
Wir reden heute nicht von Helden, es geht nicht um Helden. Es geht um viele Menschen, die während Kriegen und Gewaltherrschaften ihr Leben verloren haben.
Rundblick: Was bedeutet diese Erweiterung des Personenkreises in der Praxis für den Volksbund?
Saipa: Konkret wird das immer dann, wenn wir den Volkstrauertag feierlich begehen. Eine Initiativgruppe, an der Kirchen, jüdische Gemeinden, die Bundeswehr und Landesinstitutionen mitgewirkt haben, hatte schon im vorigen Jahr einige Vorschläge formuliert. Nur ein Beispiel: Bei den Feierlichkeiten muss nicht immer nur das Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden…“ gespielt werden. Um es klar zu sagen, dieses Lied stammt aus den Freiheitskriegen und ist unverdächtig, aber gleichwohl denke ich: Auch modernere Musik könnte die Feiern bereichern. Wird eine Ehrenwache am Denkmal für angebracht gehalten, sollten Uniformierte und Nichtuniformierte, Erwachsene und Jugendliche gemeinsam auftreten.
Rundblick: Warum?
Saipa: Weil es darum geht, Gemeinsamkeit und Zusammenhalt zu zeigen. Das geht weiter bei den Denkmälern: Viele tragen Aufschriften, die an die beiden Weltkriege zwischen 1914 und 1918 und zwischen 1939 und 1945 erinnern. Das ist mir zu wenig, ich wünsche mir eine breitere Darstellung. Von einem jungen Mann bin ich mal gefragt worden, was eigentlich mit den 55 deutschen Soldaten der Bundeswehr ist, die bei parlamentarisch beschlossenen Auslandseinsätzen, etwa in Afghanistan, ums Leben gekommen sind. Wir müssen auch diese Gefallenen in unser Gedenken einbeziehen.
Rundblick: Genügen die Denkmäler den Anforderungen der Gegenwart?
Saipa: Oft eben nicht, obwohl ich hinzufügen muss, dass die Kommunen ja in der Pflicht sind, diese Orte würdig zu gestalten – aber das kostet eben Geld. Oft wird man mit den vorhandenen Gedenkstätten auskommen müssen, und wenn manche veralteten Inschriften oder Bezeichnungen missverständlich oder veraltet sind, muss man mit den Beteiligten darüber reden, wie man damit umgeht. Das nächste sind die Rituale. Es ist gut, dass für Soldaten am Volkstrauertag schon lange tabu ist, mit Waffen aufzutreten. Auch das Tragen von Helmen kommt kaum vor, das ist gut so. Und dort mit Fackeln aufzutreten, ist aus meiner Sicht völlig daneben – Fackelaufzüge erinnern mich an Adolf Hitlers Machtergreifung von 1933. Das ist problematisch. In unserem Papier regen wir an, dass die jeweiligen Vorgesetzten der Soldaten entscheiden sollen, in welchem Dienstanzug die Person zum Ehrendienst erscheint.
Rundblick: Findet man schon den richtigen Umgang mit der Erinnerung – oder fällt es noch zu häufig schwer, von den eingeübten Traditionen abzuweichen?
Saipa: Ich will ein Beispiel aus dem Ausland nennen. In Costermano am Gardasee in Italien gibt es einen deutschen Soldatenfriedhof, der in den achtziger Jahren fertiggestellt wurde. Als italienische Historiker darauf hinwiesen, dass dort drei einst hochrangige SS-Führer und Kriegsverbrechen begraben liegen, stellte sich der Volksbund zunächst taub. Bei Feiern dort gab es regelmäßig Proteste von Italienern. Erst 20 Jahre später gab es eine Verständigung, es wurden Informationstafeln zum Krieg in Oberitalien aufgestellt, auf die dort Begrabenen wurde hingewiesen. Heute ist die Debatte vor Ort befriedet. Zu einem solchen Dialog, der oft nötig ist, muss man bereit sein. Ich denke, heutzutage ist der Volksbund dazu auch in der Lage.
Rundblick: Was geschieht mit Ihren Reformvorschlägen für die Gestaltung des Volkstrauertages?
Saipa: Wir diskutieren gerade darüber, Anfang März wollen wir uns entscheiden. Das könnte dann die Basis sein für einen etwas anderen Umgang mit der Erinnerung.