26. Juli 2021 · 
Wirtschaft

Coworking-Spaces könnten Dörfer wiederbeleben

An was denken Sie, wenn Sie den Begriff „Coworking-Space“ hören? „Man denkt an coole Locations, trendige Möbel, innovatives Arbeiten. Alles, was man sich eben auch im eigenen Arbeitsumfeld wünscht.“ So beschreibt es Petra Schulz, Leiterin der Abteilung „Regionale Entwicklung, EU-Förderung“ im niedersächsischen Regionalministerium. Ein weiteres Mal hat das Ministerium zu einer Online-Veranstaltung zur Innenstadtentwicklung eingeladen und viele Vertreter der Kommunen haben sich eingeloggt. Bürgermeister, Stadtentwickler, Wirtschaftsförderer und Stadtmanager wollen hören, wie sich so ein „Coworking-Space“ einrichten lässt und wie er funktioniert. Ist so ein Büro, in dem es um ein offenes und soziales Miteinander geht, die Antwort auf die Zukunft? Und welche Auswirkungen haben die neuartigen Büroräume abseits der Städte im ländlichen Umfeld?

Coole Locations, trendige Möbel, innovatives Arbeiten: der Coworking-Space "Newkammer Seesen" - Foto: Newkammer Seesen

Hans-Albrecht Wiehler glaubt, dass Coworking-Spaces weit über ihren eigentlichen Zweck hinaus wirken – gerade auf dem Land. Wiehler hat sich aus Hitzacker zugeschaltet, natürlich aus einem Coworking-Space. Er leitet das niedersächsische Büro von „CoWork Land“, einer Genossenschaft, die ihre Mitglieder bei der Gründung und beim Betrieb von Coworking-Spaces unterstützt. Für ihn geht es nicht allein um ein Büro mit Arbeitsplätzen und dem dazugehörigen kollaborativen Geist, sondern um handfeste Vorteile für Stadt und Land. Auf dem Land gehe es auch um Daseinsvorsorge. Wiehler nennt „Coworking-Spaces“ eine „Keimzelle, die Versorgungsstrukturen auf dem Land zurückbringt“. Sprich: Car-Sharing und Dorfladen gibt es eher, wenn ein „Coworking-Space“ vor Ort ist. „Die Leute haben Lust, aufs Land zu kommen, aber viele wissen gar nicht, was sie da erwartet.“ Gerade Menschen aus der Stadt fragten sich, ob sie dort auch die Menschen treffen, die ähnlich denken wie sie. „Coworking-Spaces“ sieht Wiehler als „Kommunikationsorte für Neu- und Altbürger“. Die Büro seien eine Art Andockstation.

Aber auch für die in der Corona-Zeit gebeutelten Innenstädte sieht Wiehler neue Chancen durch die neue Art der Zusammenarbeit. Schließlich gehe es inzwischen wieder um eine Durchmischung der Innenstädte. „Wir wollen wieder eine multifunktionale Nutzung. Ein ‚Coworking-Space‘ belebt die Innenstadt auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten. Da gibt es nicht nur Abendveranstaltungen, es profitieren auch Einzelhandel und Gastronomie, weil dort dann Menschen arbeiten, essen und etwas einkaufen.“ Den Leerstand, der in vielen Innenstädten grassiert, sieht Wiehler deshalb auch als eine Chance. „Es gibt einem die Möglichkeit, die Dinge noch einmal neu zu denken und Neues auszuprobieren.“

Wenn es dann aber erstmal läuft, dann entwickelt sich vieles von alleine.

Aber wie kommt man überhaupt zu einem funktionierenden „Coworking-Space“? „Es braucht am Anfang eine Gemeinschaft, ein starkes Team, das für das Projekt brennt“, erklärt Wiehler. Zugleich müsse man rausgehen und im Ort erklären, was man da macht. Und dann sei Ausdauer gefragt. Das hat auch Jan Niklas Kott festgestellt. Er ist Projektmanager der Stadt Seesen und dort für die „NewKammer Seesen“ zuständig. Der „Coworking-Space“ liegt mitten in der Stadt und wurde 2019 eröffnet. Bei der Gründung habe auch die Gefahr der Verödung der Innenstädte eine wichtige Rolle gespielt, berichtet Kott. Mehr als 330.000 Euro wurde in die Büros in Seesen investiert, davon kamen fast 300.000 Euro über das Förderprogramm „Zukunftsräume“. Die Summe macht deutlich: Ohne Förderung geht es nicht. Das muss auch Wiehler eingestehen. Es gebe kein starkes Geschäftsmodell, deshalb brauche man einen Anschub. In Hitzacker wurden die Räume über den Fonds „Soziale Innovationen“ gefördert. „Wenn es dann aber erstmal läuft, dann entwickelt sich vieles von alleine“, meint Wiehler.

Man muss die Leute über die Schwelle ziehen.

Und damit es läuft, ist viel Arbeit und Kommunikation nötig. Das Modell der „Coworking-Spaces“ sei einfach stark erklärungsbedürftig, sagt Kott. „Man muss die Leute über die Schwelle ziehen“, meint  er und setzt zum Beispiel auf klassische Pressearbeit, um für die „Newkammer“ zu werben. Ein paar lustige Bilder auf Instagram – das reicht auf dem Land in der Regel nicht aus, weil hier der direkte Kontakt noch einen anderen Stellenwert hat. Das ist auch so einer Erfahrung der vergangenen Jahre. Gerade auf dem Land müsse man stark in den Dialog treten, der Telefonhörer sei ein wichtiges Werkzeug, so Kott. Dabei sei er mit vielen Akteuren im Gespräch, vom Stadtmarketing bis zum Wirtschaftskreis. „Am Ende ist hier vor allem die gute alte ‚Mund-zu-Mund-Propaganda entscheidend.“

Das macht deutlich: Je weiter man von der Stadt entfernt ist, desto mehr braucht man alte Methoden um für die neuen Arbeitsformen zu überzeugen. Wer aber einmal vorbeigeschaut hat, kommt in den meisten Fällen auch wieder, hat Kott gelernt. Die Vermehrung von „Coworking-Spaces“, Anfang der 2000er Jahre zuerst im US-Staat Kalifornien entstanden, könnte auch auf dem Land in Niedersachsen damit nur eine Frage der Zeit sein.

Von Martin Brüning

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #141.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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