17. Sept. 2023 · Gesundheit

Die abenteuerliche Geschichte einer Klinik, die keiner mehr gebraucht hat

Seit April ist nun Schluss. Wer die Internetseite des Asklepios-Konzerns aufruft und nach der Harzklinik in Clausthal-Zellerfeld sucht, sieht erst einmal ein Farbfoto dieses wunderbaren Gebäudes. Wie ein Hotel wirkt es, wie eine Einladung zur Entspannung. Darunter ist dann zu lesen: „leider geschlossen“, und der Hinweis: „aufgrund einer Entscheidung des Landes Niedersachsen“. Das klingt höchst bedauerlich, ist aber bei näherer Betrachtung die logische Konsequenz einer Entwicklung, die sich über viele Jahre hingezogen hatte – und zwischenzeitlich höchst kuriose Züge angenommen hatte.

Das Land Niedersachsen hat die Asklepios Harzklinik Clausthal-Zellerfeld zum 30. April 2023 aus dem niedersächsischen Krankenhausplan herausgenommen. Der Betrieb wurde eingestellt. | Foto: Asklepios Harzklinik

Der Anfang war im Jahr 2003. In der damals üblichen Welle der Privatisierungen übernahm der Asklepios-Konzern drei bisher kommunale Krankenhäuser im Harz – das in Goslar, das in Bad Harzburg und eben das in Clausthal-Zellerfeld. Es heißt, damals habe es einen kräftigen Preisnachlass gegen die Zusicherung des Konzerns gegeben, „die Versorgungssicherheit in jedem Fall zu gewährleisten“. Ob das aus Sicht der Käufer klug war, ist heute fraglich. Denn mit den Tücken der Krankenhausfinanzierung wurden Mängel deutlich, zum Schluss entschied der Konzern, sich in dem großen, geräumigen Gebäude nur noch auf einen Bereich zu konzentrieren – die Geriatrie, also die Versorgung älterer Patienten, die nach einem Schlaganfall oder anderen Krankheiten wieder fit für den Alltag gemacht werden sollten.

Da die Klinik in Clausthal-Zellerfeld im Krankenhausplan stand, konnte sie ihre Leistungen mit den Kassen abrechnen – obwohl von den anfangs 85 Betten nach und nach immer weniger überhaupt ausgelastet waren und in der Folge auch Betten abgebaut wurden. Die sehr viel größere Klinik im nahen Goslar hatte eine eigene Geriatrie aufgebaut, aber der Konzern verlegte von dort weiterhin Patienten nach Clausthal. Die Patientenzahlen gingen dennoch in der Folgezeit immer weiter zurück. Aus Sicht der Kassen war ersichtlich, dass das Krankenhaus nicht mehr nötig war.

Zudem gab es Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Hauses und damit auch an der Versorgungsqualität. Daher gingen die Kassen einen ungewöhnlichen, erst wenige Jahre vorher im Bundesgesetz erlaubten Weg – und kündigten Ende 2017 den Versorgungsvertrag. Das Land Niedersachsen, das diesen drastischen Schritt hätte genehmigen müssen, verweigerte prompt die Zustimmung. Regionale Politiker hatten zuvor davor gewarnt, man dürfe doch den Harzer Bürgern ihr nahegelegenes Krankenhaus nicht nehmen.



Die Sache spitzte sich weiter zu. Der Verband der Ersatzkassen (VdEK) zog gegen das Veto des Landes vor Gericht – verlor dort aber 2019, da die Gesetzlichen Krankenkassen insgesamt hätten klagen müssen und nicht nur ein Teil von ihnen. Die Zahl der Patienten in Clausthal sank derweil offenbar immer weiter ab. Tatsächlich sollte es bis zu diesem Jahr dauern, bis das Land Niedersachsen die Klinik aus dem Krankenhausplan nahm und ihr damit die Finanzierungsgrundlage entzog. Das war erst möglich, nachdem der Landtag 2022 das Krankenhausgesetz geändert hatte.

Seitdem kann das Land eine Klinik aus dem Plan nehmen, zum Beispiel, wenn die Leistungsfähigkeit dauerhaft nicht mehr gewährleistet ist. Die juristische Auseinandersetzung um dieses Haus war damit aber immer noch nicht beendet, denn nun wollte der Landkreis vom Asklepios-Konzern seine Vertragsstrafe in Höhe von 16 Millionen Euro kassieren. Vor dem Landgericht Braunschweig verlor der Kreis allerdings 2021, das OLG bestätigte den Spruch ein Jahr später. Eine ungebremste Laufzeit der garantierten Versorgungssicherheit, so meinten die Richter, müsse nicht unendlich sein und könne nach 15 Jahren schon in Frage gestellt werden.

Was aber bedeutet es jetzt, wenn das Land künftig hoheitlich festlegen kann, dass eine nicht mehr leistungsfähige Klinik aus dem Krankenhausplan verschwindet – damit praktisch per staatlicher Weisung geschlossen werden muss? Eine mutige Landesregierung, die entschlossen die Kliniklandschaft neu ordnet, könnte öfter von dem neuen Instrument Gebrauch machen – und das schon in Fällen, die nicht so krass sind wie der Fall der Harzklinik in Clausthal-Zellerfeld. In jedem Fall dürften die staatlichen Vorgaben für den Betrieb von Kliniken strenger werden als bisher.

Auf Bundesebene wird gerade der Entwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach diskutiert. Er sieht 60 „Leistungsgruppen“ vor. Das heißt: Eine Klinik, die bestimmte Bereiche anbieten will, muss für detailliert beschriebene Einzelleistungen nachweisen, dass die Geräte und das Personal dafür vorhanden sind. Wenn der Nachweis klappt, gibt es das Okay für die Finanzierung der Angebote. Das ist ganz anders als bisher, als das bloße Vorhandensein einer Fachabteilung schon die Zusicherung der Investition für die Ausstattung bedeutete. Der medizinische Dienst soll regelmäßig die Ausstattung der Krankenhäuser kontrollieren, auch das ist ein völlig neuer Weg. Was nun „regelmäßig“ bedeutet, wird zwischen Bund und Ländern derzeit noch verhandelt und steht noch nicht fest.

Karl Lauterbach | Foto: BMG/Jan Pauls

Auch die Reform auf Landesebene dürfte noch konkreter werden. Wenn die neue Landesverordnung auf den Tisch kommt, die das Landesgesetz näher ausführen soll, besteht die große Chance einer weitgehenden Planung: Das Sozialministerium könnte mit den Kommunen in jeder der acht „Gesundheitsregionen“ prüfen, welche Krankenhäuser als Maximal-, Schwerpunkt- und Grundversorger angeboten werden – und welche konkreten Leistungen in welchen Kliniken konzentriert oder auch abgebaut werden. Viel wird dann davon abhängen, wie konsequent und konfliktbereit die handelnden Politiker vorgehen, vor allem der in erster Linie verantwortliche Sozialminister Andreas Philippi.

Andreas Philippi, Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung in Niedersachsen | Foto: Sozialministerium

So sind etwa bei den diskutierten Leistungsgruppen Ausnahmebestimmungen vorgesehen. Eine Finanzierung soll zur Not auch dort möglich sein, wo die Voraussetzungen (Personal und Technik) nicht vollständig vorliegen – dann nämlich, wenn in der Region eine andere Lösung nicht möglich ist. Nun sagt Hanno Kummer, Landesleiter des VdEK: „Wir setzen darauf, dass das Land die Chance zur Qualitätsverbesserung nutzt und von dieser Ausnahmeregel künftig tatsächlich nur dann Gebrauch macht, wenn andernfalls die Versorgung gefährdet wäre.“

Hanno Kummer, Leiter der VdEK-Landesvertretung in Niedersachsen | Foto: VdEK/Georg J. Lopata

Für die Harzklinik in Clausthal-Zellerfeld kommt all das zu spät. Das Schicksal ist besiegelt, Patienten werden in dem Gebäude nicht mehr behandelt. Das Haus steht zum Verkauf. Wird es vielleicht ein Hotel, wird es in Wohnungen umgewandelt? Kaufinteressenten sind willkommen, der Preis wird auf fünf Millionen Euro geschätzt. Ein Schnäppchen? Man wird es sehen.

Dieser Artikel erschien am 18.9.2023 in Ausgabe #160.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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