Wie schwer es gegenwärtig fällt, von den recht strengen Vorgaben der Corona-Verordnung abzugehen und zu lockern, spürt die Landesregierung jeden Tag. Der Text für die neuen Vorschriften wurde intern mehrfach überprüft und angepasst – und das geschah derart kurzfristig, dass die Kommunalverbände schon verärgert darauf reagierten und die mangelnde Zeit für die Vorbereitung zu einer Stellungnahme kritisierten. Damit nicht genug, der Wust an verschiedenen Detailregelungen, über die selbst viele Corona-Interessierte nicht mehr den aktuellen Überblick haben, wird noch kompliziert durch teilweise widersprüchliche, stark angreifbare Festlegungen. Das betrifft beispielsweise eines der vermutlich höchsten persönlichen Freiheitsrechte – die Möglichkeit, sich in der Wohnung als geschütztem privaten Raum mit anderen Menschen treffen zu können.

Die neue Corona-Verordnung nimmt an diesem Punkt eine fragwürdige Güterabwägung vor. So gilt für Gaststätten unterhalb einer Inzidenz von 35 zwar ein Hygienekonzept, auch die Maskenpflicht besteht, sofern die Leute von ihren Tisch aufstehen und durch den Raum gehen. Wer aber an den Tischen unter Umgebung des früher üblichen Mindestabstandes sitzen darf, ist nicht weiter vorgegeben – hier gilt eine weitgehende Freiheit.
Das ist aber nur die eine Seite. Auf der anderen bleibt auch bei einer Inzidenz von weniger als 35 die strikte Beschränkung für den privaten Bereich: Man darf sich in privaten Räumen (etwa zu Haus- und Gartenpartys, auch zu Grillfesten) in Gruppen von maximal zehn Personen treffen. Das könnte sein: ein Haushalt plus zwei weiteren Personen eines anderen Haushaltes – oder eben zehn Personen aus maximal drei Haushalten. Kinder unter 14 Jahren zählen dabei nicht mit, können also in unbegrenzter Anzahl noch hinzukommen.
Wie ist es nun zu rechtfertigen, dass in der Gastronomie die Freiheiten, sich zu treffen, größer sind als zu privaten Festen? Spräche nicht der besondere Schutz der „Unverletzlichkeit der Wohnung“ im Grundgesetz dafür, dass die Freiheitsbeschränkungen dort tendenziell eher geringer sein müssten als in Gaststätten, also in einem öffentlichen Raum? Regierungssprecherin Anke Pörksen versuchte eine Begründung für das Ungleichgewicht mit Hinweis zum einen auf das Hygienekonzept in Gaststätten, das im Zweifel viel strenger sei als das in privaten Räumen – und auf die soziale Kontrolle, die dort ebenfalls ausgeprägter sein könne und dazu führe, dass man sich gegenseitig an die Einhaltung der Corona-Schutzbestimmungen halte.
Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Toepffer, sagt spannende Debatten voraus bei der Klärung der Frage, wie die Regeln unterhalb einer Inzidenz von 10 ausfallen sollen. Bisher gibt es dafür noch keine gesonderten Festlegung. In der Koalition gebe es zu der Frage, quer durch die Parteien, verschiedene Einschätzungen. Einige meinten, man könne die Corona-Auflagen unterhalb von 10 völlig aufheben und die alten Freiheiten wieder zu lassen. Andere entgegneten, das könne zwar passieren, aber erst, nachdem ausreichend Menschen geimpft sind und die „Herdenimmunität“ besteht. Das wiederum führe aber zu der Frage, wie man die „Herdenimmunität“ definiere – ob eine Impfung von 80 Prozent der Bevölkerung nötig sei oder 70 Prozent schon reichten.
Toepffer selbst erklärt, aus seiner Sicht werde das Corona-Virus aus der Gesellschaft so schnell nicht verschwinden, er halte daher vorerst auch bei einer Inzidenz unter 10 die Gebote von Maskenpflicht und Abstandswahrung weiter für angemessen. Dies könne durchaus weiter in einer Verordnung vorgeschrieben werden – „denn reine Appelle bringen vermutlich nichts“. Zu der Frage, ob eine solche Regel angesichts einer geringen Ansteckungswahrscheinlichkeit juristisch haltbar sei oder vermutlich von den Gerichten schnell wieder einkassiert werden könnte, sagte Toepffer: „Ich bin dafür, manche Schritte wenigstens zu versuchen. Es stimmt ja, dass man nie weiß, was bei einem Gerichtsverfahren am Ende herauskommt.“