Der Mann im Auftrag der Stasi: Was Wolfgang Seiffert in Hannover suchte
In den siebziger Jahren tobte in der hannoverschen SPD ein erbitterter Machtkampf mit vielen Akteuren. Wie Recherchen des Politikjournals Rundblick zeigen, interessierte sich dafür sogar die Staatssicherheit der DDR. Wir haben die Ereignisse in einer kleinen historischen Serie zusammengefasst. Heute der sechste und letzte Teil: Wolfgang Seiffert, der Mann mit dem Auftrag der Stasi.
Er war eine schillernde Persönlichkeit, hochgebildet und erfahren – und seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zunehmend jemand, der im Fernsehen als Kronzeuge auftrat, wenn es um scharfe Kritik am SED-Staat ging. Wolfgang Seiffert musste es ja wissen, er kannte das System der DDR in- und auswendig. Geboren 1926 in Breslau, nahm er als Freiwilliger am Zweiten Weltkrieg teil, geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft und besuchte nahe Gorki eine Antifa-Schule.
1949 wurde er in die Bundesrepublik entlassen, war bis 1953 hauptamtlicher Funktionär der FDJ, der KPD-Jugendorganisation. In diesem Amt hielt er enge Kontakte zur FDJ in der DDR – und wurde 1953 verhaftet, konnte drei Jahre später fliehen und ließ sich in der DDR nieder. Dort studierte er Jura, schrieb seine Doktorarbeit und wurde Professor. Danach soll er dann auch Berater von SED-Generalsekretär Erich Honecker geworden sein. Ab 1974 sollen bei ihm Zweifel an der ostdeutschen Deutschlandpolitik gewachsen sein – er siedelte 1978 in die Bundesrepublik über und lehrte Osteuropäisches Recht an der Uni in Kiel.
Seiffert war für Stasi-Auslandsspionage tätig
Mittlerweile ist bekannt, dass Seiffert in den siebziger Jahren für die Stasi-Auslandsspionage tätig war. Der Historiker Georg Herbstritt, der die Stasi-Einflüsse auf westdeutsche Politiker in einem umfangreichen Gutachten untersucht hat, spricht von einer Mitarbeit Seifferts für „die Desinformationsabteilung der HVA“ seit Oktober 1972. Da die „Hauptverwaltung Aufklärung“ 1989 große Mengen ihrer Spionageakten vernichtet hat, sind nur noch Fragmente übrig. Nach Angaben von Herbstritt nutzte die Stasi vor allem Berichte Seifferts über den inneren Zustand der SPD – er soll vor allem auf die SPD-Justizpolitikerin Herta Däubler-Gmelin, die in den siebziger und achtziger Jahren dem linken SPD-Flügel zugeordnet wurde, angesetzt worden sein.
Was Däubler-Gmelin angeht, seien die Berichte aber nicht sonderlich ergiebig gewesen. Unterlagen, die vorhanden sind, beziehen sich auf die Jahre 1975 bis 1977. In der Stasi-Personalakte von Seiffert ist allerdings etwas anderes erwähnt, das sich auch auf die hannoversche SPD bezieht. Unter der Überschrift „Operative Fakten zu Seiffert“ heißt es, dass der Professor „konkrete Kenntnisse“ über „Maßnahmen der Unterstützung der Mitglieder des Landtags Orzykowski und Pennigsdorf im Wahlkampf 1974“ gehabt habe. Es bleibt in der Darstellung aber unklar, ob Seiffert selbst diese Unterstützung organisiert und vermittelt hat – oder ob er über einen Bekannten agierte, der ebenfalls an seinem Institut (damals noch in Potsdam) tätig war. Auf Seifferts Kontakte zu einem solchen Mitarbeiter, der ebenfalls für die Stasi wirkte, weist der Vermerk hin.
Was aber genau wollte Seiffert? Und was wusste er über Stasi-Eingriffe in den niedersächsischen Landtagswahlkampf 1974? Pennigsdorf sagt, er habe zwei Treffen mit Seiffert gehabt. Im Februar 1974 habe Orzykowski die beiden bekannt gemacht – da Seiffert und Orzykowski in den fünfziger Jahren Kampfgefährten gewesen seien. Beide hatten wegen ihrer Tätigkeit für die verbotene KPD in der Bundesrepublik Haftstrafen verbüßt. Ende August 1974, also nach der Landtagswahl im Juni, habe er, Pennigsdorf, eine Stunde lang mit Seiffert gesprochen. Der Professor habe ihn zu überzeugen versucht, den Wissenschaftleraustausch zwischen DDR und Bundesrepublik zu „beleben“.
Als Jurist, nicht als Politiker habe der Mann aus der DDR mit ihm geredet. Danach, sagt Pennigsdorf, habe er von Seiffert nie wieder etwas gehört – und von Unterstützung der DDR-Staatssicherheit für seinen Wahlkampf wisse er auch nichts. Seiffert wiederum erwähnt die beiden Niedersachsen in seinen umfangreichen Erinnerungen („Selbstbestimmt“, 2006) nicht. Er geht hier auch nicht auf eine Kooperation mit der Stasi-Spionageabteilung in jener Zeit ein. Das Kapitel verschweigt er offenbar.
Seit Ende der siebziger Jahre war Seiffert in Kiel aktiv, aber damalige Weggefährten haben nur wenige Erinnerungen an ihn. Der frühere Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) erklärt auf Rundblick-Anfrage, Seiffert sei „schon wegen seiner Vergangenheit eine schillernde Gestalt“ gewesen, und er habe zu ihm deshalb „immer einen gewissen Abstand gehalten“. Wenn man ihn getroffen habe, sei er immer ausgesprochen freundlich und kollegial gewesen. Herta Däubler-Gmelin, die von Seiffert für die Stasi ausspioniert werden sollte, verweist auf dessen Wirken in Kiel, wo er auch SPD-Mitglied gewesen sei.
Die in dem Vermerk angesprochene „Unterstützung“ der Stasi für die beiden SPD-Landtagsabgeordneten kann nach Einschätzung des Berliner Stasi-Forschers Georg Herbstritt vielfältig gewesen sein: Das Bereitstellen von Mitarbeitern, finanzielle Zuwendungen, die Herstellung von Schriften und Flugblättern oder das Mitwirken von Gruppen im Wahlkampf, die aus der DDR bezahlt und gesteuert gewesen sind.
Durchaus möglich sei, dass die beiden Abgeordneten gar nicht wussten, dass und wie ihr Wahlkampf aus der DDR Rückenwind erhalten hatte. Pennigsdorf zweifelt generell daran, dass es die in dem Vermerk angesprochene Unterstützung überhaupt gab. Herbstritt sieht aber tatsächlich einen Sinn darin, dass sich die Stasi dem linken SPD-Flügel auch im Landtagswahlkampf 1974 angenähert haben könnte. Seit Ende der sechziger Jahre hätten SED und Stasi eine „Hassliebe“ gegenüber der SPD im Westen gepflegt: Man habe die „rechten“ Parteiführer schwächen und die linken Kräfte, denen man eine Gemeinsamkeit im Kampf der Arbeiterbewegung zutraute, stärken wollen.
Ob das auch in Hannover vor der Landtagswahl 1974 so geschah? Oder vielleicht danach, rund um die Wirren des Abtritts von Alfred Kubel 1976? Einiges spricht dafür, aber konkrete Belege fehlen bisher.
Lesen Sie auch die vorangegangenen Teile der Serie um die SPD Linden:
Teil 1: Der Fall Lehners und die dunklen Machtkämpfe in Hannovers SPD
Teil 2: Bruno O. – eine Schlüsselfigur der SPD, die ins Visier der DDR-Staatssicherheit geraten war
Teil 3: Wie zwei SPD-Politiker sich anschickten, eine ganze Ministerriege zu stürzen
Teil 4: Wolfgang Pennigsdorf – der Hoffnungsträger der Linken, der am Ende aufgegeben hat
Teil 5: In Linden, wo der Ortsverein versucht, die SPD ganz auf links zu trimmen
Dieser Artikel erschien am 10.08.2023 in der Ausgabe #133.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
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