Blühende Wegstreifen sollen den Insekten eine neue Heimat bieten
Noch vor einigen Jahren wäre es recht unwahrscheinlich gewesen, dass ein Umweltminister sich am „Tag der biologischen Vielfalt“ in die Öffentlichkeit stellt und ein großangelegtes Landesprogramm für Insekten verkündet. Doch spätestens seit der aufsehenerregenden Studie aus dem vergangenen Jahr, in der Krefelder Wissenschaftler den Verlust von 80 Prozent der Biomasse in Deutschland innerhalb von 20 Jahren nachwiesen, ist das Insektensterben auf der umweltpolitischen Agenda weit nach vorn gerückt. „Das Thema Artenvielfalt, vor allem bei Insekten, hat in den vergangenen Monaten stark an Emotionalität zu genommen“, sagte Lies zum gestrigen „Tag der Vielfalt“. Deshalb müsse nun ein landesweites Aktionsprogramm zur Förderung der Insektenvielfalt in Niedersachsen entwickelt werden.
In Niedersachsen leben 30.000 Insektenarten
Ganz von vorn startet der Umweltminister dabei nicht, in das Programm werden bestehende Teile wie etwa das Blühstreifen-Projekt integriert. Damit hatte schon der ehemalige Landwirtschaftsminister Christian Meyer versucht, die Landwirte mit finanziellen Anreizen dazu zu bewegen, Randstreifen an ihren Feldern unbewirtschaftet zu lassen und stattdessen Wildblumen zu säen. Dadurch sollten Insekten und insbesondere Honigbienen mehr Nahrungsquellen und Unterschlupfmöglichkeiten finden. Lies möchte, dass künftig nicht mehr zuerst und allein an Honigbienen gedacht wird, wenn es um Insektensterben geht: „Allein in Niedersachsen leben 30.000 verschiedene Insektenarten.“
Wegeränder können auch ohne Mähen gepflegt aussehen
Lies weitet das Blühstreifen-Konzept deshalb auf Wegeränder aus und will die Gemeinden auffordern, an ihren Straßen- und Wegerändern das Mähen künftig sein zu lassen. „In Deutschland sind wir daran gewöhnt, dass etwas nur ordentlich aussieht, wenn es hergerichtet, also gemäht ist“, sagt der Umweltminister. Doch das gehe auch anders. „Indem man dort zum Beispiel Saatmischungen für Wildblumen pflanzt, sehen die Wegeränder gepflegt aus, obwohl sie nicht gemäht werden.“ Das spare der Gemeinde zudem auch Geld. Und für die Insekten habe es einen enormen Effekt. „Alle Wegeränder sind zusammengenommen so groß wie sämtliche Naturschutzflächen im Land“, sagt Lies.
Darüber hinaus müssten auch Flächen der Natur zurückgegeben werden, die nicht mehr industriell oder wohnwirtschaftlich genutzt werden. „In Deutschland werden 70 Hektar Fläche täglich neu verbraucht, etwa für den Bau einer Fabrik oder für Wohnungen“, sagt Lies. In Niedersachsen seien es etwa 9,6 Hektar pro Tag. „Aber es werden auch Flächen wieder aufgegeben, weil Gebäude nicht mehr genutzt werden.“ Diese müsse man wieder für die Natur aufbereiten und dürfe sie nicht einfach sich selbst überlassen.
Landwirtschaft nicht den „Schwarzen Peter“ zuschieben
Mit voller Kraft vorpreschen will Lies aber beim Insektenschutz auch nicht. So verteidigt er die Landwirtschaft als Branche, in der mittlerweile oft entschieden werden muss, ob sich ökologische Interessen mit den wirtschaftlichen Zwängen noch in Einklang bringen lassen oder nicht. Etwa bei der Wahl der Feldfrüchte, der Nutzung von Wiesen oder beim Einsatz von Insektiziden. „Hier darf man den Landwirten nicht den Schwarzen Peter zuschieben, denn die Höfe stehen unter immer größerem Druck und das vorrangige Ziel der Landwirte ist natürlich, die eigene Existenz zu sichern“, sagt Lies. Wenn man daher mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft erreichen wolle, müsse man den Landwirten mehr Hilfestellung und finanzielle Förderung geben. In einigen Fällen müssten jedoch auch Verbote her. „Sonst lässt sich die Marktmacht von umweltschädlichen Mitteln wie Glyphosat nie brechen.
Nur ein Verbot kann dabei helfen, umweltverträglichere Mittel auf den Markt zu bringen und dort zu etablieren“, sagt Lies. Darüber hinaus müsse gründlich untersucht werden, inwieweit Landwirtschaft und Chemikalien für das Insektensterben verantwortlich sind. „Die Krefelder Studie sagt schließlich nur, dass Insekten verschwinden. Aber nicht welche und wo das unter welchen Bedingungen besonders häufig passiert.“ Der Umweltminister kündigte an, ein Insektenmonitoring starten zu wollen, um die künftige Ausrichtung des Aktionsprogrammes zu bestimmen.