Ist es im Jahr 2022 eigentlich noch ein Problem, wenn man sich mit dem HI-Virus infiziert? Aus medizinischer Sicht nicht, sagt Jürgen Hoffmann, Vorstand des „Landesverbands sexuelle Gesundheit Niedersachsen“, wie sich die niedersächsische Aidshilfe neuerdings nennt. Das Therapieangebot ist gut, man kann inzwischen ein ziemlich normales Leben führen, wenn man rechtzeitig mit einer Behandlung beginnt.

Kerstin Tack, Martina Thorausch (LPK), Jürgen Hoffmann und Dirk Engelmann. | Foto: Kleinwächter

Natürlich könnte das Testangebot in einem Flächenland wie Niedersachsen ausgeweitet werden, findet Hoffmann, und auch die spezialisierten Arztpraxen konzentrieren sich natürlich eher auf Ballungsräume. Allerdings sei Niedersachsen mit drei Spezialambulanzen in Göttingen, Hannover und Osnabrück und insgesamt 13 Spezialpraxen recht gut aufgestellt, meinen Experten. Laut neusten Zahlen des Robert-Koch-Instituts kommt es in Deutschland und auch in Niedersachsen zu einer Stagnation bei den Neuinfektionen. Im vergangenen Jahr sollen sich hier knapp 120 Menschen mit dem Virus angesteckt haben. Insgesamt geht man von rund 3650 HIV-Fällen in Niedersachsen aus.

Aber ein komplett sorgenfreies Leben steht einem offenbar auch jetzt noch nicht bevor, wenn man positiv auf HIV getestet wird, denn Unwissenheit führe noch immer zu Diskriminierung, erklärt Hoffmann. „Die meisten Diskriminierungsfälle erleben wir im Gesundheitsweisen“, sagt er und berichtet von Zahnärzten, die Betroffene nicht behandeln wollen oder sie aus angeblich hygienischen Gründen immer ans Ende der Sprechstunde legten. Und auch im Berufsleben kommt es noch zu Ungleichbehandlungen. Besonders im Pflegebereich seien Unwissenheit und daraus resultierende Vorurteile und Ängste noch verbreitet, weiß Sebastian Bathge vom „Checkpoint Hannover“ zu berichten.


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So habe es in Niedersachsen beispielsweise den Fall einer Pflegekraft gegeben, deren HIV-Infektion von den Kollegen bemerkt wurde. Diese sollen die Medikamente der Frau in ihrem Spint entdeckt und die neu gewonnenen Informationen an den Arbeitgeber weitergegeben haben – was schließlich eine Kündigung der Betroffenen zur Folge hatte, erzählt Bathge. Dass es aber auch anders laufen kann, zeigt ein anderes Beispiel aus der Arbeit des Sozialarbeiters. Ein Beschäftigter aus der Pflegebranche habe sich vorab bei ihm mit Informationen ausstatten lassen, damit er dann seine HIV-Infektion aktiv bekanntgeben und seinen Kollegen die Situation erklären konnte. Das Ergebnis war ein anderes, deutlich positiveres.

„HIV ist eine chronische, aber gut behandelbare Infektion. Aber noch immer kann HIV den Weg in die Arbeitswelt verhindern.“

Jürgen Hoffmann, Landesverband sexuelle Gesundheit Niedersachsen

„HIV ist eine chronische, aber gut behandelbare Infektion“, erklärt Hoffmann im Vorfeld des Welt-Aids-Tages, der regelmäßig am 1. Dezember die Herausforderungen rund um die Immunschwächeerkrankung ins öffentliche Bewusstsein rufen soll. „Aber noch immer kann HIV den Weg in die Arbeitswelt verhindern“, fügt der Braunschweiger hinzu. Dabei sei ein positiv auf das Virus getesteter Arbeitnehmer genau so leistungsfähig wie jeder andere, sofern seine Therapie gut eingestellt ist. Statistisch gesehen sei einer von 800 Erwerbstätigen positiv. Die Zahl der krankheitsbedingten Fehltage dieser Betroffenen fiele aber nicht höher aus als bei anderen chronisch Erkrankten und sogar etwas geringer als bei der Gesamtheit der Bevölkerung. Beim „Landesverband sexuelle Gesundheit“ geht man davon aus, dass das daran liegt, dass der Gesundheitszustand der Betroffenen durch die Therapie viel häufiger überprüft werde.

Diese Informationen will die ehemalige Aidshilfe nun weiter in die Bevölkerung tragen. Seit zwei Jahren versuchen sie das bereits mit ihrer Kampagne „n = n“, die verdeutlichen soll, dass das HI-Virus nicht mehr übertragen werden kann, wenn es durch die Therapie so weiter unterdrückt wird, dass es im Blut auch nicht mehr nachgewiesen werden kann. Immerhin habe man es geschafft, die Quote derjenigen, denen dieser Umstand bekannt ist, von zehn auf 18 Prozent zu erhöhen. Aber da ist noch Luft nach oben. Noch immer herrscht ein angsterfülltes Bild von der Aids-Pandemie der 1980er Jahre in den Köpfen vieler Menschen vor. Diese Bilder möchte man vertreiben, so Hoffmann. Auch deshalb hat man sich vom Namen „Aidshilfe“ verabschiedet, denn es geht eher um das HI-Virus als um den Ausbruch der Erkrankung, den man frühzeitig verhindern möchte.

In Niedersachsen will man dieser Tage nun erneut ein Zeichen setzen. Nachdem bereits im vergangenen Jahr Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) die „Deklaration positiv arbeiten“ unterzeichnet hat, schließen sich nun andere Arbeitgeber an. Am vergangenen Freitag setzte stellvertretend für den Paritätischen Wohlfahrtsverband Niedersachsen dessen Vorsitzende Kerstin Tack symbolisch ihr Signum unter die Deklaration. Angeschlossen haben sich außerdem Dirk Engelmann von der Techniker Krankenkasse (TK) sowie Francesca Ferrari vom Landesverband für das freiwillige Engagements (LAGFA) und Uta Engelhardt vom Landesverband „pro familia“.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Techniker Krankenkasse, „pro familia“ und die LAGFA unterzeichnen die „Deklaration positiv arbeiten“. | Foto: Kleinwächter

Tack betonte, dass es für den Paritätischen Wohlfahrtsverband mit seinen 3,5 Tausend Beschäftigten eine Selbstverständlichkeit sei, sich für Toleranz, Vielfalt und Solidarität einzusetzen. TK-Chef Engelmann erläuterte, dass es darüber hinaus für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem wichtig sei, eine Integration in das Erwerbsleben zu ermöglichen. Denn Isolation in Folge einer Infektion könnten noch weitere, psychische Erkrankungen nach sich ziehen, warnte er. Die Unterzeichnung der Deklaration soll auch eine Selbstverpflichtung sein. Wie die „pro familia“-Geschäftsführerin Engelhardt erklärte, brauche ein Arbeitgeber im Zweifelsfall auch eine externe Beschwerdestelle, damit Fällen von Diskriminierung dann auch nachgegangen werden kann. Hoffmann erklärte, dass man sich in solchen Fällen auch an den „Landesverband sexuelle Gesundheit“ wenden könne.



Mit ihrem Beispiel wollen die Unterzeichner nun andere zum Mitmachen bewegen. Es soll ein Stein ins Rollen kommen, sagt Hoffmann. Das Ziel sei es nun zum einen, die Unternehmen in der Fläche und damit auch mittelständische Betriebe dazu zu bewegen, die Deklaration mitzuzeichnen. Und auch der öffentliche Dienst sollte sich dem Bündnis anschließen, findet Tack vom Paritätischen. Sie formuliert die klare Forderung an die Landesregierung, dass weitere Ministerien als wichtige Arbeitgeber dem Vorbild der Gesundheitsministerin folgen sollten – ebenso die Staatskanzlei und auch kommunale Körperschaften. Im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte wird es nicht schaden, sich als diskriminierungsfreier Arbeitgeber zu bekennen.