„Der Verfassungsschutz darf kein ‚Geheimdienst‘ werden“
Rot-Grün will die Sicherheitsgesetze zur Polizei und zum Verfassungsschutz neu fassen, im Landtag wird darüber heftig diskutiert. Mit Ulrich Watermann, dem Innenpolitiker der SPD-Landtagsfraktion, sprach Klaus Wallbaum.
Rundblick: Herr Watermann, CDU und FDP sagen, mit dem neuen Verfassungsschutzgesetz werde die Arbeit der Sicherheitsbehörden geschwächt. Es wäre schlechter als bisher möglich, extremistischen Kräften auf die Spur zu kommen.
Watermann: Das sehe ich nicht so. Wichtig ist, dass wir das Arbeitsfeld des Verfassungsschutzes genau bestimmen. Aus gutem Grunde gilt das Trennungsgebot, die Früherkennung der Verfassungsschützer darf nicht mit der konkreten Arbeit der Polizei in der Gefahrenabwehr vermengt werden – wenn das geschähe, hätten wir einen gewaltigen Sicherheitsapparat, der an unselige Zeiten in der deutschen Geschichte erinnern würde. Gegenwärtig halte ich zwei Dinge für besonders wichtig: Erstens muss der Verfassungsschutz alle Instrumente haben, in die extremistischen Gruppen Einblick nehmen zu können. Zweitens muss die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes verbessert werden. Er darf sich nicht zu einem „Geheimdienst“ im wörtlichen Sinne entwickeln können. Was in der Diskussion immer vergessen wird: Diese Kontrolle muss auch deshalb verbessert werden, weil uns Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dazu zwingen.
Rundblick: Sollen etwa die Parlamentarier Einfluss nehmen können auf die Überwachung des Verfassungsschutzes? Wie würden sich Vertreter der Grünen dann verhalten, wenn ihnen nahestehende Kräfte gemeinsame Sache mit Linksradikalen in Göttingen machen?
Watermann: Nein, es geht nicht darum, die operative Arbeit des Verfassungsschutzes mitzugestalten. Das bleibt deren Sache. Aber wir Parlamentarier müssen in den Kontrollgremien nachhaken können, falls irgendwo in der Arbeit der Verfassungsschützer etwas aus dem Ruder gelaufen ist und es Beschwerden gibt. Damit wir das können, brauchen wir eine Übersicht über die Tätigkeitsfelder der Behörde. Das ist übrigens auch ganz wichtig für die Verfassungsschützer selbst. Wenn sie künftig verpflichtet sind, ihre Arbeit mit Dokumenten zu hinterlegen, Aktennotizen zu fertigen und Vermerke zu schreiben, damit ihr Handeln in der eigenen Hausspitze transparenter nachzuverfolgen ist, trägt das zur Sorgfalt und Genauigkeit der Arbeit bei.
Rundblick: Haben Sie Zweifel, dass der Verfassungsschutz bisher sorgfältig arbeitet?
Watermann: In Deutschland hat es in der Vergangenheit mehrere Fälle gegeben, in denen Menschen ins Visier von Sicherheitsbehörden geraten sind, obwohl sie unschuldig waren. Ein falscher Verdacht reichte aus, sie für längere Zeit zu Beobachtungsobjekten von Polizei und Verfassungsschutz werden zu lassen. Denken Sie an die Angehörigen von NSU-Mordopfern, die völlig zu Unrecht beschuldigt wurden, in Mafia-Strukturen verstrickt gewesen zu sein. Diese Erfahrungen sind für mich eine Lehre: Der Verfassungsschutz ist richtig und wichtig, er muss seine Arbeit effektiv erledigen können. Aber notwendig ist auch eine gute Kontrolle.
Rundblick: Mehr Kontrolle ist berechtigt, aber es hat doch bisher auch Pannen bei der Arbeit der Behörden im Fall von Safia S. gegeben. Würden Sie das bestreiten?
Watermann: Nein, das bestreite ich nicht. Im Nachhinein ist man immer klüger – und weiß, was hätte anders laufen müssen. Ich will nicht kleinreden, dass hier Fehler passiert sind, übrigens auch schon zu der Zeit, als noch CDU und FDP in Niedersachsen regiert hatten. Im Jahr 2008 ist ein Video aufgetaucht, das die damals siebenjährige Safia S. neben dem späteren Hassprediger Pierre Vogel zeigt. Hätten die Polizeibehörden, die das damals sahen, nicht das Jugendamt einschalten müssen? Es hat im Fall von Safia S. und ihrem Bruder auch Kommunikationspannen gegeben. Sie wollte ausreisen, fälschte dazu die Unterschrift des Vaters. Warum forderte man nicht auch die Unterschrift der Mutter ein? Im Detail hätte man – aus heutiger Sicht – damals viel gründlicher vorgehen müssen.
Rundblick: Können Polizei und Verfassungsschutz das überhaupt? Fehlen ihnen nicht die Mittel, Spuren islamistischer Organisationen zu erkennen? Was ist beispielsweise mit der Kontrolle im Internet und in den sozialen Medien?
Watermann: Früher war ich auch gegen die Speicherung von Daten, aus Prinzip. Inzwischen weiß ich: In diesem Bereich tummeln sich aus Extremisten, und der Staat hat nicht die notwendigen Mittel, ihre Spuren festzuhalten und zu verfolgen. Im Grundgesetz ist der Wohnraum des Menschen geschützt, Eingriffe werden durch Gesetz geregelt, es gibt klar formulierte Bedingungen. Wie aber ist es im Internet? Wer sich in sozialen Medien bewegt, hinterlässt Spuren – und die Polizei muss, gekoppelt an klare Bedingungen und Auflagen, diese Spuren auch nachverfolgen können. Es gibt noch andere Probleme: Was ist mit all den Fotos, Daten und Nachrichten, die einmal im Internet sind? Wer hat die Rechte daran, wie kann man verhindern, dass hier Missbrauch getrieben wird? Und was heißt das für die Arbeit der Polizei? Wir brauchen vermutlich rechtliche Ergänzungen – und bevor das geschieht, ist eine breite öffentliche Debatte erforderlich. Dafür will ich werben.
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