4. März 2025 · Wirtschaft

"Der Tourismus muss in Niedersachsen als eine Leitökonomie anerkannt werden"

Der Landrat des Kreises Wittmund, Holger Heymann, wirbt beständig in Hannover für eine stärkere Anerkennung des Fremdenverkehrs. Der Tourismus als Wirtschaftszweig dürfe nicht länger unterschätzt werden. Mehr Unterstützung des Landes und eine finanzielle Förderung des Bundes seien notwendig. Andere Länder seien hier schon weiter, sagt der SPD-Politiker, der auch Vorsitzender des Landes-Tourismusverbandes ist.

Wittmunds Landrat Holger Heymann (Mitte) spricht mit Klaus Wallbaum (links) und Christian Wilhelm Link über die Tourismusförderung in Niedersachsen. | Foto: Kleinwächter

Rundblick: Wird der Tourismus als Wirtschaftsfaktor in der niedersächsischen Landespolitik unterschätzt?

Heymann: Zunächst mal freue ich mich über positive Anzeichen – etwa die Entscheidung des Landtags, die Angelegenheiten des Tourismus in einem eigenen Unterausschuss zu würdigen. Damit bekommt dieser Zweig endlich mehr Aufmerksamkeit. Mein Ziel ist es, dass der Fremdenverkehr in Hannover als das akzeptiert wird, was er ist – als eine Leitökonomie. Was meine ich damit? Ein paar Zahlen möchte ich zur Erläuterung erwähnen. Die Bruttowertschöpfung lag 2019, das ist die aktuellste verfügbare Zahl, bei 13,6 Milliarden Euro. Das sind oder waren rund fünf Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung in Niedersachsen. In dieser Branche gibt es landesweit 330.000 Erwerbstätige – das hält den Vergleich zu den großen Unternehmen gut aus.

Rundblick: Eine wachsende Branche?

Heymann: Auf jeden Fall. Der Klimawandel führt dazu, dass es in vielen Ländern, die bisher bevorzugte Ziele im Ausland waren, im Sommer sehr heiß wird. Bei uns sind die Temperaturen meistens vergleichsweise erträglich. Bei uns kann man sich, gleich wie alt man ist, gut erholen.

Rundblick: Wie ist Niedersachsen hier im Vergleich zu anderen Bundesländern aufgestellt?

Foto: Kleinwächter

Heymann: Die geltende Tourismusstrategie stammt aus dem Jahr 2015, sie ist also mittlerweile zehn Jahre alt. Ich nenne zwei Themen, die jetzt stärker gewichtet werden müssen – der Klimawandel und die Mobilität. In den Großstädten haben jetzt schon viele Leute kein eigenes Auto mehr. Wenn sie in den Urlaub fahren wollen, vertrauen sie auf ein geschlossenes gutes Netz an Bahn- und Buslinien. Sie wollen bequem an ihr Ziel kommen. Dazu gehört auch die Digitalisierung. Nur dann, wenn man überall eine gute Handy-Netzqualität hat, sind auch aktuelle Empfehlungen schnell an den Empfänger zu bringen. Wenn ein Strandabschnitt an der Nordsee voll ist, können wir den Urlaubern so rasch ein Ausweichziel vermitteln und ihnen auch sagen, wie sie schnell dort hingelangen können.

Rundblick: Und was kann das Land Niedersachsen noch tun, um den Tourismus zu fördern?

Heymann: Es gibt die sogenannten Destinationsmanagement- und -marketingorganisationen, kurz DMOs. Die größte ist die Tourismus-Agentur Nordsee (Tano). Sie repräsentiert die nachfragestärkste touristische Reisedestination in Niedersachsen. Es gibt diese DMOs auch für den Harz, die Lüneburger Heide, das Osnabrücker Land und andere Gegenden. Andere Bundesländer unterstützten ihre DMOs, in Niedersachsen geschieht das bisher leider nicht. Das ist nun eine Forderung, die wir haben: Die 13 Mitglieds-DMOs des Tourismusverbandes Niedersachsen sollten einen Sockelbetrag von jährlich 100.000 Euro vom Land erhalten. Hinzu könnte noch eine Förderung für die DMOs in Abhängigkeit von der Gebietskulisse von rund 30.000 Euro kommen, wenn sie die Zahl von 500.000 Übernachtungen überspringen. Das wären nach unseren Berechnungen circa vier Millionen Euro im Jahr. 300.000 Euro kämen dazu für touristische Fachverbände, die Mitglied beim Tourismusverband sind. Außerdem unterstützt das Land seit 2024 die „hochprädikatisierten Orte“, also Heilbäder und Kurorte, mit zwei Millionen Euro, das ist aber nicht verstetigt. Die 14 Naturparke werden ebenfalls schon gefördert. Der Vorschlag von uns: Je vier Millionen Euro jährlich sollten für Naturparke, für die hochprädikatisierten Orte und für die DMOs fließen, das sind zusammen zwölf Millionen Euro jährlich.

Rundblick: Das ist viel Geld in Zeiten leerer Kassen…

Heymann: Es sind nur 0,3 Prozent von dem, was in Niedersachsen jährlich an Steuereinnahmen über den Tourismus erzielt wird. Außerdem wäre es ein Zeichen, denn Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern engagieren sich für ihren Tourismus viel stärker als das Land Niedersachsen für seinen.

Rundblick: Haben Sie noch weitere Forderungen?

Heymann: Der Tourismus ist bisher eine freiwillige Aufgabe der Kommunen. Das heißt: Sobald gespart werden muss, und dies ist gegenwärtig wegen der prekären Finanzlage der Kommunen der Fall, wird der Rotstift auch beim Tourismus angesetzt. Das kann man ändern, indem diese Aufgabe in der Kommunalverfassung als „Pflichtaufgabe“ definiert wird.

Rundblick: Sollte man nicht Nahverkehr und Tourismus stärker als bisher zusammen betrachten – auch bei der Förderpolitik?

Foto: Kleinwächter

Heymann: Ja, ich wäre dafür. Ein Beispiel: Zwischen der Stadt Esens und der Gemeinde Dornum im Kreis Aurich liegt ein Abschnitt von rund zwölf Kilometern, der vom Schienenverkehr nicht bedient wird. Seit 20 Jahren kämpfe ich dafür, dass diese Verbindung reaktiviert wird, aber in der Bewertung der Landesregierung werden wir nicht hoch genug eingestuft. Das liegt aber meines Erachtens daran, dass der Tourismus in dieser Bewertung nicht ausreichend gewichtet wird.

Rundblick: Sehen Sie Ihre Region, also Ostfriesland, noch in anderer Hinsicht benachteiligt?

Heymann: Die vielen Windräder gehören hier dazu, manche sind auch Touristenattraktionen. Das Wehklagen einiger Politiker darüber kann ich nicht verstehen. Zunehmend wird die Landschaft bei uns aber auch belastet durch den Netzausbau, der dazu dient, den über Windenergie erzeugten Strom von Nord- nach Süddeutschland zu transportieren. Ein Nachteilsausgleich für die Regionen, die hier besonders viele Flächen liefern müssen, halte ich für angebracht. Dies wäre die Aufgabe der nächsten Bundesregierung. Das Bundesland Niedersachsen ist hier in besonderer Weise hoch belastet. Im Kreis Wittmund haben wir zudem 99 Salzkavernen, in einigen wird gerade die Speicherung von Wasserstoff erprobt. Die Gegend hier könnte zur Wasserstoff-Modellregion werden. Auch dafür wären Förderungen des Bundes in jedem Fall angebracht.

Dieser Artikel erschien am 4.3.2025 in Ausgabe #042.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail