Ja, es stimmt: Das neue rot-grüne Kabinett des Ende Mai gewählten Ministerpräsidenten Olaf Lies ist heute, am 21. August, erst 93 Tage im Amt, nicht schon 100 Tage. Aber eines möchte ich gleich hinterherschieben: Wir haben uns mit der 100-Tage-Bilanz für das Kabinett nicht im Zeitplan vertan. Tatsächlich ist es pure Absicht, damit früher dran zu sein als die anderen Medien. Warum?

Es gibt drei Gründe: Erstens ist rund um den offiziellen 100-Tage-Termin am 28. August mit einer Häufung an Bewertungen, Analysen, Interviews und Positionierungen zu rechnen. In dieser Hülle und Fülle drohen einzelne Darstellungen unterzugehen. Wer etwas früher dran ist, so wie wir heute, nutzt die Chance einer potenziellen höheren Aufmerksamkeit. Zweitens kann eine Bilanz, die nach 100 Tagen gezogen wird, problemlos schon sieben Tage früher veröffentlicht werden. So aufregend sind diese Sommertage in der niedersächsischen Landespolitik nicht, dass man für die kommende Woche mit sensationellen Wendungen rechnen müsste. Drittens wirft der CDU-Landesparteitag am bevorstehenden Wochenende einen Schatten auf die Bilanz des Kabinetts Lies. Vermutlich dürfte Oppositionsführer Sebastian Lechner am Freitag und Sonnabend eine Generalabrechnung mit Rot-Grün vornehmen, die anderen werden darauf scharf reagieren. Wir möchten mit unserer Bilanz unbeeindruckt bleiben von dieser Auseinandersetzung der Parteien. Zu viel Wahlkampfgetöse kann eine nüchterne Analyse durchaus eintrüben.

Damit wären wir beim Kern: Warum überhaupt eine 100-Tage-Frist (oder hier: eine 93-Tage-Frist)? Das geht zurück auf den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der nach seiner Wahl 1933 die Medien bat, ihm 100 Tage Zeit für die wichtigsten Wirtschaftsreformen zu lassen – um ungestört von Protest wesentliche Weichen zu stellen. Unter Journalisten ist umstritten, ob man das heute noch so handhaben sollte. Kein Politiker wird auf Milde in seiner Startzeit rechnen können, wenn er wesentliche Fehler begeht. Aber umgekehrt wird auch kein Journalist den Stab über einen Regierungschef brechen, der nach wenigen Wochen noch nicht routiniert und sicher auf allen Feldern agieren kann. Man braucht doch mindestens 100 Tage, um sich im neuen Amt zurechtzufinden, ein Team zusammenzustellen, seinen Stil zu finden und Schwerpunkte zu setzen. Manche brauchen noch länger, einige sogar Jahre.
Ob Olaf Lies das in seinen ersten 93 Tagen gelungen ist, soll in einem Text heute beleuchtet werden. Außerdem geht es noch um einige andere Themen:
Ich wünsche Ihnen einen entspannten Start in den neuen Tag, jenseits aller Fristen und 100-Tage-Bilanzen,
Klaus Wallbaum