Was ist mit den Richtern in Deutschland? „Sie sollten sich keiner Partei anschließen dürfen, sondern unabhängig sein“, fordert Götz Kubitschek. Was ist mit den Pädagogen? „Für Lehrer ist es in Ordnung, einer Partei anzugehören, bei Schuldirektoren nicht.“ Jeder, der aufsteigt, müsse sein Verhalten ändern. „Wer in eine neue, höhere Position kommt, sollte alte Bindungen ablegen. Das Amt macht – richtig verstanden –  etwas aus einem. Das Amtsethos und seine erzieherische Wirkung darf man nicht verkennen. Das Amt, das jemand bekleidet, ist nämlich meist etwas größer als das kleine Ich.“ Dann erzählt Kubitschek eine Episode aus seiner Zeit bei der Bundeswehr. Wenn die Unteroffiziere zu Offizieren befördert werden, sollten sie ihre Kameraden mit „Sie“ ansprechen und ihnen das „Du“ entziehen. Die Distanziertheit, die mit der Führung einhergehe, mache vieles leichter – auch wenn es in der ersten Zeit schwierig sei, weil viele Kameraden erst lernen müssten, dass sie mit dem neuen Vorgesetzten nicht mehr über die Kumpelschiene zurechtkommen könnten.

Klaus Wallbaum und Götz Kubitschek auf dessen Rittergut in Sachsen-Anhalt

Kubitschek (47) sitzt in der Bibliothek seines Hauses, eines alten Rittergutes in Schnellroda bei Querfurt in Sachsen-Anhalt. Er setzt seine Worte wohlüberlegt, formuliert nachdenklich und philosophisch. Eigentlich ist der gebürtige Oberschwabe in einer blühenden Zivilisation am Bodensee aufgewachsen, jetzt hat es ihn, seine Frau Ellen Kositza und die sieben Kinder in die Ödnis des Mansfelder Landes geschlagen, die „trockenste Gegend Deutschlands“ mit nur wenigen Wäldern und noch weniger Seen. Es ist das Dorfleben pur. „Hier regt man sich nicht so sehr auf über politische Fragen – wohl aber wird mir seit Jahren nachgetragen, dass ich einmal zu einem Fußballspiel zu spät gekommen bin.“ Die AfD hat in der Region inzwischen stattliche Wahlergebnisse von teilweise bis zu 40 Prozent– und Kubitschek lebt in einem Umfeld, dass ihm, den für gewöhnlich bescheiden auftretenden Schwaben, auch seine Arbeit erleichtert. In dem Rittergut betreibt er einen Verlag mit konservativen und rechtsextremen Schriften, und seit Amazon ihn gesperrt hatte, hat er noch einen eigenen Vertrieb aufgebaut. Das Geschäft floriert, sagt er. „Das konservative Publikum hat einen riesigen Lesehunger, der jahrelang vernachlässigt wurde.“

Ist dieser Kubitschek eine gefährliche Person? Man kann ihn mittlerweile wohl auch einen Vordenker der AfD nennen, da er nicht mehr nur dessen völkischen Rechtsaußen Björn Höcke aus Thüringen berät, sondern auch enge Kontakte zum Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland unterhält, sowie zu vielen anderen Akteuren. Als an einem heißen Sommertag eine Abordnung der niedersächsischen AfD um die Landtagsabgeordneten Peer Lilienthal (Hannover) und Harm Rykena (Oldenburg) ihn besucht und vom Politikjournal Rundblick begleitet wird, erfahren auch diese AfD-Politiker von Kubitschek eine Art ideologische Rückenstärkung. Von „Widerstandsbewegung“ spricht der Verleger, seine Rolle sieht er darin, die Debatten „stimmungsmäßig in die richtige mobilisierende Richtung aufzuladen“.


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Die Begriffe der 68er APO kommen bei ihm wiederholt vor – gewendet nun eben auf die andere, die rechte Seite. Die „Selbstverharmlosung“ der AfD sei eine „Krankheit“ – nämlich ihr ständiges Beteuern, doch gar nicht so schlimm zu sein und gar nicht so viel verändern zu wollen. In Wahrheit sei die Linie etwa von CSU-Chef Horst Seehofer, mit symbolischen Schritten die Menschen zu beruhigen, längst ein Auslaufmodell – sie wirke nicht mehr. „Die Leute merken, dass das eine Art Spatenstich-Politik von Seehofer ist – der erste Spatenstich zum Auftakt der Bauarbeiten, dem dann keine weiteren folgen. Ich habe mich früher immer gefragt, ob die, die den ersten Spatenstich setzen, dann auch wirklich selbst weitergraben. So geht es mir jetzt mit Seehofer.“

Was will Kubitschek denn nun verändern, etwa den Staatsaufbau und die Gewaltenteilung – wie es in Ungarn oder Polen geschieht? Er nimmt Ungarn als Stichwort, lobt die dortigen Verhältnisse. Die bekannte Liberalität des Landes („Dort gibt es auch Schwulen-Demonstrationen, aber nicht auf der Haupt-, sondern in einer Nebenstraße“) funktioniere nur, weil es „illibertäre Säulen“ gebe – eine Justiz, die entschlossen und konsequent urteilt, eine Polizei, die „Täter und Opfer unterscheiden“ könne, eine staatsbürgerliche Erziehung und „das Fehlen von Staatsmedien“ als Garanten für eine Vielfalt von Zeitungen und Sendern. So, wie Kubitschek die ungarische Gesellschaft wahrnimmt, ist das für ihn schon ein Vorbild. Tendenzen zu einer autokratischen Herrschaft sieht er dort nicht, oder er leugnet sie. Hier wird deutlich, dass sein Hauptanliegen in einer Werterevolution besteht, bei seinen Vorstellungen von politischen Reformen am Parlamentarismus beschränkt sich der rechtsextreme Vordenker auf Andeutungen. Dankbarkeit, Respekt, Demut, Bescheidenheit, Strenge und Form – all das sind Begriffe, die in den vielen Büchern seiner Bibliothek intensiv beschrieben wurden, von Ernst Jünger oder Armin Mohler und anderen „irgendwo hier im Regal“.

Kubitschek rät zur Koalitionsoption

Die Klassiker seien deshalb so gut, weil man sie auf die Gegenwart anwenden könne. „Ich selbst schreibe nur wenig, weil ich denke, dass das meiste schon vor langer Zeit gut und gültig gesagt worden ist.“ Und für die Wertedebatte sei es höchste Zeit. Die als „Emanzipation“ einst gepriesene „Bindungslosigkeit“ nach dem Motto „alles ist erlaubt, alles ist reparabel“ zeige ihre negativen Wirkungen. Zur Charakterbildung müsse man junge Menschen „künstlich in eine Askese versetzen“ und aufhören, ihnen zu erlauben, „mit den Dingen zu aasen“. Klare Regeln, zielgenaue Vorgaben seien nötig, das „ewige Moderieren“ führe nicht weiter. Bis sich solche Gedanken über die Lehrer in den Schulen verbreiteten, werde es wohl „20 bis 25 Jahre dauern“, meint Kubitschek.

Welche Rolle kommt in diesem Politikmodell des rechtsextremen Denkers der AfD zu? Noch vor wenigen Jahren haben alle führenden Politiker diese Partei als Oppositionskraft beschrieben, vor allem die vom rechten Flügel. Heute, vor den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im kommenden Jahr, rät selbst Kubitschek zur Koalitionsoption. „Ja, aber nur zu den eigenen Bedingungen“ solle sich die Partei für Bündnisse öffnen. Aber was heißt „eigene Bedingungen“? „Ich sitze ja nicht am Verhandlungstisch – aber ich werde der letzte sein, der die Unterhändler der AfD als ,Versager‘ bezeichnet, wenn sie dann doch zwei bis drei Schlüsselressorts herausgeholt haben.“ Man brauche, um vernünftig mitregieren zu können, „ein paar hundert Spitzenbeamte“ – aber die müssten sich finden lassen bei denen, die sich auf Frust über die bisherige Politik in die Wirtschaft zurückgezogen hätten. Von denen, mutmaßt Kubitschek, gebe es durchaus viele.

Dass die Zeit der „Neuen Rechten“ erst noch richtig anbreche, davon ist er nach eigenen Worten überzeugt – und der AfD könne derzeit „nichts Besseres passieren“ als die Abwehrreaktion ihrer Gegner: „Es ist doch schön, wenn jemand die Fassung verliert, nur weil es die AfD gibt“, sagt er. Man müsse die anderen Parteien „zur Kenntlichkeit entstellen“ – und das gelinge, wenn diese durch ihr schlechtes Benehmen der AfD gegenüber die Fragwürdigkeit ihrer eigenen Regeln entlarvten. Die Linke in Deutschland befinde sich gegenwärtig „in einer Phase der Selbsterdrosselung“: „Erst wurden die Gedanken der Rechten als unmoralisch abgewertet, dann diejenigen als böse dargestellt, die sich nicht von diesen Gedanken distanzierten – und dann diejenigen kritisch beäugt, die eine solche Distanzierung nicht bejubelt haben.“ Jetzt müssten sie erkennen, dass die rechten Gedanken trotz dieses Verhaltens immer populärer werden – und sie würden ratlos daneben stehen.

Ist es Zeit für eine neue „Querfront“ – die Vereinigung von linksextremer und rechtsextremer Bewegung unter dem Banner der sozialen Frage? So, wie es womöglich aus Sahra Wagenknechts Vorstoß werden kann? „Die Linken“, sagt Kubitschek, „brauchen wir dafür gar nicht mehr.“ (kw)