2. März 2017 · 
Kommentar

Das verhängnisvolle Schweigen der SPD

Darum geht es: Der Landtag hat gestern über das jüngste Urteil des Staatsgerichtshofs in Bückeburg zum Untersuchungsausschuss debattiert. Die Debatte war ein Gradmesser für die Stimmung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition, meint Klaus Wallbaum. Als Jens Nacke von der CDU gestern im Landtag eine Reihe juristischer Niederlagen von Rot-Grün aufgezählt hat, klang das auf den ersten Blick schon beeindruckend: Drei Urteile des Staatsgerichtshofs in Bückeburg zu Lasten der Landesregierung – wegen verzögerter Aktenvorlage oder Auskünfte im Fall Paschedag, im Fall Edathy und in anderen Fällen, außerdem ein Rechtsstreit, der nur durch kurzfristiges Einlenken der Staatskanzlei abgewendet wurde. Ist das eine einmalige Häufung, spricht das für ein problematisches Rechtsverständnis von Rot-Grün? Bei näherer Betrachtung lässt sich der Vorwurf nicht halten, denn auch Schwarz-Gelb hatte bis 2013 eine Schlappe nach der anderen in Bückeburg kassiert. Es ist eben so, dass Regierungen ihren Spielraum auszuweiten gedenken – und es ist Aufgabe der Opposition, die Verfassungsgerichte einzuschalten und die Grenzen überprüfen zu lassen. Das sind die Instrumente von parlamentarischer Kontrolle und Gewaltenteilung, und diese funktionieren auch in Niedersachsen. Aber herrscht im Landtag auch ein ungeteilter Respekt für diese Abläufe? Darüber entwickelte sich gestern im Parlament eine heftige Diskussion. Die SPD verpasste eine Chance, angesichts des jüngsten Urteils aus Bückeburg ein Zeichen von Demut abzugeben. Was war geschehen? Der Staatsgerichtshof hatte entschieden, dass die rot-grüne Regierungsmehrheit im Mai vergangenen Jahres gegen die Verfassung verstoßen hatte, als sie den Auftrag für den Islamismus-Untersuchungsausschuss eigenmächtig ausweitete – von Anfang 2013 auf die Zeit, in der noch CDU und FDP regiert hatten. Damit habe Rot-Grün die Richtung der Ausschussarbeit ändern wollen, meinte das Gericht, und dies vertrage sich nicht mit der Landesverfassung. In der gestrigen Parlamentsdebatte erläuterte der CDU-Mann Nacke umfangreich im staatstragenden Ton, dass dieses Urteil für Rot-Grün eine Zäsur sein solle: „Es wäre jetzt an der Zeit, dass der Innenminister seine restriktive Haltung ändert, endlich die von der Opposition im Untersuchungsausschuss angeforderten Akten liefert und den Zeugen die Aussagegenehmigung erteilt.“ Der FDP-Politiker Stefan Birkner fügte hinzu: „Das Schlimme ist, dass Rot-Grün genau gewusst hat, dass mit dem damaligen Beschluss über den Untersuchungsausschuss gegen die Verfassung verstoßen wird. Sie haben es trotzdem getan, es war ihnen egal.“ Zum SPD-Abgeordneten Grant Hendrik Tonne gewandt, sagte Birkner: „Ich habe bei Ihnen vermisst, dass Sie sich für ihr Verhalten entschuldigen.“ Tatsächlich fehlte im Wortbeitrag des SPD-Politikers Tonne ein solches Wort des Bedauerns, der Sozialdemokrat forderte Nacke vielmehr auf, „eine Spur kleiner“ aufzutreten – und „die Sache jetzt nicht weiter zu skandalisieren“. Wenig später trat der Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg nach vorn, und er sagte gleich zu Beginn: „Ich bedaure, dass wir die Verfassung gebrochen haben.“ Daraufhin ertönte längerer Applaus aus der CDU- und der FDP-Fraktion. SPD und Grüne seien schon „demütig nach Canossa gegangen“, meinte Limburg in seiner Rede, fügte dann aber scherzhaft hinzu, dass der damalige König Heinrich IV. nach dem Canossagang immerhin noch 28 Jahre lang weiterregiert habe. Das Beispiel lockerte die Diskussion etwas auf. Einmütig hat der Landtag daraufhin den Auftrag des Islamismus-Untersuchungsausschusses geändert. Die zunächst von SPD und Grünen durchgesetzte Erweiterung wurde wieder zurückgenommen, nun arbeitet das Gremium nach dem Auftrag von CDU und FDP – ganz so, wie es der Staatsgerichtshof in seinem jüngsten Urteil verlangt hatte. Trotzdem hinterlässt die Parlamentsdebatte über diesen Fall einen schalen Beigeschmack: In dem Urteil hatte der Staatsgerichtshof den Bruch der Verfassung durch Rot-Grün ziemlich klar und eindeutig beschrieben, der Richterspruch lässt kaum Raum für unterschiedliche Interpretationen. Dennoch war der Vertreter der größten Regierungspartei am Donnerstag nicht willens oder in der Lage, das eigene Fehlverhalten auch klar als solches zu benennen. Für die Sachdebatte wäre eine solche Selbstbezichtigung wohl nicht nötig gewesen, für die politische Kultur im Parlament aber schon – als Verneigung vor den Oppositionsrechten in der Landesverfassung. Die SPD hat das gestern versäumt.   Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #42.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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