Die Kritik aus den eigenen Reihen tut bekanntlich besonders weh. Welche Kritik es aber tatsächlich bis in den siebten Stock des Kanzleramts schafft, vermag ich nicht zu beurteilen. Liest ein Friedrich Merz, was ein Finn Werner in der „Welt“ schreibt? „Der Merz, für den ich gekämpft habe, sitzt nicht im Kanzleramt“, steht da seit voriger Woche. Man kann sich vorstellen, wie solche Zeilen aus der Feder eines echten Merz-Jüngers auf den einstmaligen Hoffnungsträger der Konservativen gewirkt haben müssen.

„Ich will einen Boss“, schreibt der Unions-Influencer in seinem Meinungsbeitrag. Und auch dies: „Verzeihen Sie die Ehrlichkeit: Die Deutschen haben Sie nie geliebt.“ Werner will den harten Wahlkampf-Merz zurück und vermisst mindestens den markigen Oppositionsführer, der inzwischen doch in der Realität einer Koalitionsregierung angekommen ist. Bis zur vorvorletzten Zeile stichelt der Digitalunternehmer mit Einstecktuch gegen den Regierungschef und CDU-Bundesvorsitzenden: „Angela Merkel hat die Politik Ihrer Bundesregierung erst zwei Mal öffentlich kritisiert. Das kann doch nicht Ihr Anspruch sein.“ Treffer, versenkt.
Noch hat Angela Merkel die Stadtbild-Aussage ihres Nach-Nachfolgers nicht öffentlich kritisiert, soviel ich weiß. Muss sie aber auch gar nicht, das Netz feiert eh schon eine Aussage der früheren Kanzlerin aus einer TV-Debatte mit Jörg Meuthen (damals AfD). In dem viralen Videoschnipsel erklärt Merkel, dass sie auf der Straße Menschen mit Migrationshintergrund, die deutsche Staatsbürger sind, und solche, die die deutsche Staatsbürgerschaft nicht haben, nicht unterscheiden könne. Ebenfalls: Treffer, versenkt.
Im „Spitzengespräch“ mit Markus Feldenkirchen erklärte die Altkanzlerin neulich, sie habe die Forderung nach „mehr Politik für die Kernwählerschaft der CDU“ immer sonderbar gefunden. Schließlich habe sie in freier Wahl nie eine andere Partei als die CDU gewählt – folglich musste sie zur Kernwählerschaft der CDU gehören und ihre Politik damit lupenreine Unionspolitik sein. Finn Werner und Friedrich Merz dürften diese Herleitung beide missbilligen. Der Kern, das sind wir.
Dass die Union aber viele Gesichter hat, zeigt unterdessen ein Kommunalpolitiker aus Mönchengladbach auf eindrucksvolle Weise. Auf Instagram folgen inzwischen mehr als 17.000 Menschen dem Rechtsanwalt Dieter Breymann, der sich selbst als CDU-Opa betitelt. Immer wieder meldet er sich dort mit kleinen Videobotschaften zu Wort, in denen er seine Sicht auf die Welt und seine eigene Partei kundtut. In einem Video, das bis Redaktionsschluss über 183 Tausend Menschen angesehen haben, rechnet Breymann mit den Stadtbild-Aussagen seines Parteivorsitzenden ab. Besonders aber empört ihn dies: „Wenn ich alle loswerden will, die mich stören, wie das die faschistische AfD will, dann bedeutet das: Verabschiedung vom Recht und hemmungslose Gewalt. Dann werden wir dasselbe erleben, wie in den USA: Menschen werden auf offener Straße gejagt.“
Breymann fürchtet um nicht weniger als die liberale Demokratie, in der kein Mensch wegen seiner Herkunft, seiner Religion, seiner Meinung oder seiner Art zu leben Angst haben müsse. „Genau das setzen wir aufs Spiel. Und so Äußerungen, wie die meines Parteivorsitzenden, die sorgen mit dafür. Das geht gar nicht. Da ist mindestens eine Entschuldigung fällig“, sagt er und schließt mit der Resignation: „Wir werden sie nicht hören.“
Am Montag verteidigte Friedrich Merz seine Einlassungen zum „Stadtbild“. Die Kritik aus den eigenen Reihen tut nur dann weh, wenn man sie hört.
Unsere Themen im heutigen Rundblick:
Bleiben Sie kritikfähig.
Ihr Niklas Kleinwächter


