Deutschland sucht das Super-Endlager
Keine Scheinwerfer, keine LED-Wand – und gesungen hat auch niemand. Stattdessen Kronleuchter, Statuen und das Grab von Gottfried Wilhelm Leibniz. Nicht viel erinnerte an die großen TV-Formate, die junge Menschen vielleicht noch vor den Fernseh-Bildschirm fesseln könnten. Und doch war offensichtlich, dass genau so etwas eigentlich beabsichtigt gewesen sein musste: „Your Voice“ lautete der Titel der jüngsten Veranstaltung des niedersächsischen Begleitforums zur Endlagersuche, die von knapp 200 Zuschauern auf YouTube verfolgt wurde. Gestreamt wurde aus der Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannovers Calenberger Neustadt, unweit vom niedersächsischen Umweltministerium entfernt, das die aufwendig produzierte Show organisiert hatte.
Für Umweltminister Olaf Lies (SPD) geht es um die Suche nach einem Format, das die Jugend auf lässige Weise für ein inzwischen unattraktives Thema begeistert: den atomaren Müll ihrer Eltern und Großeltern. Offensichtlich war dabei der Titel in Anlehnung an das beliebte Fernsehformat „The Voice“ gewählt. Mit dem Unterschied, dass nicht etwa der Mensch mit der besten Sangesstimme gesucht wurde. Auf der Agenda stand und steht vielmehr die Suche nach dem sichersten Ort der Bundesrepublik. Deutschland sucht das Super-Endlager, sozusagen.
Im kommenden Jahr werden auch die letzten Atomkraftwerke in der Bundesrepublik abgeschaltet. Was übrig bleibt, sind zahlreiche Container voll hochradioaktiven Mülls, die irgendwo gelagert werden müssen. Und zwar für die nächsten knapp eine Million Jahre – oder länger, wer weiß das schon so genau. Seit ein paar Jahren hat sich die Republik nun einer Mammutaufgabe verpflichtet. In einem wissenschaftsbasierten Verfahren soll genau der Standort gefunden werden, der für die Einlagerung des strahlenden Abfalls nach aktuellem Kenntnisstand am besten geeignet ist.
Die Entscheider, die das Bergwerk am Ende verschließen werden, sind heute vielleicht noch gar nicht geboren.
Bis 2031 hat die zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nun Zeit, in einem mehrstufigen Auswahlprozess den Vorschlag für diesen besten Standort zu erarbeiten, der dann am Ende vom Bundestag beschlossen werden soll. Bis dahin soll das Gesamtverfahren maximal transparent und nachvollziehbar gestaltet werden, damit die Akzeptanz in der Bevölkerung gesichert ist. Ist der Standort erst gefunden, muss dann das Lager gebaut, der Atommüll dorthin transportiert, eingelagert und langfristig gesichert werden. Zeithorizont: 2090, vielleicht auch später. „Die Entscheider, die das Bergwerk am Ende verschließen werden, sind heute vielleicht noch gar nicht geboren“, gab BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz nun zu bedenken. Die Aufgabe wird also noch Generationen beschäftigen. Aber wie kann es heute gelingen, zumindest die Entscheidungsträger von morgen auf die Suche nach dem Endlagerstandort mitzunehmen?
In der Problembeschreibung waren sich die Teilnehmer des niedersächsischen Begleitforums einig, bei den Lösungsansätzen sind sie alle zusammen aber noch Suchende. Erstes Problem: Die enormen Zeiträume sind für junge Menschen kaum zu begreifen. „Zehn bis zwanzig Jahre sind selbst für mich noch heftig“, sagte das jüngste Mitglied des niedersächsischen Landtags, die 27-jährige Imke Byl (Grüne). „Aber was bedeutet allein schon ein Jahr Corona für eine Zehnjährige? Da kann man sich von zehn Jahren oder mehr erst recht schnell überwältigen lassen.“ Daran wird sich wohl kaum etwas drehen lassen, doch vielleicht am zweiten Problem?
Eigentlich müsste sich gerade jede Bürgerin und jeder Bürger damit beschäftigen, aber das ist unrealistisch.
Noch kommen 80 Prozent der Landesfläche potenziell als Standort für ein Endlager infrage. Doch solange die Angelegenheit derart abstrakt bleibt, wird es wohl kaum gelingen, jemanden dafür zu begeistern. „Die Abstraktheit führt dazu, dass sich niemand betroffen fühlt“, sagte Laura Hopmann (31), das jüngste Mitglied der CDU-Landtagsfraktion. Imke Byl ergänzte: „Eigentlich müsste sich gerade jede Bürgerin und jeder Bürger damit beschäftigen, aber das ist unrealistisch.“ Deshalb sei es wichtig, dass noch ein weiterer Zwischenschritt bei der Eingrenzung der Teilgebiete eingezogen werde, findet sie. Doch BGE-Chef Kanitz musste die Hoffnung, schneller mehr Gebiete ausschließen zu können, rasch wieder enttäuschen. Würde man nun zu forsch vorgehen, würde die fachliche Fundierung auf der Strecke bleiben.
Lesen Sie auch:
Fast überall in Niedersachsen wäre ein Endlager möglich
Endlagersuche: Geologen verzweifelt gesucht
Lars Alt (29), FDP-Abgeordneter und jüngster Mann im Landtag, sieht die Sache allerdings nicht ganz so pessimistisch. Es sei zwar so, dass ein Großteil nichts von diesem Prozess zur Endlagersuche wisse. Er sieht darin aber die üblichen Herausforderungen von Wissenschafts- oder auch politischer Kommunikation. Zunächst müsse eine gewisse Reichweite aufgebaut werden. Und dann brauche das Thema Relevanz. Die Relevanz, da mache er sich gar keine Sorgen, werde spätestens beim zweiten Schritt der standortsuche schon offensichtlich werden. Auch Philipp Raulfs (30), jüngstes Mitglied der SPD-Fraktion, setzt darauf, die Menschen in seinem Wahlkreis mit Betroffenheit zu erreichen. Er kann sich vorstellen, die Bürger einfach mal zu fragen, ob sie wissen, über welchem Gestein sie eigentlich wohnen. Ton, Salz oder Granit? Das sind die Wirtsgesteine, die derzeit zur Lagerung erkundet werden.
Mentoren-Programm für ein Generationenprojekt
Ein drittes Problem bei der Bürgerbeteiligung zur Endlagersuche betrifft junge Menschen in gleicher Weise wie ältere: Es gibt eine Gruppe von Experten unter den Bürgern, die sich bereits über viele Jahre und sogar Jahrzehnte in Bürgerinitiativen mit der Thematik beschäftigt haben. Mit diesen mitzuhalten, ist für Menschen, die sich bislang noch nicht mit Atompolitik, Teilchenphysik oder Geologie auskennen, kaum möglich. Die Jugendpolitiker haben beim Endlagerforum daher auch die Sorge davor ausgedrückt, dass sich junge Menschen davon eingeschüchtert fühlen könnten.
Eine mögliche Lösung für diese Herausforderung konnte Jorina Suckow (27), jüngstes Mitglied des Nationalen Begleitgremiums zur Endlagersuche, unterbreiten. Die Idee steht im Raum, ein Mentoren-Programm aufzulegen: ein erfahrener Erwachsener aus einer Bürgerinitiative tut sich mit einem unerfahrenen Jugendlichen zusammen. Auf diese Weise könnten Wissen und Ideen über die Generationen weitergegeben werden. Bei einem Zeithorizont von mehr als 70 Jahren wird ein solcher Generationentransfern noch häufiger von Nöten sein.
Zusätzlich sollte auch jetzt schon die Art der Kommunikation geändert werden, schlug die CDU-Politikerin Hopmann vor. Dabei attestierte sie gerade Verwaltung und Regierung ein Kommunikationsproblem. Dass Legitimation auch kommunikativ hergestellt werden müsse, sei dort noch nicht so angekommen. In der Denkweise der Verwaltung ergebe sich Legitimation schlicht aus dem Gesetz, das sei bei der Endlagersuche aber anders.
Eigentlich müssen wir von morgens bis abends Werbung dafür machen und dann die Leute in die Fachkonferenzen bringen.
Hopmann lobte das Verfahren, auf das man sich nun verständigt hatte, und fordert nun, dieses auch zu verteidigen: „Eigentlich müssen wir von morgens bis abends Werbung dafür machen und dann die Leute in die Fachkonferenzen bringen.“ Darüber hinaus sollte man ihrer Ansicht nach die junge Leute dort abholen, wo sie zu finden sind – beispielsweise auf den Online-Plattformen TikTok oder Instagram. „Ist die BGE dort eigentlich schon mit einem Kanal vertreten?“ Noch ist sie es nicht. Aber etwas Zeit bleibt ja auch noch. Die Social-Media-Plattform, die 2090 angesagt sein wird, ist heute mit ziemlicher Sicherheit auch noch gar nicht programmiert.
Von Niklas Kleinwächter