27. März 2024 · 
Inneres

Bundeswehr bereitet Niedersachsen auf einen hybriden Krieg vor

Die Zeitenwende in der Sicherheitspolitik nimmt weiter Gestalt an: In den nächsten Tagen wird die Bundeswehr den Entwurf für den Operationsplan Deutschland (Oplan Deu) vorstellen, der die Landesverteidigung wieder zur Kernaufgabe macht. Ein wesentlicher Bestandteil der neuen Verteidigungsstrategie ist die bessere Vernetzung des Militärs mit Sicherheitsbehörden, Blaulichtorganisationen und Betreibern der kritischen Infrastruktur. Was dabei auf Niedersachsen zukommt, hat Oberst Dirk Waldau bei einem Treffen mit rund 40 Vertretern in Hannover vorgestellt. Mit dabei waren unter anderem: DRK, Johanniter, Malteser, THW, NLBK, Feuerwehr, Polizei, Deutsche Bahn, der Flughafen Hannover, die Hafengesellschaft N-Ports, das Innenministerium sowie Energieunternehmen wie Enercity, EWE oder die WEVG Salzgitter. „Wir Militärs machen uns Sorgen. Wir glauben nicht, dass wir die Verteidigung Deutschlands allein bewältigen können. Wir brauchen Sie“, appellierte Waldau an die Anwesenden.

Oberst Dirk Waldau informiert die zivilen Organisationen in Niedersachsen über den Operationsplan Deutschland | Foto von Bundeswehr/Attena Nagahi

454 kritische Infrastrukturen (Kritis) hat die Bundeswehr in Niedersachsen bereits ausgemacht. Weil diesem Bundesland bei einem Nato-Truppenaufmarsch in Europa eine besonders wichtige Rolle zukomme, ist der Transport- und Verkehrssektor (119 Kritis) am stärksten betroffen. „Straße, Schiene, Schifffahrts- und Flugverkehr – von allem hat Niedersachsen reichlich und teilweise, wie beim Jade-Weser-Port, auch von erheblich überregionaler Bedeutung“, sagte Oberstleutnant Harald Osterholt. Zweitgrößter Angriffspunkt ist nach Einschätzung der Bundeswehr die Strom- und Gasversorgung mit 86 Kritis. „Die Energie ist eine der Achillesfersen einer modernen Industriegesellschaft, weshalb wir auf diesen Sektor auch einen besonderen Fokus legen“, berichtete der Chefplaner des Landeskommandos. Viele empfindliche Angriffsziele sind zudem in den Bereichen Gesundheit (83), Wasser (55) und Ernährung (50) vorhanden. Zumindest zahlenmäßig wenig Angriffspunkte gibt es bei Staat und Verwaltung (28), Medien und Kultur (16), Informations- und Kommunikationsstruktur (13) sowie im Finanz- und Versicherungswesen (4).

„Wir leben nicht im Krieg, aber auch nicht im Frieden. Wir leben unter realer Bedrohung“, sagte Osterholt. Deutschland sei das Ziel von Sabotage, Zersetzung und Spionage. Vor allem seit der russischen Annexion der Krim 2014 hätten die Angriffe in Form von „hybrider Kriegsführung“ zugenommen – sowohl auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene. Typisch für diese Art von Angriffen sei, dass sie kaum noch einem konkreten Angreifer zugeordnet werden könnten. So könne es sich um unabhängige Kriminelle, aber auch um Agenten im Auftrag einer Regierung handeln. „Russland, aber nicht nur Russland, betreibt das ganze Spektrum kinetischer und hybrider Kriegsführung“, sagte Oberst Waldau. Oberstleutnant Osterholt verwies auf den „Systemgegner“ China, der in seinem Militär schätzungsweise 90.000 IT-Experten beschäftigt. „Das ist etwa die Hälfte der gesamten Bundeswehr-Streitkräfte und die warten nicht nur die Computer“, sagte der Abteilungsleiter für Führung, Planung, Ausbildung und Organisation.

„Wenn man jede Maßnahme für sich alleine betrachtet, kann das zum Ergebnis führen: Das ist halt passiert. Erst wenn man mehrere Fälle in einen Kontext setzt, kann man Gegenmaßnahmen entwickeln“, erläuterte der Oberstleutnant. Neben Wirtschaftskrieg und Cyberangriffen dürfe man auch nicht die Rolle von Propaganda und Fake News unterschätzen. Osterholt nannte hier zum Beispiel die haltlosen Vergewaltigungsvorwürfe gegen Bundeswehrsoldaten in Litauen. „Das Narrativ, dass der deutsche Staat immer handlungsunfähiger wird und dass nichts mehr in diesem Land funktioniert, ist ebenfalls klar gesteuert“, ergänzte er. Charakteristisch für die hybride Kriegsführung sei der vernetzte Ansatz, dem man nicht mehr mit Ressortdenken begegnen könne. „Wenn man sich schützen will, muss man mit der Gegenseite Schritt halten“, betonte Osterholt. Durch den „Oplan Deu“ soll nun genau das geschehen. Der Umbau der Bundeswehr, der im September 2022 mit der Aufstellung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr (TerrFüKdoBw) begonnen hat, soll 2027 abgeschlossen sein. Der weitere Fahrplan für Niedersachsen sieht zunächst die Einrichtung von sieben Arbeitsgruppen vor, in denen militärische, zivilhoheitliche und zivilgewerbliche Vertreter sich untereinander abstimmen.

Dieser Artikel erschien am 28.3.2024 in Ausgabe #059.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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