Wie kann eine Kommune den Strom von Flüchtlingen aus der Ukraine bewältigen? Hannovers Partnerstadt Poznan macht es vor: Nach eigenen Schätzungen hat die fünftgrößte Stadt Polens, die in etwa so viele Einwohner wie die niedersächsische Landeshauptstadt hat, etwa 40.000 Ukrainer aufgenommen. Eine Bewährungsprobe, sowohl in organisatorischer als auch finanzieller Hinsicht. „Die Flüchtlinge suchen sich zuerst große Städte aus, möglichst nah an der ukrainischen Grenze. Niemand kommt her, um sesshaft zu werden, sondern jeder möchte nur für die Dauer des Krieges bleiben und dann wieder zurück“, sagte der Stadtratsvorsitzende Grzegorz Ganowicz bei einer Delegationsreise von Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay.

Jacek Jaśkowiak (rechts vorne) zeigt Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay die Stadt Poznan und erklärt die Flüchtlingspolitik. | Foto: Struck

Den gleichen Eindruck bestätigte vor Ort auch Stadtpräsident Jacek Jaśkowiak im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick: „Das größte Problem ist die Fluktuation. Viele, die ankommen, glauben, dass sie bald wieder zurück in ihre Heimat können. Das ist ja auch an sich verständlich.“ Jaśkowiak beschreibt gleich mehrere Herausforderungen, die Poznan zu bewältigen hat und die auch in Niedersachsen relevant werden könnten:

Schnelle Integration in den Arbeitsmarkt

Sobald die Geflüchteten eine Art Steuer-ID bekommen haben, stehen ihnen dieselben Leistungen wie den Polen zu und sie bekommen eine Arbeitserlaubnis. „Wenn man Arbeit findet, dann fühlt man sich auch besser. Das ist sehr wichtig für eine gelingende Integration“, sagt der Stadtpräsident. Die meisten Geflüchteten sind Frauen, die zeitgleich arbeiten und sich um ihre Kinder kümmern müssen. Die Stadt Poznan versucht deshalb besondere Jobangebote zu schaffen, die sich besser mit der Familie vereinbaren lassen und wo keine so großen Kenntnisse oder hohen Qualifikationen benötigt werden. 

In Poznan werden seit über 15 Jahren die VW-Modelle Caddy und Transporter produziert. | Foto: Volkswagen AG

In der Volkswagen-Nutzfahrzeug- und Komponentenfabrik in Poznan könnten schon bald auch Ukrainer arbeiten, wenn es nach Dietmar Mnich geht, Vorstandsvorsitzender bei Volkswagen Poznan und Werkleiter. Aktuell werde in den drei Werken mit insgesamt mehr als 11.000 Mitarbeitern Personal gesucht, um die Stückzahl nach oben zu fahren. „Wir könnten uns bei den Neueinstellungen eine Verteilung von 50/50 vorstellen. 50 Prozent Polen, 50 Prozent Ukrainer.“ Für Frauen dürfte Arbeit im Schichtbetrieb jedoch schwer mit Kindern vereinbar sein, gibt Mnich zu bedenken.

In einem Unterstützungspunkt der Stadtverwaltung lernen ukrainische Flüchtlingskinder Polnisch. | Foto: Struck

Klare Position bei der Kinderbetreuung

Mehr als 5000 Flüchtlingskinder wurden in Poznan bereits in Schulen und Kindergärten untergebracht, knapp 3650 Ukrainer in Grundschulen und mehr als 1000 im Kindergarten. „Wir haben den Anspruch, die Kinder direkt in die Klassen zu integrieren, damit sich auch die polnischen Kinder als Teil vom Ganzen fühlen. Sie sollen sich für die Geflüchteten verantwortlich fühlen und müssen verstehen, warum plötzlich für diese ukrainischen Kinder so viel getan wird und sie selbst außen vor gelassen werden“, sagt Stadtratsvorsitzender Ganowicz. Die ukrainische Regierung sei allerdings gar nicht so begeistert, dass die Kinder nun polnisch lernen, weiß Jaśkowiak. „Die Ukrainer wollen nicht, dass die Kinder langfristig in Polen bleiben. Sie brauchen die Menschen in ihrem Land.“

Auch private Investoren sollen Wohnraum schaffen

Die Flüchtlingsunterkünfte sind nur eine temporäre Lösung. Langfristig sollen die Ukrainer in Wohnungen leben. Dabei müssten auch private Investoren und Wohnungsinhaber stärker in die Pflicht genommen werden, heißt es von Jaśkowiak. „Wir brauchen diese Reserve. Zeitgleich möchten die Vermieter eine Garantie vom Staat, dass die Mieten auch bezahlt werden.“ Das geht ins Geld. Ein kleiner Lichtblick dürfte die Spende aus Taiwan sein. 3 Millionen US-Dollar fließen allein nach Kiew, 300.000 US-Dollar soll Poznan bekommen, so der Stadtpräsident.

In Hannover wurden die Unterbringungen in den Messehallen derweil zum Großteil zurückgebaut. Viele Geflüchtete sind nun in unterschiedlichen Liegenschaften der Stadt und Hotels untergebracht. „Das war auch unser erklärtes Ziel. Am Ende des Tages bleibt es eine Messehalle, selbst wenn etwas Privatsphäre durch Zelte gegeben ist“, sagt Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay.


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