25. Aug. 2022 · 
Justiz

Bürgermeister fordert nach Gullydeckel-Anschlag eine Verschärfung des Psychiatriegesetzes

Nach einem Mordversuch mit einem Gully-Deckel kritisiert Marcel Liftin die Behörden: Die Tat hätte verhindert werden können. | Foto: SPD Harsum/Anja Frick

Ein psychisch auffälliger Mann aus Harsum (Landkreis Hildesheim) sitzt seit dem Wochenende in Untersuchungshaft. Es gilt als sicher, dass der 50-Jährige am Sonnabend zwei Gullydeckel von einer Autobahnbrücke über die A7 geworfen hat, wodurch zwei Menschen schwer verletzt wurden. Aus Sicht des Harsumer Gemeindebürgermeister Marcel Litfin hätte das Verbrechen verhindert werden können. Der Politiker hatte den Landkreis kurz vor der brutalen Tat explizit vor dem 50-Jährigen gewarnt, der aber genauso wie die Staatsanwaltschaft keine Rechtsrundlage für freiheitsentziehende Maßnahmen gesehen hatte. „Wenn die Behörden, wie sie sagen, korrekt gehandelt haben, dann müssen die Rechtsgrundlagen geändert werden. Die Verwaltungsmitarbeiter müssen in die Lage versetzt werden, frühzeitig zu handeln“, sagt Litfin im Gespräch mit dem Rundblick. Der 36-Jährige kann zwar nachvollziehen, dass die Hürden für eine Zwangseinweisung im niedersächsischen Psychiatriegesetz (NPsychKG) hoch sein müssen. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass die Behörden in Fällen wie diesem keine Möglichkeit zum Eingreifen haben. „Bei so vielen Anzeigen und so vielen Indizien hätte ich mir ein vorzeitiges Handeln gewünscht“, sagt Litfin. Der 50-Jährige habe schließlich durch Diebstähle, Sachbeschädigungen oder Eingriffe in den Straßenverkehr immer wieder für Ärger gesorgt. Im Frühjahr 2022 werden ihm mindestens zwei Bombendrohungen zur Last gelegt. Zudem hatte Litfin eine Todesdrohung des Mannes zur Anzeige gebracht. Der 50-Jährige habe im Juni gedroht, dem Gemeindebürgermeister den Kopf mit einem Vorschlaghammer einzuschlagen.

Bürgermeister warnte Landkreis frühzeitig

Der Landkreis bestätigt die frühzeitige Warnung vor dem Täter: „Bürgermeister Litfin hat sich an die Kreisverwaltung gewandt und um Unterstützung bezüglich eines psychisch auffälligen Bürgers gebeten.“ Nach einem Telefonat mit der Ersten Kreisrätin Evelin Wißmann habe der Gemeindebürgermeister sein Anliegen nochmals in einer E-Mail dargestellt, die an den sozialpsychiatrischen Dienst weitergeleitet wurde. Im Anhang befand sich ein Gutachten über den Mann, das im Auftrag des Amtsgerichts im März 2022 erstellt wurde. „Laut dem genannten Betreuungsgutachten fanden sich bei dem Mann keine Hinweise auf Eigengefährdung wie Selbstverletzung oder Suizidalität. Eine Fremdgefährdung, mögliche ausgesprochene Drohungen oder fremdgefährdendes Verhalten oder Taten werden nicht erwähnt“, berichtet der Landkreis und betont: „Da zum Zeitpunkt der Mail von Herrn Litfin kein Akutereignis vorlag, gab es für ein aktives Eingreifen des sozialpsychiatrischen Dienstes keine Grundlage.“ Diese Aussage kann der Gemeindebürgermeister nicht nachvollziehen. „Es gab in der Vergangenheit mehrere Akutereignisse“, behauptet Litfin.

"Der Sozialpädagoge, der seit 2013 für den Mann zuständig ist, wurde von ihm nie mit Drohungen gegen Dritte konfrontiert."

Laut Kreisverwaltung wird der 50-Jährige bereits seit 2013 vom sozialpsychiatrischen Dienst betreut. „Dieser erhielt zu keiner Zeit einen Hinweis auf ein Akutereignis mit dem Bedarf einer sofortigen Intervention. Der Sozialpädagoge, der seit 2013 für den Mann zuständig ist, wurde von ihm nie mit Drohungen gegen Dritte konfrontiert – Hinweise auf Fremdgefährdung liegen damit nicht vor“, schreibt der Landkreis. Der zuständige Sozialarbeiter habe auch im Austausch mit dem rechtlichen Betreuer gestanden, zumindest bis das Amtsgericht die Betreuung im Juli 2022 aufgehoben hatte. Nach Angaben von Richter Stefan Kumme vom Landgericht Hildesheim hatten die Beteiligten die Betreuung auslaufen lassen, weil sich der Klient dem Hilfsangebot grundsätzlich verweigert hatte.

Gegen Angeklagten wurde bereits ermittelt

Der Hildesheimer Oberstaatsanwalt Constantin Rawohl bestätigt auf Rundblick-Anfrage, dass gegen den 50-Jährigen wegen des Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (Paragraph 111 Strafgesetzbuch) in zwei Fällen ermittelt wird. Eine Anklage sei zwar noch nicht erhoben worden, doch die Staatsanwaltschaft habe schon zu Beginn des Ermittlungsverfahrens geprüft, ob freiheitsentziehende Maßnahmen wie Untersuchungshaft (Paragraph 112f Strafprozessordnung) oder eine einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Paragraph 126a Strafprozessordnung) vorliegen. Eine U-Haft kam jedoch aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht infrage, weil der notwendige Haftgrund fehlte. „Das Gesetz gibt dabei durch einen sogenannten Straftatenkatalog vor, welche Straftaten im Einzelnen als ausreichend schwerwiegend anzusehen sind. Hierzu gehören etwa schwere Körperverletzungs-, Diebstahls- und Brandstiftungsdelikte. Ein dringender Tatverdacht für solche Straftaten bestand nicht“, sagt Rawohl. 

50-Jähriger bedrohte Bürgermeister

Auch eine Zwangseinweisung in der Psychiatrie hatte die Behörde ausgeschlossen. Diese komme nur in Betracht, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, dass im Hauptverfahren die spätere Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach Paragraph 63 StGB angeordnet wird. Die Chancen dafür seien aber schlecht gewesen. „Eine solche Unterbringung setzt unter anderem voraus, dass zu erwarten ist, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, weil von ihm rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt werden“, erläutert Rawohl und ergänzt: „Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen war zwar mit der Begehung weiterer Straftaten zu rechnen, jedoch nicht mit so erheblichen Straftaten, die eine Unterbringung gerechtfertigt hätten. Insbesondere war eine Umsetzung einer Bombendrohung nicht wahrscheinlich.“ Diese Aussage kann Gemeindebürgermeister Litfin nicht nachvollziehen. Es sei zwar nicht vorhersehbar gewesen, dass der Mann einen Gullydeckel auf ein fahrendes Auto wirft. Nach seiner Einschätzung habe der 50-Jährige aber unzweifelhaft das Potenzial zu gewalttätigen Handlungen gehabt. Zudem habe Litfin die Morddrohung gegen ihn nicht als harmlos betrachtet, da er sich jederzeit einen Vorschlaghammer hätte zulegen können. „So eine Drohung ist auch eine enorme Belastung. Aber es ist auch leider nicht die erste Morddrohung, die ich erhalten habe“, sagt der Bürgermeister der 12.000-Seelen-Gemeinde.

Dieser Artikel erschien am 26.8.2022 in Ausgabe #147.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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