27. Juni 2017 · Kommentar

Das Gespür der Kanzlerin

Darum geht es: Angela Merkel hat die Öffentlichkeit überrascht – bei der Frage, ob gleichgeschlechtliche Paare auch formal eine Ehe eingehen können sollen, plädiert sie für die Gewissensfreiheit jedes Abgeordneten. Fraktionszwang soll es nicht geben. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum. Wenn sich Politiker in diesen Tagen zu wichtigen Themen äußern, hat das nur begrenzt mit den Inhalten zu tun. Die Kommunikation zwischen SPD und CDU, Grünen, FDP, Linken und AfD wird im Sommer 2017 vor allem von taktischen Überlegungen bestimmt. Die Urlaubszeit der Deutschen steht bevor, da verfolgen die Parteien zuallererst das Ziel, sich noch einmal von der besten Seite zu präsentieren – und die Gegner in keinem guten Licht erscheinen zu lassen. Denn wenn irgendwann im August die Leute wieder zurückkehren zur Arbeit, tobt der Bundestagswahlkampf schon auf Hochtouren. Dann wird kaum noch Bewegung erkennbar sein in den politischen Positionen. Deshalb wird es auch nicht überwiegend ein Ausdruck von tiefer innerer Überzeugung gewesen sein, als SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Sonntag auf dem SPD-Bundesparteitag erklärte, seine Partei werde nur einen Koalitionsvertrag unterschreiben, der die „Ehe für alle“ vorsieht. Sicher, die große Mehrheit der SPD denkt so. Aber Schulz weiß auch: Bei FDP, Grünen und Linken ist auch eine klare Mehrheit für diesen Weg, nur in der Union ist das Bild gespalten – da sind die Modernisierer, die mit der Gleichstellung kein Problem haben, weil sich die Gesellschaft eben verändert hat, und die Traditionalisten, die dem hergebrachten Familienbild (Vater, Mutter, Kinder) anhängen. Indem Schulz nun das Junktim zwischen Koalitionsvertrag und Homo-Ehe hergestellt hat, erhöhte er den Druck auf die Union, sich hier auch zu bewegen – vermutlich nicht ohne die Hoffnung, dass dadurch die Konflikte zwischen den Lagern in der CDU/CSU wieder aufbrechen würden. Ein Sommertheater, das vom Unionskonflikt über die „Ehe für alle“ gefüttert wird, wäre ganz im Sinne der Sozialdemokraten – denn Zerstrittenheit bei den Christdemokraten könnte niemandem so sehr nutzen wie der SPD. Merkel hat das erkannt – und die Reißleine gezogen. Sie wählt die Flucht nach vorn und verkündet, die Fraktionsdisziplin solle nicht gelten, wenn im Bundestag über dieses Thema abgestimmt wird. In der Sache ist das gleichbedeutend mit einer Mehrheit im Bundestag für die Homo-Ehe. Riskiert die Kanzlerin damit nicht aber, dass der Zorn des konservativen Flügels, der sich bisher nur hin und wieder Luft macht, ins Unermessliche steigt? Aus drei Gründen nicht: Erstens bedeutet die Ansage „Gewissensentscheidung“, dass kein Gegner der „Ehe für alle“ in der Union dafür stimmen muss. Merkel zwingt also der Partei, anders als bei der Wehrpflicht-Abschaffung oder beim Atomausstieg, ihren Willen nicht auf. Zweitens müssen die Gegner der Reform erkennen, dass sie im politischen Spielfeld sowieso in der Minderheit sind, lediglich die AfD am rechten Rand teilt diese Ansicht. Drittens ist die Gegnerschaft zur Homo-Ehe unter den Positionen, die konservative Kräfte in der Union gern propagieren, wohl die schwächste und angreifbarste. Faktisch gibt es die Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Paaren bereits, lediglich im Adoptionsrecht sind noch Unterschiede vorhanden. Viele europäische Länder, auch solche mit langer christlicher Tradition, haben ihr Recht schon geändert. Und schließlich ist die Homophobie Ausdruck jener Rückständigkeit, die gerade konservative Kräfte in der Union am Islamismus derzeit so heftig beklagen. Natürlich hat Merkel keine Garantie, dass der rechte Flügel ihrer Partei nicht doch irgendwann deutlicher aufbegehrt. Viele haben die Faust in der Tasche geballt. Bisher sind die tatsächlichen oder möglichen Leitfiguren klug genug, die für Wahlkampfzeiten so nötige Geschlossenheit zu demonstrieren und Treue zu Merkel zu verkünden, Horst Seehofer eingeschlossen. Aber lohnenswerte Themen für den konservativen Kreis gibt es schon – den Doppelpass etwa, den viele für verfehlt halten, weil er die Inhaber nicht zu einem klaren Bekenntnis für eine Staatsbürgerschaft zwingt, die Grenzsicherung, die bei jedem neuen Flüchtlingsstrom schnell wieder zum Thema wird, die Traditionspflege in der Bundeswehr, die nach Ansicht vieler Kritiker von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen nicht ausreichend gewürdigt wird – oder auch die innere Sicherheit, die viele Kritiker in der Union nicht nur für wichtig, sondern für absolut prioritär halten. Verglichen damit ist das Nein zur Homo-Ehe doch nur reine Symbolik. Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #120.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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