Die Idee ist alles andere als neu, doch in Niedersachsen könnte sie möglicherweise Realität werden: die Legalisierung von Cannabis. Auf einen Antrag der FDP folgte gestern im Sozialausschuss des Landtags eine Anhörung mit zahlreichen Experten, von denen sich viele positiv gegenüber einer Abschaffung der Strafe für den Konsum dieser Droge äußerten. Allerdings wollen viele auf einer Altersgrenze beharren. Die Freigabe müsse zudem begleitet werden von umfangreicher Aufklärungsarbeit. Uneinig ist man vor allem in der Frage, wie mit dem Schwarzmarkt umzugehen ist.

Lesen Sie auch:

 

„Seien wir doch ehrlich: Jeder Schüler kann sich innerhalb von Stunden über dunkle Kanäle Cannabis besorgen. Und nur deshalb, weil die Droge illegal ist.“ Lennart Westermann, Leiter der hannoverschen Drogenberatungsstelle, findet deutliche Worte, warum er für eine Legalisierung der Droge Cannabis eintritt. Er vergleicht die Kriminalisierung des Pflanzenstoffs mit der Prohibition von Alkohol in den USA der zwanziger Jahre. „Damals gab es nur noch harten, selbstgebrannten Alkohol und zahlreiche Schwerstabhängige.“ Heute sind nach Schätzungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zwar nur etwa 5 Prozent der Deutschen abhängig von Cannabis, von einer Alltagsdroge kann daher nicht die Rede sein. Doch was in den Tütchen drin ist, die man beim Dealer an der Straßenecke kaufen kann, weiß keiner so richtig. „Das ist ein großes Problem, denn um noch mehr Profit zu machen oder die Wirkung zu verstärken, wird das Cannabis oft mit künstlichen Stoffen gestreckt“, sagt der Suchtmediziner Konrad Cimander. Auch er spricht sich für die Legalisierung der Droge aus und glaubt, die Suchtmedizin werde davon profitieren. „Cannabisabhängigkeit ist sehr schwer zu behandeln“, sagt Cimander. Eine Legalisierung bewirke aber, dass weniger Menschen abhängig würden, weil die Inhaltsstoffe dann geprüft seien.

Cannabis ist der Oberbegriff für Rauschmittel aus der weiblichen Hanfpflanze. Werden die Blüten zum Rauchen getrocknet, so spricht man von Marihuana. Das gepresste Harz der Pflanze wird dagegen als Haschisch bezeichnet. Tetrahydrocannabinol, kurz THC, heißt der in beiden Produkten enthaltende Stoff, der die raschhafte Wirkung hervorruft. Es wirkt auf den Körper enthemmend, aber auch beruhigend und schmerzlindernd, weshalb der Konsum zu medizinischen Zwecken seit kurzem legal ist. Martina Wenker, Präsidentin der niedersächsischen Ärztekammer, sieht eine komplette Legalisierung dennoch skeptisch. Über 80 weitere Cannabinoide neben THC habe die Wissenschaft in der Pflanze entdeckt, deren Auswirkung auf den Körper noch nicht untersucht ist. Dazu kämen die Züchtung auf einen immer höheren THC-Gehalt und die Mischung der Droge mit anderen Stoffen. Marihuana wird oft mit Zigarettentabak gemischt, der THC-Gehalt liegt bei 4 bis 8 Prozent. Bei Haschisch ist der THC-Gehalt höher. Hier wird allerdings oft mit synthetischen Produkten gestreckt.

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Einig sind sich die Experten, dass Jugendliche auch bei einer Legalisierung von Cannabis keinen Zugang zu der Droge haben dürfen. „Als Mediziner würde ich am liebsten alle Drogen bis zum 27. Lebensjahr verbieten“, sagt Cimander. Denn erst dann sei das Gehirn voll entwickelt und es bildeten sich kaum Rezeptoren für die Entwicklung einer Sucht. „Cannabis bremst nachweislich die geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die Gefahr der Entwicklung von Psychosen steigt enorm“, sagt auch Ärztekammer-Präsidentin Wenker. Deshalb müssten vor allem junge Menschen davor geschützt werden.

Drogenberater Westermann gibt jedoch zu bedenken, dass alles, was verboten ist, auf Jugendliche eine besondere Anziehungskraft habe. „Deshalb müssen wir auch über Cannabis massive Aufklärungsarbeit leisten.“ Er kritisierte, dass wegen des Verbots von Cannabis keine umfangreiche Präventionsarbeit möglich sei. „In den Schulen können wir kein Konsumprofil von den Schülern erstellen und nur reagieren, wenn wir anonyme Fragen zum Cannabis bekommen“, sagt er. Denn kein Schüler gebe freiwillig zu, dass er die verbotene Droge konsumiert. Gebe es dagegen ein Alter, ab dem Cannabiskonsum legal sei, so könne man die Jugendlichen vorher umfangreich über die Gefahren aufklären. Das nehme zudem noch teilweise den Reiz des Verbotenen. Dem stimmt auch Ulf Küch, Vorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, zu. „Der Alkoholkonsum bei Jugendlichen ist durch massive Aufklärung zurückgegangen, aber nicht durch ein Verbot.“ Ute Sonntag, Mitarbeiterin der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen, warb dafür, dann auch die Jugendlichen mit in die Gestaltung von Maßnahmen einzubeziehen. „Wenn das gelingen soll, muss die Expertenmacht bei dem Thema gebrochen werden“, sagte sie. Onlinemedien und Jugendkulturen müssten in die Präventionsarbeit einbezogen werden.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Soundcloud zu laden.

Inhalt laden

Allerdings gibt es auch bei einer Legalisierung weiterhin die Gefahr, dass Jugendliche in den Besitz von Cannabis kommen. Etwa, weil legale Geschäfte die Alterskontrolle vernachlässigten. Ein riesiges Problem bleibe dann der Schwarzmarkt. Kaum einer der Experten glaubt, dass eine Legalisierung dem Schwarzmarkt die Existenzgrundlage nehmen würde. Die einen sprechen sich für eine komplette Regulierung vom Anbau bis zum Verkauf aus, andere sind überzeugt, dass ein legales Angebot kontrollierter Ware ähnlich dem Alkohol von den meisten Konsumenten bevorzugt werde. „Die Debatte ist zwar ein Ritt auf der Rasierklinge, aber wir haben durch das Verbot in den letzten Jahrzehnten nicht viel erreicht“, sagt der Kriminalbeamte Küch. Drogenkonsumenten zeigten sich selten selbst an, eine hohe Konsumquote in der Polizeistatistik sei nur ein Zeichen für ein aktives Drogendezernat. Küch spricht sich überraschenderweise für die Legalisierung aus. „Wir müssen über Drogen offen und ehrlich reden. Nur eine Prävention und klare Regeln können etwas bewirken.“ Die beiden anderen Vertreter der Polizei, Dietmar Schilff als Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei und Alexander Zimbehl, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, teilen das Plädoyer des Kollegen nicht. „Nur, weil etwas polizeilich schwer zu verfolgen ist, muss es deshalb nicht legalisiert werden“, sagt Zimbehl. Der Zweck des Cannabisverbots sei zwar gescheitert, doch die Legalisierung bringe weitere Probleme mit sich, etwa im Straßenverkehr. „Wir müssten dann viel stärker auf den Straßen kontrollieren, wer unter Drogeneinfluss am Steuer sitzt“, sagt Schilff. (isc)