Am 7. März 2020, vor etwas mehr als zwei Jahren, erlebte die Landeshauptstadt das letzte Großkonzert vor dem ersten Corona- und langwierigen Kultur-Lockdown. Popstar Johannes Oerding sang von „guten Tagen“, ein Lied über blinde Passagiere, „Anfassen“ und „Alles Okay“ in der ausverkauften TUI-Arena vor rund 10.000 dicht an dicht gedrängten Fans. Das Corona-Virus war zu diesem Zeitpunkt schon längst in Deutschland angekommen, sodass vielerorts vorsichtshalber auf das gängige Händeschütteln verzichtet und stattdessen die „Corona-Faust“ als Begrüßungsritual eingeführt worden war. Hier und da wurde bereitwillig etwas mehr Abstand zu Mitmenschen eingehalten. An diesem Abend schien insgesamt durchaus noch „Alles Okay“.

Nur wenige Tage später wurde der gesamten Kunst- und Kulturbranche gnadenlos der Stecker gezogen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Alle Opernhäuser, Theater, Mehrzweckarenen, inhabergeführte Discotheken, Volksbühnen, Kinos und Spielhäuser jeder Art blieben leer, die Vorhänge auf unbestimmte Zeit zugezogen. Was dann folgte, lässt sich als Drama in mehreren Akten beschreiben. Von jetzt auf gleich erhielt die gesamte Branche eine Art Berufsverbot. Für die großen Weltstars aus Kunst und Kultur war das Auftrittsverbot weitaus weniger dramatisch wie für die Beschäftigten und Solo-Selbstständigen in diesem Bereich. Ohne Jobs wurde die Corona-Pandemie auch zu einer existenzbedrohenden Situation für diejenigen, die nicht nur auf, sondern auch hinter und neben der großen oder kleinen Bühne ihr Geld verdienten – die meisten aus bedingungsloser Leidenschaft für ihre Tätigkeit. Keine andere Branche lebt so sehr von dem Engagement, Talent und der Persönlichkeit jedes Einzelnen. Veranstalter, freiberufliche Tontechniker, Regisseure, Kino-Betreiber, Bühnenhelfer, Musiker, Maskenbildner, darstellende Künstler und viele weitere, insgesamt Hunderttausende in ganz Deutschland.
In den etwas Corona-milderen Sommermonaten gab es einige Versuche, kulturelle Veranstaltungen pandemiekonform stattfinden zu lassen. Auto-Konzerte, Auto-Kinos, Open-Air-Theater, Live- Streams – der Einfallsreichtum der Kreativbranche war weitreichend und beeindruckend, dennoch war es nicht dasselbe, es wirkte vielerorts wie ein unbefriedigender Kompromiss. Dabei muss gerade Kunst kompromisslos sein. Warum sind Kunst und Kultur so wichtig? Warum gehen wir auf Konzerte, in Theater, besuchen Opern oder Kinos? Und warum fehlten sie uns so sehr während der Pandemie?
Kunst und Kultur sind Ausdruck des menschlichen Daseins, ein Spiegel unserer Gesellschaft. Künstler verarbeiten in Ihren Werken aktuelle Geschehnisse, lösen Debatten aus, provozieren und regen den Diskurs in der Gesellschaft an. Denken wir mal an den „Sonderzug nach Pankow“ von Udo Lindenberg, den verhüllten Bundestag von Christo oder die weltbekannte Darstellung Marilyn Monroes von Andy Warhol. Kunst ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur. Sie schafft Gesprächsstoff, beschreibt und verbindet ganze Generationen von Menschen. Jede Generation entwickelt dabei ihre eigene Kultur, ihre eigene Identität. Ohne Kunst und der daraus entstehenden Kultur kommt unser Zugehörigkeitsgefühl abhanden und wir werden zu blinden Passagieren.
„Kunst und Kultur leben von einer gewissen Unbeschwertheit des Moments – sowohl auf Seiten der Produzenten als auch Konsumenten.“
Natürlich waren gesellschaftliche Veranstaltungen während der Pandemie nicht umsetzbar oder mussten auf andere, oftmals digitale Kanäle ausweichen. Das ist auch in Ordnung. Nichtsdestotrotz wird Kunst erst durch das Erlebbarmachen der Darbietungsform und die entstehende Dynamik zwischen Sendern und Empfängern zu einem Teil unserer Kultur. Und das fehlt. In den vergangenen zwei Jahren bestimmte die Pandemie unseren Alltag, beinahe alles drehte sich nur noch um Inzidenzen, Schulschließungen, Home-Office und die ewige Sorge vor Infektionen. Kunst und Kultur leben jedoch von einer gewissen Unbeschwertheit des Moments – sowohl auf Seiten der Produzenten als auch Konsumenten.
Während der Pandemie waren diese unbeschwerten Erlebnisse – Besuche von Ausstellungen, das Hinfiebern auf den neuen „007“-Streifen oder Live-Musik in der Kneipe – zwangsläufig verzichtbar. Natürlich geht es auch ohne. Macht dies Freude? Gewiss nicht. Kultur rettet keine Leben und löst keine politischen Probleme. Aber sie ist Teil unserer DNA und deswegen ungemein wichtig. Sie gibt uns Orientierung, Halt und die Gelegenheit kurzzeitig dem Alltag zu entfliehen. Letzteres haben wir uns nach zwei Jahren Pandemie-Ausnahmezustand redlich verdient: Mal wieder bei einem Live-Konzert mit hunderten, vielleicht sogar tausenden Menschen unbeschwert zu unserer Lieblingsmusik zu tanzen, den Moment genießen – ohne Maske, ohne Abstandsregeln und ohne das nervige Damoklesschwert Corona, welches jetzt seit mehr als zwei langen Jahren über uns schwebt. Dann, und wirklich erst dann, ist wieder: „Alles Okay“.