Und wieder stehen sie mit ihren Traktoren vor einem Werkstor und demonstrieren. Am vorvergangenen Freitag ging es los, diesmal in Zeven (Landkreis Rotenburg), wo das Deutsche Milchkontor (DKM) seinen Sitz hat. Das DKM ist einer der größten Milchverarbeiter in Deutschland. Unter anderem hier wird der Preis gemacht, den die Landwirte für den Liter Kuhmilch erhalten. Eigentlich entwickelt sich der Milchpreis auf dem Weltmarkt positiv. Zuletzt wurde ein Anstieg um 23 Prozent verzeichnet. Doch nach Angaben der protestierenden Bauern werden davon nur gut drei Prozent auch an die heimische Landwirtschaft weitergegeben. Angesichts der steigenden Kosten auf dem Betrieb, nicht zuletzt für das Tierfutter, sei das nicht mehr machbar, klagt Vanessa Avanzini im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Avanzini gehört dem frisch gewählten Vorstand von „Land schafft Verbindung Niedersachsen-Bremen e.V.“ an. Erst im Mai hat sich die zuvor seit knapp anderthalb Jahren agierende Bauern-Protestbewegung in Form eines eingetragenen Vereins zusammengeschlossen und einen ordentlichen Vorstand gewählt. An der Spitzen steht Dirk Koslowski aus Wohnste (Landkreis Rotenburg), der schon seit geraumer Zeit zum neuen Gesicht der Bewegung avanciert ist. Ihm zur Seite stehen Uwe Michaelis aus Bremen und Horst Meyer aus Bokel (Landkreis Cuxhaven) sowie als Kassenwart Arne Santelmann aus Wienhausen (Landkreis Celle) und als Schriftführerin Avanzini aus Kutenholz (Landkreis Stade). Bislang ist von den früheren Sprechern Henriette Struß oder Albert Stegeman keiner mehr im fünfköpfigen Führungsteam vertreten. Ein Beirat soll künftig die 21 regionalen Gruppen repräsentieren und wiederum fünf Vertreter in den Landesvorstand entsenden.
Ist die Bewegung nun angekommen – etabliert oder erstarrt? Seit der ersten Nachricht in den sozialen Netzwerken, die den Grundstein für die bundesweite Bewegung gelegt hat, ist jedenfalls eine Menge geschehen. Den Anfang machte im Oktober 2019 eine Traktor-Demo, die im gesamten Bundesgebiet für Aufsehen sorgte. Frühmorgens brachen die Landwirte auf ihren Schleppern auf und fuhren in Kolonnen durch die ganze Republik. Viele junge, viele nicht-organisierte und viele wütende Bauern waren damals dabei. Die Aktion, die im Hintergrund auch vom Landesbauernverband unterstützend mitorganisiert worden war, zeigte Wirkung. Die wichtigsten Agrarpolitiker des Landtags kamen, egal welcher Couleur. Kritik äußerten die Landwirte am Agrarpaket der Bundesregierung, aber auch die Umsetzung der Düngeverordnung auf Landesebene brachte sie gegen „die Politik“ auf. Das Hauptanliegen damals wie heute: redet mit uns! An diesem Gefühl hat sich bislang wenig geändert, deshalb folgten immer weitere Demos oder Blockaden von Zufahrten beispielsweise beim Lebensmitteleinzelhandel.
In der Zwischenzeit haben sich die Organisatoren der Protestbewegung aber auch zu ernsthaften Gesprächspartnern für die Politik entwickelt. Als im vergangenen Jahr der sogenannte „niedersächsische Weg“ als Kompromissformel zwischen Umwelt- und Naturschutzverbänden auf der einen und Vertretern der Landwirtschaft auf der anderen Seite eingeschlagen wurde, saßen Vertreter von „Land schafft Verbindung“ mit am Verhandlungstisch. Bemerkenswert daran ist, dass die Landespolitik die Bewegung als Gesprächspartner zuließ, obwohl sich hinter den Kulissen der Demonstrationen noch keine feste Struktur etabliert hatte. Möglich gemacht hat das der klassische Bauernverband, das Landvolk. Die Politik hatte der Landwirtschaft eine gewisse Anzahl von Plätzen zugeteilt, die Verbände entschieden schließlich eigenständig, wie sie diese besetzten. Trotz eines insgesamt guten Verhältnisses zwischen Landvolk und Bewegung äußerte im vergangenen Herbst Holger Hennies, der im Dezember 2020 dann zum neuen Landvolk-Präsidenten gewählt wurde, im Rundblick-Interview dann auch zarte Kritik an der Bauernbewegung: Verhandlungen seien schwierig, solange „Land schafft Verbindung“ keine gewählten Strukturen habe. „Bei einer losen Bewegung ist es schwierig, verbindliche Zusagen zu bekommen, an die sich dann auch alle halten“, führte Hennies aus. Damals wurde berichtet, einzelne Gruppierungen innerhalb der Bauernbewegung hielten sich gezielt aus den Verhandlungen heraus, damit sie hinterher nicht in Mithaftung genommen werden könnten.
Mit dem ersten gewählten Vorstand gibt es nun jedenfalls klare Ansprechpartner, doch an den losen Strukturen dahinter hat sich offenbar noch nicht allzu viel verändert. Auf die Frage, wie Verhandlungserfolge denn mit den Mitgliedern an der Basis rückgekoppelt werden, erklärte Avanzini im Rundblick-Gespräch, jemand erstelle dann ein Video, in dem der Sachverhalt erklärt werde, und das teile man dann in den vielen Whatsapp-Gruppen, auf die sich der Verein in seiner Kommunikation noch immer ganz wesentlich stützt. Die Videos, führte sie weiter aus, erstelle meist Anthony Lee, ein Landwirt aus dem Landkreis Schaumburg. Der wiederum ist zwar sehr aktiv innerhalb von „Land schafft Verbindung“, gehört aber eben nicht dem gewählten Landesvorstand an. Wer spricht also für die Bauernbewegung? Auf diese Frage findet der Verein so recht noch keine Antwort, gerade weil er sich nach wie vor als Bewegung versteht. Zwar haben sich Fachgruppen mit einer enormen Expertise gebildet, doch sprechfähig im Sinne des gesamten Verbandes scheint kaum jemand zu sein. So kommt es nicht selten vor, dass man als Journalist mit einem Gesprächspartner zwar über die fehlende Herkunftskennzeichnung bei Milch und Fleisch reden kann, nicht aber bei Eier.
Parallel zu „Land schafft Verbindung“ existiert nun seit einiger Zeit noch ein anderer loser Zusammenschluss, der sich „Bauern+Basis=Bewegung“ nennt und beispielsweise im Namen von „Land schafft Verbindung“ Pressemitteilungen verschickt, etwa zu den Protesten in Zeven. Ist das nun die richtige Basis, weil die vorherige Basisbewegung zu etabliert ist? Das könne man so nicht sagen, erklärt Avanzini im Rundblick-Gespräch. Die Bauern-Basis-Bewegung sei zwar ein loser Zusammenschluss, habe aber auch Struktur, und sei keine Alternative zu „Land schafft Verbindung“, sondern bestehe teilweise aus denselben Leuten. Es scheint, als lebe der Bauernprotest von einem verworrenen Konstrukt aus freien, Vereins- und Verbands-fernen Landwirte, die sich zwar engagieren wollen, aber die feste Bindung am Ende doch noch scheuen. Gezeigt hat sich diese fehlende Verbindlichkeit und der Hang zur Basisdemokratie auch wieder in Zeven beim Deutschen Milchkontor. Zuerst wollte niemand mit den protestierenden Bauern reden, dann lud die Geschäftsführung die Rädelsführer doch zum Gespräch an den Konferenztisch – doch das war gegen die Marschrichtung der Bewegung, man wollte nicht, dass Einzelne ins „Hinterzimmer“ geführt werden. Schließlich ließ sich die Betriebsführung doch auf Gespräch vor den Werkstoren ein. Aber nur ohne Kamera.
Dass es anders geht, hat die Bauernbewegung ja bereits bewiesen – beim „niedersächsischen Weg“ oder beim Insektenschutzgesetz etwa. Dennoch wiederholt sich immer wieder die Klage, niemand rede mit ihnen. Doch es wird geredet, es wird verhandelt. Allein, es kann nicht jeder Konzernchef mit jedem Landwirt einzelne Gespräche führen. Interessen müssen gebündelt, Absprache verbindlich ausgehandelt werden. Ansonsten bleibt es oberflächlich, und wird ermüdend für diejenigen, die sich in der Bewegung aufreiben: „Wir kämpfen und kommen nicht voran“, klagt Avanzini. Dabei kommt die Bauernbewegung sehr wohl voran. Sie käme vermutlich noch schneller voran, wenn sie sich stärker auf die bestehenden Strukturen einlassen würden, und den Pfad der Basisbewegung allmählich aufgäbe. Doch dann, so steht zu befürchten, verlieren sie wohl ihren Schwung, ihre Dynamik, die sie derzeit noch trägt.
Von Niklas Kleinwächter