Das ehemalige Kohlerevier Helmstedt kämpft um Unterstützung
Von Martin Brüning
Die Drehleiter der Feuerwehr Helmstedt wird ausgefahren und ist schon kurz darauf weit oben in luftiger Höhe. Im Korb stehen Wirtschaftsminister Bernd Althusmann, der Landrat des Landkreises Helmstedt Gerhard Radeck und Helmstedts Bürgermeister Wittich Schobert. Sie schauen von oben auf eine fast 50 Hektar große Fläche, direkt neben der Ausfahrt Rennau an der A2.
Eigentlich hatte sie der Kreis Helmstedt vor 25 Jahren einmal gekauft, um an der Stelle eine Deponie zu errichten, doch dazu kam es nie. Jetzt soll hier das Gewerbegebiet Rennau entstehen. Landkreis und Stadt hoffen auf Fördergelder für den Strukturwandel, die nach dem beschlossenen Aus für die Kohle bereitgestellt werden sollen. Man könne dann sofort mit dem Ausbau beginnen und schon im kommenden Jahr erste Betriebe ansiedeln, heißt es. Im besten Fall hofft man auf bis zu 400 Arbeitsplätze.
Althusmann ist vor allem von der Zusammenarbeit der Kommunen beeindruckt. Denn auch die Städte Braunschweig und Wolfsburg haben Interesse an der Entstehung des Gewerbegebiets. Dennis Weilmann, Wirtschaftsdezernent der Stadt Wolfsburg, ist zwar nicht mit im Feuerwehr-Korb, schaut sich das Ganze aber von unten an. Es gebe großen Bedarf an Gewerbeflächen, immer wieder fragten Unternehmen an. Städte wie Braunschweig und Wolfsburg könnten diesen Bedarf aber flächenmäßig nicht mehr bedienen. Deshalb setzt man auch dort auf Gebiete wie Barmke an der A2. Man sei gerade dabei, die Fördermöglichkeiten zu prüfen, in welcher Größenordnung müsse man allerdings noch verhandeln, sagt Althusmann. Zu viel Hoffnung will er dann doch nicht machen.
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Jörn Domeier, Landtagsabgeordneter der SPD, würde es gerne schon etwas genauer wissen. Er hat bereits im Wirtschaftsministerium nachgefragt, ob der Antrag für das Gewerbegebiet die baufachliche Prüfung durch den Fördergeber bestanden hat und wie es überhaupt konkret mit den Absichtserklärungen von Unternehmen aussieht. Auf die Antwort wartet er noch.
Im ehemaligen Kohlerevier Helmstedt wartet man auch seit einiger Zeit – auf Unterstützung. Althusmann spricht an diesem Tag immer wieder von rund 3000 Stellen, die der Strukturwandel bisher in der Region gekostet habe. Wer noch tiefer in die Geschichte blickt, erkennt schnell, dass die Zahlen noch deutlich höher sind. In den besten Zeiten hatten die Braunschweigischen Kohlen-Bergwerke mehr als 7000 Mitarbeiter. Die Zeiten sind vorbei, 2016 stellte auch noch das Kohlekraftwerk Buschhaus seinen regulären Betrieb ein und dient seitdem als so genannte stille Reserve. Von den einstmals 300 Mitarbeitern sind nur noch 80 am Standort beschäftigt.
Damals gab es dafür überhaupt keinen Ausgleich, kritisiert Wittich Schobert und spricht von einer großen Unsicherheit. „Wir sind jetzt der Testballon. Man weiß auch gar nicht, ob das Kraftwerk als stille Reserve einfach so wieder angefahren werden kann.“ Dennoch bekommt der Betreiber jedes Jahr Millionensummen für den Fall, dass das Kraftwerk im Notfall wieder angeworfen werden muss. Experten zweifeln, ob das überhaupt jemals in Frage kommen wird. Voraussichtlich nächstes Jahr könnte der Rückbau beginnen.
Althusmann macht Nägel mit Köpfen
Nach dem Termin mit Feuerleiter geht es für Althusmann weiter zum Kraftwerk Buschhaus. Es geht dort allerdings nicht mehr um alte, sondern neue Energien. Thema ist unter anderem eine Anlage für das Recycling von E-Auto-Batterien. Diese hätten eine Lebensdauer von bis zu sieben Jahren, vielleicht bis zu 12 Jahren, wenn sie nachgeladen werden. Die Rohstoffe für die Batterien kommen aus dem Ausland, das macht das Recycling besonders interessant. Eine Landesförderung für das Projekt hält der Wirtschaftsminister für „sehr gut vorstellbar“, es habe die höchsten Chancen, als innovatives Projekt in der Region verwirklicht zu werden.
Ebenfalls gute Chancen sieht Althusmann für eine Anlage zur Rückgewinnung von Phosphor. In ein paar Jahren darf die Landwirtschaft keinen Klärschlamm mehr als Dünger einsetzen. Gleichzeitig muss der im Klärschlamm enthaltene Phosphor zurückgewonnen werden. Rüdiger Bösing vom Abfallverbrenner EEW setzt darauf, aus dem zurückgewonnenen Phosphor hochwertigen Dünger zu machen und diesen wieder an die Landwirte zu verkaufen. Die Forschungen seien schon gut vorangeschritten. Man brauche allerdings noch einen Vertriebspartner und die Zeit sei knapp, denn auch Unternehmen im Ausland seien bereits in dem Bereich aktiv geworden.
Althusmann will an diesem Freitag in Helmstedt Nägel mit Köpfen machen. Wer die Koordination und Verantwortung für die Projekte übernehme, um die nächsten Schritte konzeptionell zu erarbeiten, fragt er. Für das Thema Batterie-Recycling meldet sich Professor Christoph Herrmann vom Fraunhofer Institut, für die Phosphor-Rückgewinnung nimmt Althusmann IG BCE-Bezirksleiter Jörg Liebermann in die Pflicht.
Die Organisation steht, fehlt nur noch das Geld. In den kommenden Jahren will der Bund 1,5 Milliarden Euro in den Strukturwandel der Braunkohlereviere in Deutschland investieren. Klar ist bereits, dass große Summen nach Nordrhein-Westfalen und in die Lausitz fließen werden. Wieviel bleibt für das Helmstedter Revier übrig, muss man in Berlin dafür stärker kämpfen? „Ja, muss man“, antwortet Althusmann später bei einem Pressegespräch im Büro des Helmstedter Bürgermeisters.
Die Gespräche der Strukturwandelkommission hätten bisher auch nur mit den Ministerpräsidenten der großen Kohleländern stattgefunden. Niedersachsen sei nur indirekt beteiligt gewesen. „In Kürze findet dazu aber auch ein Gespräch mit niedersächsischen Vertretern statt. Die Zusicherung der Bundesregierung steht, dass das Helmstedter Revier in die Förderung des Bundes eingebunden sein wird, auch wenn der eine der andere das in Berlin angezweifelt hat. Wieviel Geld es sein wird, kann man aber noch nicht sagen“, so der Wirtschaftsminister.
Am Ende überwiegt im Revier dennoch der Optimismus. Beim Treffen mit Althusmann im Rathaus haben sich alle Bürgermeister des Landkreises versammelt, die Wissenschaft sitzt auch mit am Tisch. Das Revier steht zusammen, um die Chancen nach der Kohle-Zeit zu nutzen. SPD-Parlamentarier Jörn Domeier wünscht sich passend dazu ein Wiederaufleben der Revierrunde, bei dem unter anderem Ministerien, Landkreis, Wirtschaft und Gewerkschaften an einen Tisch kommen sollen.
„Vielleicht wird das Helmstedter Revier eine der aufstrebenden Regionen in Niedersachsen – das sollte zumindest unser Ziel sein“, sagt Althusmann an diesem Tag im ehemaligen Kohlerevier. Und auch Bürgermeister Wittich Schobert meint: „Da ist jetzt Drive drin, das hat heute Lust auf mehr gemacht.“