16. Juni 2020 · 
Soziales

Der Streit um die Pflegekammer: Vertagt, nicht beendet

Von Martin Brüning Kommt sie oder kommt sie nicht? Die Ministerin werde versuchen, in der Zeit der Demonstration für ein Statement zur Verfügung zu stehen, hatte der Referent von Carola Reimann den Kammergegnern vor deren Protestaktion avisiert.  Rund 100 Demonstranten haben sich am Nachmittag vor dem Ministerium versammelt, unter den Beobachtern auch einige Abgeordnete. „Wir fordern die sofortige Abschaffung der Pflegekammer. Und wir fordern den Rücktritt von Frau Reimann“, ruft Ulla Theissing, Pflegekraft aus Lingen im Emsland, ins Mikrofon und erntet Applaus. https://www.youtube.com/watch?v=DULXBruTLEg&feature=youtu.be Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner wiederholt seine Rücktrittsforderung und kritisiert eine „falsche und irreführende“ Befragung bei der Online-Umfrage. Die Ministerin habe nicht die Frage gestellt, die eigentlich zugesagt worden war: Soll es eine Pflegekammer geben – ja oder nein. Stattdessen wurde lediglich nach einer Beitragsfreien Kammer gefragt. „Das ist kein fairer Umgang mehr und entspricht auch nicht dem, was im Landtag zugesagt wurde. Das ist für mich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, sagt Birkner am Rande der Demonstration dem Politikjournal Rundblick. Ans Mikrofon der Demonstrationsteilnehmer tritt auch der CDU-Sozialpolitiker Volker Meyer und hat gute Nachrichten mitgebracht. Während er spricht verdunkelt sich der Himmel über dem Sozialministerium und es ist erstes leises Gewittergrollen zu hören. Kommt Carola Reimann noch? [gallery columns="4" link="file" ids="51403,51405,51404,51406"] Szenenwechsel: Während die Demonstranten auf dem Platz zwischen Landtag und Ministerium demonstrieren, tagt rund zehn Autominuten entfernt die Versammlung der Pflegekammer im Blauen Saal des Hannover Congress Zentrums. Seit 10 Uhr läuft die Sitzung und es wurden bereits wichtige Beschlüsse gefasst. Von einer Einigung in letzter Minute zwischen Kammer und Land wird später in der Pressemitteilung der Kammer die Rede sein, Kammerpräsidentin Nadya Klarmann wirkt in der Pause im Sitzungssaal sichtlich erleichtert. [caption id="attachment_51408" align="alignnone" width="780"] Kammerversammlung mit Schutzmasken im Blauen Saal des HCC - Foto: MB.[/caption] Der Streit über die Beitragszahlung in diesem und in den kommenden Jahren wurde erst einmal beiseite geräumt. Die Versammlung hat einstimmig den Vorstand dazu ermächtigt, von einer Beitragserhebung in diesem Jahr und in den Folgejahren abzusehen, dies aber an eine Bedingung geknüpft: Bis zum 31. Juli muss in diesem Jahr ein Zuwendungsbescheid des Landes bei der Pflegekammer eingehen. Die Versammlung beschloss auch, dass das Land der Kammer eine verbindliche Finanzierungszusage für die Rückzahlung der Beiträge aus den Jahren 2018 und 2019 geben soll. „Wir würden die Beiträge den Mitgliedern gerne rückerstatten, aber wir haben nicht das Geld“, sagt Klarmann. Es geht um 4,8 Millionen Euro, und der Ball liegt in diesem Moment wieder beim Sozialministerium. [caption id="attachment_51402" align="alignnone" width="780"] Sozialministerin Carola Reimann bei der Demonstration der Kammergegner vor ihrem Ministerium - Foto: MB.[/caption] Nicht aus dem Ministerium, sondern aus dem Landtag, direkt aus der Sitzung der SPD-Fraktion, stößt Sozialministerin Carola Reimann eine halbe Stunde nach Beginn der Protestaktion zu den Demonstranten. Reimann, die gerne Jacken in kräftigen Farben trägt, steht im roten Mantel am Mikrofon und wirkt aufgeräumt, nicht wie eine durch Rücktrittsforderungen getriebene Ministerin auf Abruf. Wurde sie im März vergangenen Jahres bei der Demonstration von Kammergegnern noch mit Buhrufen  niedergebrüllt, bleibt es diesmal friedlich, es kommt wirklich so etwas wie eine Diskussion in Gang. Reimann versucht, einen Problempunkt nach dem anderen abzuräumen. Man werde die Zahlung für das Jahr 2020 veranlassen, um die Beitragsfreiheit für das aktuelle Jahr sicherzustellen. Die Untersuchung der IT-Panne bei der Online-Umfrage habe ergeben, dass es sich weder um einen Hackerangriff noch um ein Datenleck, sondern um einen technischen Fehler gehandelt habe. Die Umfrage werde neu gestartet – „so schnell und so sicher wie möglich“. Dafür bekommt Reimann sogar einen zaghaften Applaus.

Auch die umstrittene Umfrage wird überarbeitet

Ein kleiner Lapsus passiert Reimann allerdings, denn die wichtigste Information vergisst sie in ihrer kurzen Ansprache. „Was ist mit der Fragestellung?“, wollen Demonstranten wissen. Diese werde überarbeitet, erklärt Reimann. „Auch viele unter Ihnen fanden, dass es nicht eindeutig genug gewesen ist. Das werden wir auch noch einmal besprechen“, sagt die Sozialministerin. Wie lange wird sich der Neustart der Umfrage nun hinziehen? Das müsste man eigentlich in zwei bis drei Wochen umsetzen müssen, schätzt der CDU-Politiker Volker Meyer. Reimann verlässt die Demonstration unter Applaus. Er ist verhalten, aber immerhin. Auch wenn man nicht in allem einer Meinung sei, danke sie für das Engagement, sagt sie zum Abschied. Kehrt nun Ruhe ein im Dauerstreit um die Kammer? Vermutlich nicht von Dauer, denn am Horizont sind bereits die ersten dunkeln Wolken zu sehen. Der erste Streitpunkt dürfte dabei die Rückzahlung der Beiträge aus den Jahren 2018 und 2019 bleiben. Während Reimann in ihrer Rede bei der Demonstration sagt, man werde schauen müssen, wie man das mit einem Kredit regeln kann, ist das für die Kammer keine Option. „Wir als Kammerversammlung weigern uns, dafür Kredite aufzunehmen, machte Nadya Klarmann deutlich. „Denn das würde im Umkehrschluss bedeuten würden: Wären wir irgendwann doch beitragsfinanziert, würden die Mitglieder das zurückgezahlte Geld nachträglich noch einmal bezahlen.“

Konflikt um dauerhafte Beitragsfreiheit bahnt sich an

An diesem Punkt gibt es die zweite Sollbruchstelle. Eine breite Mehrheit in der Kammerversammlung hält nichts von einer dauerhaften Beitragsfreiheit, die mit einer finanziellen Abhängigkeit vom Land einhergeht. „Die vergangenen Wochen haben gezeigt: Eine Abhängigkeit an dieser Stelle ist nicht förderlich“, sagt Klarmann. https://www.youtube.com/watch?v=YmM0tmgxi1A Reimann wiederum meint, sie nehme zwar die Debatte in der Kammer um die Beitragsfreiheit wahr, und es gebe durchaus Mitglieder, die aus Gründen der Unabhängigkeit Beiträge zahlen wollten. „Das sehe ich aber nicht so. Die politische Verabredung im Landtag ist eine beitragsfreie Kammer für Niedersachsen und sonst keine. Und das ist auch langfristig zugesagt und nicht nur für ein Jahr“, sagt Reimann dem Rundblick. Nach dem Streit ist vor dem Streit. Nur wenige Minuten, nachdem die Demonstranten ins Auto gestiegen sind, setzt der Platzregen im Zentrum  Hannovers ein.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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