Das gute Beispiel: In Göttingen wird klar, warum eine Kreisfusion gelingen kann
Brauchen wir vergrößerte Kreise, wenn wir uns künftig noch überall gutes Fachpersonal leisten wollen? Der Rundblick bereitet das Thema in einer Serie auf. Heute der dritte Teil: Eine Reform kann gelingen.
Ein bisschen, sagt Lars-Oliver Eggers, Fleischermeister aus Osterode, fühle man sich heute „wie das sechste Rad am Wagen“. Früher, also bis vor drei Jahren, war seine Heimatstadt mit ihren knapp 24.000 Einwohnern noch Sitz der Kreisverwaltung. „Da waren alle Behörden quasi nebenan.“ Nun aber, da Göttingen und Osterode einen einzigen Landkreis bilden, sei Osterode degradiert – so wie andere ehemalige Kreisstädte wie Duderstadt im Eichsfeld oder Hannoversch Münden an der Grenze zu Hessen. Die Universitätsstadt Göttingen mit ihren 120.000 Menschen sei das eindeutige Zentrum eines Landkreises mit stattlicher Fläche (1753 Quadratkilometer) und stattlicher Einwohnerzahl (327.000 Menschen). War es also ein Fehler, dass Osterode mit Göttingen zusammenging?
Im Hause von Fleischermeister Eggers wird darüber schon strittig diskutiert. Der Sohn, Lars-Oliver, sieht alles überwiegend skeptisch. Die nun auf einmal eingetretene räumliche Ferne der Kreisverwaltung erhöhe nicht gerade den Pragmatismus der handelnden Beamten, meint er. Gerade beim Denkmalschutz merke man es. Oder auch bei den Lebensmittelkontrollen, die in einer Fleischerei nun mal zum regelmäßigen Geschäft gehören.
Es ist ja richtig, dass der Kreis Osterode auf Dauer allein nicht mehr lebensfähig gewesen wäre. Jetzt sind wir Teil eines starken Gebildes.
Sein Vater Eberhard Eggers, viele Jahre lang Kreishandwerksmeister und als „Hardliner“, also vehementer Gegner der Kreisfusion bekannt, hat mittlerweile seinen Frieden mit dem Projekt geschlossen: „Es ist ja richtig, dass der Kreis Osterode auf Dauer allein nicht mehr lebensfähig gewesen wäre. Jetzt sind wir Teil eines starken Gebildes“, meint der Senior – und ist weit davon entfernt, die Rückabwicklung der Kreisfusion auch nur anzudeuten.
Was man bei Familie Eggers schon merkt, sind Dissonanzen in Detailfragen, die durchaus lästig sein können. So hatte die Fleischerinnung Osterode lange Zeit, eigentlich bis heute, gute Kontakte zur Fleischerinnung Northeim. Ursprünglich war ja auch Northeim ein Fusionskandidat für Süd-Niedersachsen, bis der frühere Landrat die Preise hochschraubte und die Northeimer dann außen vor blieben.
Erzählt wird auch die Legende, die anderen hätten Northeim draußen halten wollen – doch das klingt wenig überzeugend. Wie dem auch sei: Nun soll sich die Fleischerinnung Osterode mit der in Göttingen verbinden – obwohl die Göttinger vor Jahren aus der Landesfleischerinnung ausgeschert sind. Bei den Eggers‘ wird das alles mit Skepsis betrachtet: Was heißt das für die Branche, wenn man sich nun an eine Innung bindet, die auf Landesebene weniger vernetzt ist als es die bisherige Kooperation Osterode-Northeim war?
Fusion von Göttingen und Osterode gilt als gelungen
Das Beispiel zeigt: Im Alltag von Verbänden, Vereinen und traditionellen Organisationen braucht eine Kreisreform noch Zeit, bis sie bei den Menschen (auch emotional) ankommt. Gleichwohl kann die Fusion von Göttingen und Osterode wohl mit Fug und Recht als „gelungen“ bezeichnet werden. Landrat Bernhard Reuter (SPD) nennt dafür einige Gründe und verschweigt nicht, dass die allgemein gute wirtschaftliche Lage manches auch vereinfacht hat. Die Kreisumlage der Mitgliedsgemeinden wurde abgesenkt, mit der „Hochzeitsprämie“ vom Land (80 Millionen Euro) wurden die Schulden gesenkt und die Kassenkredite abgebaut – die Investitionen in Schulen, Gebäude und Computertechnik wurden erhöht, Kürzungen beim Kreis-Personal konnten bisher vermieden werden. Die Wirtschaftsfördergesellschaft engagierte sich stark, vor allem im alten Kreis Osterode für mehrere dort aktive Mittelständler. Reuter, der nie gewankt hat und jahrelang zielgerichtet auf die Fusion zumarschierte, kann das alles auch als einen persönlichen Erfolg verbuchen: Er hat Rückgrat gezeigt, es zahlte sich aus. Während seine Parteifreunde in Hannover immer wankten, wenn es um Kreisreformen ging, steuerte Reuter in seiner Region zielstrebig darauf zu.
Kritiker haben sich mit der Reform arrangiert
Und die CDU, die zweitstärkste Kraft? Harald Noack, bekennt sich zu den Bedenken, die gerade seine Partei anfangs gehabt habe. Aber nach der Kommunalwahl 2016, mit der die Fusion besiegelt wurde, seien Sozial- und Christdemokraten im Kreistag jeder für sich „ziemlich schnell zusammengewachsen“, die früher immer behaupteten „landsmannschaftlichen Gegensätze“ spüre man kaum, auch die angebliche Harz-Orientierung der Osteröder, die lieber mit Goslar zusammengegangen wären, merke man kaum. Jüngst wurde ein Ortsschild mit dem Logo „Göttingen am Harz“ verbreitet, das Zeichen einer Heimatverbundenheit mit neuen geographischen Bezügen.
Natürlich gibt es emotionale Hürden, die bei einer solchen Fusion überwunden werden müssen.
Der ehemalige Fusionskritiker und Herzberger Bürgermeister Lutz Peters (CDU) bekannte kürzlich: „Der Name Göttingen zeigt vielleicht auch, dass wir nicht weit ab vom Schuss sind, sondern in der Nähe einer altehrwürdigen Uni-Stadt. Ich habe inzwischen ein Göttinger Nummernschild – auch wenn ich mir dazu einige Sprüche anhören musste. Aber es geht eben weiter, und wir finden uns in einer vernünftigen Einheit wieder.“ Solche und ähnliche Stimmen führen dazu, dass aus der CDU heute keine Nein zum neuen Kreis mehr zu hören ist. Man hat sich arrangiert.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Ehbrecht aus Duderstadt sagt: „Ob man einen Antrag an die Kreisverwaltung nun an Osterode oder an Göttingen richtet, spielt keine Rolle – man macht es sowieso künftig mit einem Klick am Computer zuhause.“ Landrat Reuter meint dazu: „Natürlich gibt es emotionale Hürden, die bei einer solchen Fusion überwunden werden müssen. Aber die Erfahrung aus Göttingen und Osterode zeigt eben, dass man diesen Schwierigkeiten nicht einfach ausgeliefert ist – man kann mit ihnen umgehen, wenn man den Prozess entschlossen gestaltet.“
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Allerdings sind solche Fusionen auch nie vor Rückschlägen gefeit – oder Momenten, in denen sich der alte Geist der Kleinstaaterei wieder durchsetzt. Kurioserweise geschieht das oft genau dort, wo betriebswirtschaftliche Rationalität und nüchterne Zahlenarithmetik besonders ausgeprägt sein müssten. Als Gegengewicht zur starken Sparkasse Göttingen sollten sich vier kleinere, bisher selbstständige Sparkassen im Kreis zusammenschließen – Hann. Münden, Duderstadt, Osterode und Bad Sachsa. Doch kurz vor Weihnachten sagte der Rat der Stadt Duderstadt überraschend nein zu dem Konzept, das gerade für die Duderstädter sehr entgegenkommend war. Eine späte Rache dafür, dass das katholische Eichsfeld 1973 an den damaligen Kreis Göttingen angegliedert wurde? Auf jeden Fall drückt der Ratsbeschluss ein Bedürfnis nach Selbstbehauptung aus. Vielleicht ist das ab und zu nötig, auch und gerade in einem größeren Landkreis. (kw)