Chemnitz schlägt Hannover und Hildesheim bei der Kulturhauptstadt
Im Rennen um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2025“ konnten sich die niedersächsischen Bewerberstädte Hannover und Hildesheim nicht durchsetzen. Gestern gab die Auswahl-Jury in einer digitalen Veranstaltung die sächsische Stadt Chemnitz als Siegerin bekannt. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe hätte dabei unwirklicher kaum sein können. Der Livestream der Kulturstiftung der Länder begann exakt im selben Moment wie die Live-Schalte der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder, bei der es unter anderem um den Vorschlag ging, Theater und Konzerthäuser für eine gewisse Zeit wieder zu schließen.
Niedersachsens Kulturminister Björn Thümler (CDU) zeigte sich anschließend enttäuscht, doch auch zuversichtlich. „Bei aller Trauer darüber, dass die Kulturhauptstadt 2025 nicht aus Niedersachsen kommen wird – der Wettbewerb und die Aufnahme in die letzte Runde haben deutlich gemacht, dass Hannover und Hildesheim über ein sehr hohes kreatives und kulturelles Niveau verfügen. Ich bin mir sicher, dass beide Städte so auch ohne den Titel neue Akzente setzen können“, sagte Thümler, nachdem er den Siegern gratuliert und die beiden niedersächsischen Teams für ihren Einsatz gedankt hatte. Das Land Niedersachsen hatte die Bewerbungen von Hannover und von Hildesheim mit jeweils 500.000 Euro unterstützt.
Die Landeshauptstadt Hannover setzte in ihrer Bewerbung den europäischen Zusammenhalt in den Fokus und wählte den Leitspruch „Hier jetzt alle für Europa“. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie wagte sie in der zweiten Auswahlrunde den Spruch „Normalität ist keine Option“ und forderte, die fünf Bewerberstädte (neben Hannover, Hildesheim und Chemnitz auch noch Magdeburg und Nürnberg) sollten in der Krise Solidarität beweisen und gewissermaßen gemeinsam antreten. Hildesheim hatte sich unter dem Leitspruch „Rüben, Rosen und der Sinn des Lebens“ beworben und stellte dabei vor allem den Dialog zwischen Städten und ländlichen Gebieten in den Fokus.
Wir sind so viel mehr als die Bilder, die 2018 um die Welt gegangen sind.
In Sachsen war der Jubel groß, als die Entscheidung bekanntgegeben wurde. Chemnitz‘ Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD), die ausgerechnet am heutigen Donnerstag die Amtsgeschäfte an ihren Nachfolger übergeben wird, freute sich über die Entscheidung für ihre Stadt. „Zuerst haben viele gezweifelt, als ich mit der Idee der Kulturhauptstadtbewerbung angekommen war“, erinnerte sie sich gestern in der Live-Übertragung an die Anfänge des mehr als zweijährigen Bewerbungsprozesses. Sukzessive habe man dann versucht, in der Stadt mit Projekten auf das Thema aufmerksam zu machen und die Bevölkerung dafür zu begeistern.
Ein Wendepunkt in der Entwicklung seien die Ereignisse aus dem August 2018 gewesen, meint die Oberbürgermeisterin. Damals kam es zu Ausschreitungen von rechtsextremen Gruppen, nachdem bei einem Stadtfest ein Mann mit Messerstichen getötet worden war. Es gab Berichte und Bilder von Hetzjagden auf Ausländer und Asylbewerber. „Die Stadt wurde damals in einer Art und Weise an ihre Grenzen gebracht, die wehgetan hat“, sagte Ludwig gestern. „Viele haben dann gesagt: Jetzt erst recht. Wir sind so viel mehr als die Bilder, die 2018 um die Welt gegangen sind.“
Die Kulturszene versteht sich als Gegenkraft zu rechtsextremen und fremdenfeindlichen Tendenzen. Es ist davon auszugehen, dass auch dieser Aspekt bei der Entscheidung der Jury eine Rolle gespielt haben wird. „Europa braucht jetzt mehr denn je ein Klima der Offenheit und der Solidarität“, sagte die Jury-Vorsitzende Sylvia Amann kurz vor der Bekanntgabe der Entscheidung für Chemnitz. In die Bewertung ist außerdem mit eingeflossen, wie gut die Bevölkerung eingebunden wurde, welches Entwicklungspotenzial die Bewerberstadt aufweist und wie große die Aussichten sind, dass die geplanten Konzepte auch umgesetzt werden. Für 2025 hat sich Chemnitz nun ein sogenanntes Garagen-Konzept vorgenommen, bei dem nationale und internationale Künstler aber auch die Bevölkerung der Stadt selbst Garagen öffnen und kreativ gestalten werden. Außerdem soll es ein Projekt mit dem Umland geben, bei dem an 4000 Orten Apfelbäume in einer Art Parade miteinander verbunden werden.
In den kommenden Jahren bis 2025 werden nun die Kulturministerkonferenz, aktuell unter der Leitung des bayerischen Kulturstaatsministers Bernd Sibler (CSU), im Einvernehmen mit der Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt, derzeit Monika Grütters (CDU), die weiteren Vorbereitungen koordinieren. Im Dezember wird in Slowenien entschieden, welches die zweite Stadt ist, die 2025 gemeinsam mit Chemnitz das Duo der Europäischen Kulturhauptstädte bilden wird.