Der Algorithmus ist unser neuer Rhythmus
Die Gewerkschaft Verdi und die Friedrich-Ebert-Stiftung haben eine Studie zur Digitalisierung im Dienstleistungsbereich vorgestellt. Ein Kommentar von Martin Brüning.
Vor drei Jahren veröffentlichte der US-Autor Dave Eggers seinen Roman „The circle“. Darin geht es um die junge Mae Holland, die bei einem Internetkonzern anheuert, der verdächtig an Unternehmen wie Google, Apple oder Facebook erinnert. Doch die schöne neue Welt, bestehend aus coolen Partys, auf die eigene Persönlichkeit zugeschnittenen Büroräumen und sogar luxuriösen Hotelzimmern auf dem Betriebsgelände (wenn die Arbeit mal wieder länger dauert), entwickelt sich anders gedacht: Aus dem Traumjob wird ein Albtraum. Eggers rechnet in seinem Roman gnadenlos mit dem Transparenzwahn im digitalen Zeitalter ab.
Wie werden wir, und wie werden unsere Kinder in der Zukunft arbeiten? Die öffentliche Diskussion ist von zwei Extremen geprägt. Die eine Seite befürchtet, dass Millionen von Jobs künftig hinfortdigitalisiert werden könnten. Die andere Seite verspricht sich unendliche Freiheit und Flexibilität bei der Arbeit. Beide Szenarien werden wohl in diesem Extrem nicht eintreffen, dennoch müssen wir uns auf große Veränderungen einstellen. Die Studie von Verdi und Friedrich-Ebert-Stiftung weist in die richtige Richtung, weil sie sowohl die Chancen benennt als auch die Risiken aufgreift.
Zur Digitalisierung gehört auch, dass wir uns ehrlich eingestehen: Es kann für uns nicht alles so bleiben, wie es ist, weil wir den Wandel selbst befördern. Wir können für uns selbst nicht Beständigkeit in Anspruch nehmen, wenn wir anderen Flexibilisierung abverlangen. Konkret: Ich möchte die Service-Hotlines gerne 24 Stunden am Tag und sieben Tag pro Woche erreichen, aber meine eigenen Arbeitszeiten sollen so bleiben, wie sie immer waren. Ich schätze die kleinen Geschäfte bei mir im Stadtteil, aber ich selbst kaufe günstiger im Internet ein. Ich möchte gerne so viel verdienen wie der Facharbeiter bei Volkswagen, mein neues Auto sollte aber nicht teurer als ein Dacia sein. Der Algorithmus ist der neue Rhythmus – aber der Algorithmus sind wir selbst.
https://soundcloud.com/user-385595761/digitalisierung-politik-sollte-nicht-zu-weit-hinterherlaufen
Wir werden die Digitalisierung mitsamt der zunehmenden Veränderung der Arbeitswelt nicht verhindern können, weil wir selbst nur in Maßen veränderungsbereit sind. Also brauchen wir, wie Wirtschaftsminister Olaf Lies es formuliert, einen Rahmen. Dabei geht es nicht darum, so viel wie möglich von der alten Arbeitswelt in eine neue zu retten, sondern die Grenze zwischen Flexibilität und dem unzulässigen Ausnutzen von Arbeitskraft klar zu ziehen. Es geht darum, uns ein wenig vor uns selbst zu schützen.
Wir alle werden ein grundsätzliches Verständnis für Technologien entwickeln müssen. Bereits in der Schule muss es Raum für das Thema Digitalisierung geben, weil es alle Schüler in ihrem Berufsleben betreffen wird, egal ob sie e-Doktor, Ingenieur, Industriearbeiter oder Buchhändler werden. Und auch die Weiterbildung wird eine völlig neue Bedeutung bekommen – übrigens auch für das Management, das die digitalen Teams der Zukunft nicht mit den Methoden der Vergangenheit zu Erfolgen führen wird.
Das Wissen über das, was nötig ist und sein wird, haben wir heute schon. Für den Mathematiker und Autor Gunther Dueck wäre das schon einmal eine hervorragende Grundlage. Er meint: „Was man wissen muss, hat einen sehr bestimmten Belehrungscharakter. Man muss es nicht wirklich wissen, sondern man musste es gewusst haben, wenn etwas schief läuft.“