23. Mai 2017 · 
Kommentar

Das Dilemma der Linken

Darum geht es: Die Linkspartei gibt sich aufgeschlossener denn je für Rot-Rot-Grün – doch bei SPD und Grünen scheint die Neigung auf ein solches Abenteuer derzeit nicht besonders ausgeprägt zu sein. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum. Zwar finden sich im neuen Wahlprogramm der Linken an mehreren Stellen radikale, antikapitalistische Sprüche. Aber Papier ist geduldig, und wer liest schon Wahlprogramme von vorn bis hinten? Entscheidend ist: Die Bereitschaft zur Koalition mit SPD und Grünen nach der Landtagswahl am 14. Januar wird auf jeden Fall unterstrichen. Was noch wichtiger ist: Von den ersten sechs Personen auf der Landesliste (die im Fall von 5 Prozent der Zweitstimmen wohl die Linken-Fraktion im Landtag bilden würden) stehen mindestens die vier ersten für eine sachorientierte, pragmatische Politik. Alte Haudegen wie Hans-Henning Adler, Ursula Weisser-Roelle und Herbert Behrens verkörpern Seriosität – und auch Sachkunde wie das Bemühen um ernsthafte Arbeit für das Wohl des Gemeinwesens. Anja Stoeck, die Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin, ist zwar in der Landespolitik unerfahren, aber sie kennt sich aus der Kommunalpolitik. Wer wollte sich diesen Leuten verweigern, wenn es tatsächlich die Möglichkeit für eine rot-rot-grüne Regierungsbildung nach der Landtagswahl geben sollte? Die Linke ist die Schritte gegangen, die jetzt notwendig waren, damit die Option für ein Linksbündnis möglich bleibt. Sie hat auf dem jüngsten Parteitag ihren linksradikalen Flügel im Schach gehalten. Viel mehr kann die Partei jetzt gar nicht tun. Sie muss nun auf den guten Willen der anderen hoffen. Doch hier zeigt sich eben das Dilemma der Linken: Nach dem Saarland-Schock hat die SPD gemerkt, dass ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz mit den Rufen nach mehr Gerechtigkeit und mit der Öffnung für Rot-Rot-Grün zu sehr die Mitte vernachlässigt. Deshalb dürfte er in den kommenden Wochen gegensteuern – und versuchen, potenzielle CDU-Wähler zur SPD zu ziehen. Wohin die Grünen streben, die wegen der schlechten Umfragewerte ebenfalls massiv unter Druck sind, kann keiner genau vorhersagen. Ein Mann wie Winfried Kretschmann steht sicher für einen Linkskurs nicht zur Verfügung, einer wie Jürgen Trittin sehr wohl. Aber er ist klug genug zu wissen, dass dieser Weg ohne die SPD nicht klappt. Kann in einem solch diffusen Bild, das Sozialdemokraten und Grüne derzeit abgeben, überhaupt so etwas wie ein rot-rot-grünes Pflänzchen gedeihen? Eher ist wohl damit zu rechnen, dass Spitzenpolitiker von SPD und Grünen vor der Bundestagswahl eher auf das Pflänzchen treten, als es zu gießen. Ohne einen Lager-Wahlkampf aber wird es für die Linke schwerer, Aufmerksamkeit zu erheischen. Wenn niemand den Eindruck macht, mit dieser Partei koalieren zu wollen, dann schwindet mit der Machtperspektive auch das Reizvolle. Da mögen die ersten Listenkandidaten der Linken in Niedersachsen noch so honorig erscheinen, ohne Anerkennung und Respekt von außen laufen sie Gefahr, in einer zugespitzten Auseinandersetzung farblos und unbekannt zu bleiben. Der einzige Trost für die Anhänger von Rot-Rot-Grün liegt wohl in der Terminplanung. Sollte die Bundestagswahl so ausgehen, dass SPD und Grüne die Verlierer sind und an der nächsten Bundesregierung nicht beteiligt werden, dann kann dies einen Schub für beide Parteien in der Landtagswahl nach sich ziehen. Es kann darüber hinaus auch die Linke beflügeln – und damit ebenfalls die Aussicht auf ein linkes Dreierbündnis. Hoffnungsfroh stimmt die gegenwärtige Lage die Linken in Niedersachsen wohl nicht, aussichtslos ist das alles aber auch nicht. Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #97.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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