Cyber-Kriminalität: Ein Blick hinter die Kulissen einer Task-Force
Von Isabel Christian
Wer die Abteilung für Cyberkriminalität in der Polizeiinspektion Göttingen sucht, muss nur den Plakaten folgen. Ein lidloses blaues Auge starrt den Besucher unverhohlen an, darunter steht in schlichten Lettern „lux in arcana“ – Licht ins Geheimnisvolle. Das ist es, was Oliver Knabe und sein 15-köpfiges Team tun. Sie suchen Spuren und Beweise in einem öffentlichen Raum, der von nahezu jedem genutzt wird. Der aber auch seinen eigenen Gesetzen folgt und nur von wenigen wirklich verstanden wird. In fast jeder Polizeiinspektion gibt es mittlerweile Ermittler für Cybercrime, in der Regel sind sie an das dritte Fachkommissariat angeschlossen, in dem Betrug nachgegangen wird.
Die Göttinger Polizeidirektion gehörte zu den ersten, die die steigende Relevanz der Internetkriminalität für die Polizei erkannte und 2011 eine Ermittlungseinheit Cybercrime gründete. Jetzt will sie neue Maßstäbe setzen – und hat im Herbst vergangenen Jahres mit Unterstützung des Innenministeriums das Projekt „Task Force Cybercrime/Digitale Spuren“ gestartet. In der Task Force arbeiten nicht nur viermal so viele Ermittler wie gewöhnlich, sie ist strukturell auch aufgebaut wie ein eigenes Fachkommissariat und hat innerhalb der Polizeiinspektion den gleichen Stellenwert. Ob das Modell Schule macht, muss sich aber noch zeigen, denn am 1. Januar 2018 endet das Projekt. „Bisher haben wir noch nicht gehört, wie es weitergehen soll“, sagt Task Force-Leiter Knabe.
Dabei kann sich die Leistung der Ermittler wirklich sehen lassen. Erst im September hatten sie ein europaweit aktives Betrugsnetzwerk geknackt, bei dem die Kriminellen Online-Versandhäuser um mindestens 10 Millionen Euro betrogen hatten. Auch jetzt sammeln sie Beweise in mehreren Fällen organisierter Kriminalität im Internet. Etwa im Ermittlungskomplex „Moneyboy“, bei dem die Polizisten Hackern auf der Spur sind, die sich gefälschte Ausweise besorgen und damit in Onlineshops auf Beutezug gehen. „Die meisten kriminellen Banden im Internet sind darauf aus, durch Datendiebstahl an Waren oder Geld zu kommen“, sagt Petra Graser. Sie gehört schon seit 2012 zu den Cybercrime-Ermittlern in der Göttinger Polizeiinspektion und hat vorher in der organisierten Kriminalität ermittelt. „Da gibt es viele Parallelen“, sagt sie. Ihre Spezialität ist deshalb auch die Aufbereitung der gesammelten Daten für die Akten, die schließlich an die Staatsanwaltschaft gehen. „Gerade bei der organisierten Kriminalität kommt ein Wust an Dokumenten zusammen, bei dem man schnell den Überblick verlieren kann.“
Neben den Ermittlungen in den großen Komplexen und der Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft hat die Task Force Cybercrime noch ein drittes Aufgabenfeld: Unterstützung der Kollegen. Insgesamt 627-mal haben die Mitarbeiter der Task Force schon geholfen, wenn Ermittler aus anderen Kommissariaten in ihren Fällen auf Berührungspunkte zum Internet gestoßen sind. „Das kann Hilfe beim Öffnen einer Datei sein oder die Auswertung von beschlagnahmten Computern“, sagt Jörg Gottschalk. Er war 20 Jahre beim Streifendienst, ehe er in die Ermittlungsarbeit wechselte. Wie seine Kollegen musste er eine Art Assessment Center durchlaufen, denn die Arbeit in der Task Force ist für viele Polizisten interessant. „Wir prüfen ab, welche Medien ein Bewerber privat nutzt, welche Erfahrungen er mitbringt und welche Expertisen er hat“, erklärt Knabe. Denn nicht jeder, der einen Computer bedienen kann, eignet sich auch im Ermittler in virtuellen Welten. Als Computerspezialist würde Gottschalk sich heute nicht mehr bezeichnen, doch da er schon in seiner Kindheit das Programmieren lernte und einen Computer besaß, hat er keine Angst vor der Technik. „Man muss sich einfach klarmachen, dass man am Computer und im Internet nichts kaputtmachen kann.“
Das Herzstück der Task Force ist Swen Weiland. Er ist kein Polizist, sondern Informatiker und hat vor seinem Wechsel zur Polizei als Softwareentwickler gearbeitet. „Seit er da ist, haben wir viel mehr Möglichkeiten, an Daten heranzukommen und sie auszuwerten“, schwärmt Knabe. Vorher habe man gerade mal einen Internetzugang überwachen können. Dank ihm könne man nun einen ganzen Server überwachen. Informatiker sind vor allem deshalb wichtig, weil sie Fähigkeiten mitbringen, die kaum ein Polizist hat. „Man kann mit Weiterbildung viel erreichen, aber eben nicht alles“, sagt Knabe. Und vor allem bei der Strafverfolgung im Internet braucht die Polizei Hilfe von außen. „Wenn man zu wenige oder zu viele Daten hat, kann man nicht ermitteln“, sagt Weiland. „Es sei denn, man entwickelt ein Sieb, das die wichtigen Informationen herausfiltert“. Dafür sei er zuständig. Geht es nach dem Innenministerium, sollen in Zukunft mehr Experten wie er die Polizei bei ihren Ermittlungen unterstützen. 100 Stellen hat das Ministerium dafür kürzlich geschaffen. Doch die Bewerber drängeln sich nicht. Hauptsächlich deshalb, weil sie in der Wirtschaft wesentlich mehr verdienen. Das weiß auch Weiland. „Viele meiner Bekannten haben eine Familie mit kleinen Kindern, da ist Geld ein wesentlicher Faktor.“
Allerdings birgt das auch Nachteile. „Ich habe oft am Wochenende gearbeitet und war viel unterwegs“, sagt Weiland. „Das wiegt das Gehalt irgendwann auf.“ Hier wiederum kann die Polizei punkten. „Ich habe eine feste Arbeitsstundenzahl, die ich mir flexibel einteilen kann“, sagt Weiland. Er rät der Polizei, offensiver und mit diesen Argumenten zu werben. „Ich bin nur zufällig auf die Stelle aufmerksam geworden, weil ich Bekannte beim Landeskriminalamt habe. Sonst hätte ich das Angebot wohl übersehen.“ Allerdings scheint sich die Strahlkraft der Task Force herumzusprechen. Denn demnächst soll ein zweiter Informatiker eingestellt werden. Und Knabe hat die Wahl aus elf Bewerbern.
Der Leiter der Task Force ist überzeugt davon, dass die Ermittlungsarbeit im Bereich Cybercrime auf eine höhere Stufe gehoben werden und feste Strukturen im Sinne eines Fachkommissariats geschaffen werden müssen, wenn man der Internetkriminalität langfristig etwas entgegensetzen will. „Früher hatten wir es oft mit Einzeltätern zu tun, die von zu Hause aus Ebay-Konten gehackt haben“, sagt Knabe. Heute sind es fast nur noch organisierte Banden, denen die Polizei im Netz auf der Spur ist. Und es kommen gleich mehrere Delikte zusammen: Betrug, Geldwäsche und Diebstahl. „Die Ermittlungsarbeit ist deutlich komplexer geworden“, sagt Knabe. Dazu kommt, dass die Polizei auch im Bereich Internetkriminalität noch stark lokal orientiert ist, was oft zu Parallelermittlungen führt. „Es ist aber nicht sinnvoll, dass mehrere Staatsanwaltschaften und Polizisten im gleichen Fall ermitteln, nur weil einer der Täter oder ein Opfer aus ihrem Zuständigkeitsgebiet kommt“, sagt Knabe. Ein paar Ermittler, die Cybercrime unter anderen Betrügereien ermitteln, reichen deshalb nicht mehr aus. „Wenn man Cybercrime konsequent bekämpfen will, braucht man eine feste Struktur und ein Team von mindestens 14 Ermittlern, die verschiedene Stärken haben.“ sagt Knabe. Er spricht aus Erfahrung.