Den Führungswechsel, den der DGB-Landesbezirk für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen am vergangenen Wochenende vollzogen hat, will er vor allem auch für eine stärkere öffentliche Rolle nutzen. Wenn es jemanden gibt, der für mehr Investitionen des Staates kämpft und gegen die angebliche „neoliberale Austeritätspolitik“, dann kann es doch vor allem der Deutsche Gewerkschaftsbund sein.

Zum bisherigen Vorsitzenden Hartmut Tölle, der nach 16 Jahren altersbedingt ausgeschieden ist, passte die inhaltliche Zuspitzung weniger – er war der geborene Vermittler und Strippenzieher im Hintergrund, der als Sozialdemokrat genauso gut mit CDU-Leuten umgehen konnte wie mit Politikern der Linken. Sein Nachfolger heißt Mehrdad Payandeh, kam 1960 im Iran zur Welt, flüchtete mit Anfang 20 vor der Macht der Ayatollahs nach Deutschland, eignete sich die deutsche Sprache an und begann mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium, das in einem Doktortitel mündete. In den vergangenen sieben Jahren war er der wirtschafts- und finanzpolitische Chefdenker im DGB-Bundesvorstand, nun tritt er aus der zweiten Reihe in die erste – und erntet damit durchaus Aufsehen.

Wurde mit 99 Prozent Zustimmung zum neuen DGB-Chef in Niedersachsen gewählt: Mehrdad Payandeh – Foto: DGB

Payandeh spricht zwar nicht hervorragend, aber doch sehr gut Deutsch. Er redet sehr schnell. Man muss ihm gut zuhören, um seinen Gedanken zu folgen. Sein erster Auftritt bei der DGB-Bezirkskonferenz am Sonnabend gelingt glänzend – er erntet nicht nur starken Beifall, sondern stützt sich auch noch auf große Geschlossenheit. 99 Prozent der knapp 100 Delegierten waren für ihn – das ist viel mehr als das, was Tölle bei seiner Wiederwahl vor wenigen Jahren bekommen hatte. Hohe Erwartungen lasten auf dem 57-Jährigen.

Vielleicht liegt es daran, dass man Payandeh nicht klar einem Lager zuordnen kann – er ist zwar bei Verdi, doch das ist selbst auf diesem Kongress nicht allen Teilnehmern bekannt. Sein Profil hatte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des DGB gewonnen, nicht als engagiertes Mitglied in der Sparte der Metaller, Verwaltungsmitarbeiter, Chemiefacharbeiter oder Lehrer. Möglich ist auch, dass mit der Wahl des promovierten Ökonomen die Hoffnung auf einen neuen Aufbruch einhergeht. Der DGB könnte stärker mitmischen in aktuellen politischen Diskussionen, mehr Gehör finden für neue Vorschläge, ein Schrittmacher in der Wirtschaftspolitik werden.

Die Schuldenbremse ist für Payandeh ein „Korsett“

Aber wie schwierig das werden kann, zeigt sich gerade zum Auftakt des DGB-Treffens. Just am Morgen hat Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ gesagt, dass sich im Landeshaushalt in den nächsten Jahren wachsende Lücken auftun, wenn die bisher formulierten Ausgabewünsche der Großen Koalition fortgeschrieben und nicht durch Kürzungen an anderen Stellen begleitet werden. Das könnten schon 2019 rund 368 Millionen Euro sein, bis 2021 würde der Fehlbetrag auf bis zu 774 Millionen steigen. Also doch Zeit für neue Sparsamkeit?

Bei den Teilnehmern einer Podiumsdiskussion des DGB besteht Konsens, dass Zurückhaltung bei den Ausgaben falsch sei. Der Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger, DGB-Chef Reiner Hoffmann und Payandeh sind sich einig, dass jetzt neue Investitionen im Vordergrund stehen müssten. Der frischgewählte Vorsitzende des DGB-Landesbezirks hält „langfristige, planmäßige und stetige“ Ausgaben des Landes für unerlässlich, damit es zu keiner wachsenden Spaltung zwischen ländlichen und städtischen Regionen kommt. Der Anstieg der Mieten vor allem in den Großstädten sei geeignet, eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ zu schaffen, wenn nämlich nur noch die Wohlhabenden eine Unterkunft in Hannover, Braunschweig oder Oldenburg leisten könnten – und die anderen ins Umland ausweichen müssten.

Die Schuldenbremse, manifestierter Ausdruck der Sparpolitik, ist für Payandeh ein „Korsett“. Nur Ministerpräsident Stephan Weil widerspricht auf dem DGB-Podium ein wenig. Die Chance, die Schuldenbremse abzuschaffen oder abzumildern, stünden nach dem Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl schlecht. „Deshalb müssen wir damit zurechtkommen – und in Niedersachsen gelingt uns das eigentlich ganz gut.“

Payandeh befürwortet eine Vermögenssteuer für die „Superreichen“

Und wenn das viele Geld, das der Staat einnimmt, für die ständig steigenden Ausgaben dann doch nicht ausreicht? Payandeh, bisher für die steuerpolitischen Konzepte im DGB-Bundesvorstand zuständig, erntet auf der Bezirkskonferenz des DGB noch tosenden Applaus für einige weitgehende Vorschläge. Erstens, meint er, könne man ja am Solidaritätszuschlag festhalten – dessen Einnahmen aber nun in die westdeutschen Regionen stecken. „Da ist der Modernisierungsbedarf doch offenkundig.“

So könnten 30 Jahre lang insgesamt 20 Milliarden Euro fließen. Außerdem befürwortet Payandeh eine Vermögenssteuer „für die Superreichen“, denn die hätten sich „verabschiedet von der Finanzierung des Gemeinwesens“. Ihr Reichtum werde vom Staat geschützt, also könne man ihnen eine „Schutzgebühr“ abverlangen. „Ihre Yachten“, sagt der neue DGB-Bezirkschef, „können sie ja behalten“. (kw)