Prinzip des ständigen Durchlüftens zu einer erhöhten Krankheitsrate in den Klassen, weil die Schüler in den Klassenzimmern ständiger Zugluft ausgesetzt sind, andernorts beschweren sich Lehrkräfte über eine Bahnhofsatmosphäre, weil geöffnete Türen und versetzte Pausenzeiten zu einem Lautstärkepegel im Klassenzimmer führen, der konzentrieren Unterricht deutlich erschwert. Aber dafür, dass vor den Sommerferien noch niemand wusste, wie es wohl nach den Ferien weitergehen würde, verläuft der Unterricht an den Schulen in der Gesamtsicht erstaunlich reibungslos. Für den Fall, dass sich die Infektionslage deutlich verschlechtert, habe man bereits in den Sommerferien entsprechend vorbereitet, erklärt Tonne in der Plenarsitzung. „Wir sind in einem solchen Fall regional jederzeit handlungsfähig.“ Aktuell spricht Tonne von „lokalen beziehungsweise regionalen Ereignissen, die bislang nicht dazu führten, dass man in das „Szenario B“ wechseln müsse. „Szenario B“ steht dabei für das Wechselmodell, also einer Kombination aus Präsenzunterricht und Home-Schooling, wie es bereits vor den Sommerferien der Fall war. Ein schwer zu lösender Knackpunkt bleibt weiterhin die Schülerbeförderung. Die Situation werde „mit Blick auf die kommenden Wintermonate sehr genau analysiert“, erklärt Tonne genauso unverbindlich, wie es auch gemeint ist. Denn für deutliche Veränderungen fehlt es an Fahrzeugen, Fahrern und auch an Mitteln. Im Zweifel nutzen viele Schüler, so sie nicht auf dem Land weite Strecken zurücklegen müssen, bereits jetzt Alternativen, zum Beispiel ihre Fahrräder. Damit handeln sie im besten Sinne eigenverantwortlich. Von Martin Brüning
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #162.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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