22. Sept. 2016 · 
Wirtschaft

Das Ende von Buschhaus – und der Anfang einer großen Vision?

Helmstedt als Naherholungsgebiet? Da stutzt man erst einmal. Früher, da gab es hier die Zonengrenze, die Gegend diente als Ausflugsziel für Menschen, die den eisernen Vorhang aus der Nähe sehen und das Frösteln lernen wollten. Dann war da der Braunkohlenabbau, in den siebziger Jahren boomte er, 3000 Leute waren zu Spitzenzeiten in der Branche beschäftigt. Riesige Bagger, abgefräste, wüstenähnliche Landschaften – das hatte wenig mit schöner Natur zu tun, war aber durchaus eindrucksvoll. Aber wie es so oft ist in Gegenden, die vom Braunkohleabbau geprägt sind: Mit der Zeit ändert sich die Nutzung. Im Süden Leipzigs entstanden Feriengebiete für Segler, und auch in Helmstedt wächst bald eines heran. Der Lappwaldsee soll entstehen, und er soll  in 20 Jahren „das drittgrößte Gewässer in Niedersachsen sein“, schwärmt Helmstedts Bürgermeister Wittich Schobert und fügt neckisch hinzu: „Das wird dann größer sein als der Maschsee.“ Dann sind in der Nähe noch die Schöninger Speere ausgestellt, die Gedenkstätte am alten DDR-Grenzübergang ist nicht weit. Also reift in Helmstedt allmählich doch ein lohnenswertes Ausflugsziel heran. Schobert weiß allerdings: Tourismus ist schön, aber Tourismus allein ist keine Rettung für eine strukturschwache Region. So feilen die Helmstedter an einem Konzept für Neuansiedlungen von Unternehmen, und sie müssen parallel noch eine Großaufgabe meistern: Was wird aus dem alten Kohlekraftwerk Buschhaus? Als es vor mehr als 30 Jahren gebaut wurde, in der Endphase der CDU/FDP-Regierung von Ernst Albrecht, war Buschhaus symbolbehaftet. Die Umweltbewegung protestierte, nannte Buschhaus „eine Dreckschleuder“ und setzte durch, dass eine teure Rauchgasentschwefelungsanlage eingebaut wurde. Wie Gorleben oder Wackersdorf wurde Buschhaus zu einem symbolischen Begriff für die damals wachsende Umweltbewegung, vielleicht sogar zu einer Wegmarke beim Aufstieg von Rot-Grün zur ersten Landesregierung 1990. Heute ist Buschhaus wieder ein Symbol, aber gewandelt: Da Deutschland den Kohlendioxidausstoß eindämmen muss, Kohlekraftwerke aber besonders viele Emissionen abgeben, wird Buschhaus vorzeitig geschlossen. Am 30. September ist die letzte Schicht. Der Braunkohleabbau in Helmstedt endete schon einen Monat früher, nach stolzen 150 Jahren. Buschhaus bleibt zunächst als „Reservekraftwerk“ erhalten, für vier Jahre. Eigentlich sollte das Kraftwerk noch bis 2030 laufen, aber der politische Druck zum Klimaschutz wird zu stark. So ist nun schon 14 Jahre eher Schluss. Wenn Helmstedt und das benachbarte Büddenstedt fusionieren, was demnächst vollzogen werden soll, hat die Gemeinde Zugriff auf die Gewerbeflächen – und Bürgermeister Schobert hofft dann auch auf gezielte Unterstützung der Landesregierung. Neben dem alten Kraftwerk steht eine Müllverbrennungsanlage, die im vergangenen Jahr für 1,4 Milliarden Euro von den Chinesen gekauft wurde. Nun muss überlegt werden: Kann man mit der bisher ungenutzten Abwärme der Verbrennungsanlage Industriehallen oder Großgärtnereien beheizen? Lässt sich sogar Industrie dort ansiedeln, zumal die nächste Wohnbebauung einen Kilometer weit entfernt ist – und es noch dazu eine Autobahnanbindung gibt? Schobert spricht bewusst von „Industrieansiedlung“. Gewerbeflächen, meint er, gibt es ja schon genug. Aber ein 50 Hektar großes Areal, auf denen sich größere Hersteller niederlassen können, die auch Lärm erzeugen und Abgas – das gebe es nicht oft in Deutschland. Vielleicht könne man die alten Kraftwerksgebäude weiter nutzen. Auf jeden Fall aber lägen dort schon Versorgungsleitungen für Strom, Wasser und Abwasser. Das Gelände sei ideal geeignet für Unternehmen, die sich ausbreiten wollen. Jetzt muss nur noch die Werbetrommel gerührt werden – und Wirtschafts-Staatssekretärin Daniela Behrens habe, heißt es, den Helmstedtern schon ihre Unterstützung zugesagt. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #171.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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