12. Juli 2021 · 
Inneres

Bürgerbeteiligung statt Bürgerentscheide?

Soll man die Verantwortung für kommunale Entscheidungen stärker in die Hand der Bürger legen – und, wenn ja, wie soll das am besten geschehen? Dazu hat Prof. Arne Pautsch, Direktor des Instituts für Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Ludwigsburg, ein paar prägnante Thesen aufgestellt. Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick sagte er, Bürgermeister und Stadtverwaltungen dürften den Trend zur Beteiligung nicht übertreiben – „denn das kann auch nach hinten losgehen“. Dabei erwähnt er den Fall des vor einigen Jahren abgewählten Oberbürgermeisters von Ludwigsburg, der sich in seiner Amtszeit die Beteiligung der Einwohner auf seine Fahnen geschrieben und vielfältige Formen der Mitwirkung gestartet hatte. Am Ende drohe immer ein Glaubwürdigkeitsverlust, da eine Bürgerbeteiligung in großer Breite oft gar nicht umgesetzt werden könne, meint Prof. Pautsch und fügt hinzu: „Viel besser ist es, wenn man diese Formen auf spezielle, durchaus auch symbolträchtige Projekte beschränkt. Das sollten Vorhaben mit Strahlwirkung sein – und es sollte vorher genau geklärt werden, wie weit die Beteiligung der Bürger dabei gehen soll.“

Am Primat der gewählten Gemeindevertretung, des Rates, will der Direktor des Instituts für Bürgerbeteiligung festhalten. Es müsse klar sein, dass man mit allen möglichen Formen der Mitwirkung die kommunale Vertretung nicht aushebeln kann und darf. „Das gilt im Übrigen auch für selbstbewusste Oberbürgermeister und Bürgermeister, die in einer Art Koalition mit dem Volk versuchen, ihre Vorstellungen gegen einen widerstrebenden Rat durchsetzen zu wollen.“ Da schon die meisten Kommunalverfassungen der Bundesländer klar vorschreiben, wie die Kompetenzen des Stadtparlamentes aussehen, müsse jeder Verwaltungschef gewarnt sein. Wenn er dennoch versuchen wolle, die Bürger gegen den eigenen Rat zu mobilisieren, dann sei die Gefahr eines Scheiterns dieser Strategie hoch – denn der Rat kann auf seine Kompetenzen pochen und das letzte Wort in vielen Fragen behaupten. „Wenn die Bürger aber merken, dass sie nur Spielball in einem Konflikt waren und die Mitwirkung gar nicht ernsthaft gewollt war, schafft das Frustration.“ Man kann diese Aussagen als Kritik am Plan der niedersächsischen Koalition interpretieren, die eine „Bürgerbefragung“ einführen will – das Recht des Rates, mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden, dass eine Streitfrage per Bürgerentscheid geklärt wird.

Trotzdem ist Prof. Pautsch ein ausgewiesener Anhänger von Bürgerbeteiligung. Eine Gemeinde, die diesen Weg gehen wolle, müsse nur ein paar wichtige Regeln beherzigen. Die erste laute, man dürfe sich nicht verzetteln und nicht über riesige und komplexe Zukunftsprojekte reden. Lieber solle es um beispielhafte, begrenzte Formen gehen. Das könne beispielsweise eine Industriebrache in der Gemeinde sein, deren künftige Nutzung nicht feststeht. Wenn man zur Klärung dieser Frage die Einwohner einbeziehen wolle, sei es selbstverständlich, dass der Rat sich in der Phase der Entscheidungsfindung zurückhalten müsse. Er müsse der Versuchung widerstehen, durch Vorfestlegungen die Entwicklung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Eine andere wichtige Vorgabe sei, dass sich der Rat vorher auf jeden Fall verpflichten müsse, das Resultat der Bürgerbeteiligung ernsthaft und intensiv zu diskutieren und als Grundlage für die eigene abschließende Entscheidung zu nehmen. „Wichtig ist, dass die Bürger spüren, wie ernst man ihre Vorschläge nimmt.“ Sollte der Rat als letztlich entscheidendes Gremium den Vorschlag der Bürgerbeteiligung verwerfen, müsse er dies auch ausführlich begründen. Umgekehrt gelte aber auch: Wenn die über eine Bürgerbeteiligung favorisierte Lösung selbst neues Konfliktpotenzial enthält, müsse man den Ratsmitgliedern auch zubilligen, bei der Entwicklung des Vorschlags selbst entscheidend mitzuwirken.

Die Masse der Bürgerentscheide, sagt Prof. Pautsch, wende sich gegen bereits getroffene Entscheidungen der Politik, etwa gegen Bauvorhaben. Dort sei schon eine Verhärtung festzustellen. In diesen Fällen könne eine frühzeitige und rechtzeitige Bürgerbeteiligung den Sinn haben, die Belange der Bürgergruppen in die Planung einzubeziehen und eben diese spätere Verhärtung von vornherein zu vermeiden. Es gebe aber auch die positiven, vorbildlichen Bürgerentscheide. Diese bezögen sich auf Vorhaben, über die bereits lange und breit in der Kommune gesprochen wurde – und in denen kein Bürger mit einer knappen Entscheidung „Ja oder Nein“ überfordert ist.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #130.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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