20-Stunden-Einsatz auf dem G20-Gipfel – und dann noch freundlich bleiben, wenn der Bürgerkontakt alles andere als freundlich ist? Das fällt leichter, wenn man sich wohl in der eigenen Haut fühlt. Oder in der Dienstkleidung. Bisher war das oft nicht der Fall, wie Studenten und Lehrende der Hochschule Hannover in langen Gesprächen mit Polizeibeamten herausgefunden haben. In dem Projekt „Poli-Corporate“ forscht der Studiengang Modedesign in Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen Innenministerium an der Polizeiuniform der Zukunft. Ihre Arbeit könnte, wünscht sich Professorin Martina Glomb, wegweisend sein für Dienstkleidung – „Corporate Fashion“ – in vielen anderen Berufen. Im Museum „August Kestner“ in Hannover wurde das Projekt kürzlich vorgestellt.

Styling-Experiment: Studierende der Hochschule Hannover in neuen Polizeihemden. | Foto: Studio Tusch

Als der Designer Heinz Oestergaard die Uniformen für die alte Bundesrepublik einst in Bambus-Farbe und Grün entwarf, wollte er einen ganz anderen Look als den alten Waffenrock. Doch für die Beamten hieß das: Zähne zusammenbeißen. „Die Uniform hat sich angefühlt wie Teichfolie. Sie hat nicht gewärmt und nicht geschützt“, berichtet Thomas Prange. Der Polizeibeamte ist im Innenministerium verantwortlich für Einsatztechnik und Bekleidung. Das heißt, er kümmert sich um Boote und Waffen ebenso wie um Hemden und Hosen.

Einen einzigen Vorteil habe es bei der alten Uniform gegeben, verrät er: „Kaffeeflecken hat man darauf nie gesehen.“ Im Jahr 2009 kam dann der Paradigmenwechsel in Niedersachsen: Luigi Colani entwarf die neuen Uniformen für die Firma Tom Tailor im europaweit einheitlichen Blau, sportlich-dynamisch statt bürgernah-gemütlich.

„Wir präsentieren keine fertige Designeruniform“

„Das machen wir anders“, erklärt Martina Glomb: „Wir präsentieren keine fertige Designeruniform, sondern stellen unauffällig Ideen zur Verfügung, was man verbessern kann. Als erstes haben wir die Polizisten gefragt, was sie sich wünschen.“ Für die angehenden Designer war das Forschungsprojekt eine seltene Gelegenheit, systematisch Rückmeldungen von denen zu sammeln, die die Kleidung im Alltag tragen. Denn ansonsten werden unzweckmäßige Outfits einfach entsorgt, ohne dass die Produzenten von dem Problem erfahren.

Professorin Martina Glomb | Foto: Hochschule Hannover

„Unsere Uniform ist nach dem Zwiebelprinzip aufgebaut“, erklärt Thomas Prange. Wer genug Kleidungsstücke übereinander zieht, dem oder der ist irgendwann warm. Nur kann man sich dann kaum noch bewegen. Ein weiteres Problem: Bei Einsätzen kommt die Dienstkleidung mit Körperflüssigkeiten aller Art in Berührung, nach jeder Schicht muss sie in die Wäsche. Dafür sind die Beamten selbst verantwortlich. In der heimischen Waschmaschine verblasst die Farbe schneller, als der Polizei lieb ist, von Navy in Richtung Himmelblau.

„Würden Sie diese Hose im Laden kaufen?“

Martina Glomb zeigt eine Hose, wie sie aktuell von Beamten getragen wird: kastenförmiger Schnitt, null Flexibilität. „Würden Sie diese Hose im Laden kaufen?“, fragt sie und braucht nicht erst auf Antwort warten. Die Studenten haben Hüfte und Knie als die Zonen identifiziert, wo mehr Bewegungsfreiheit nötig ist. Normalerweise kommt in der Modeindustrie für diesen Zweck Elasthan zum Einsatz. Doch das entspricht nicht dem Grundsatz, den die Hochschule seit langer Zeit verfolgt: den Teufelskreis aus Ressourcen- und Materialverschwendung, kurzer Tragezeit und schneller Entsorgung durch einen Recycling-Kreislauf zu ersetzen. Deswegen werden in den Prototypen vor allem Naturfasern verwendet, die sich nachhaltig gewinnen und später recyceln lassen. Die Bio-Baumwolle wird spiralförmig versponnen, so dass der Stoff auch ohne Chemiefasern elastisch wird.

Das Problem der Entsorgung von Dienstkleidung, die ihren Zweck nicht mehr erfüllt, ist damit noch nicht gelöst, räumt Martina Glomb ein. Kleiderkammern, wo kleine Blessuren repariert wurden, hat die Polizei schon lange nicht mehr. Ausgemusterte Uniformen können auch nicht als Second-Hand-Ware verkauft, sie müssen vernichtet werden. „Immerhin werden sie verbrannt und nicht wie die meisten Textilien einfach vergraben.“ Um etwas zu verändern, meint Glomb, müsse man an irgendeiner Stelle des Recycling-Kreislaufs eben anfangen. Zum Beispiel mit Jacken aus reiner Wolle.

Wohin mit dem Merkheft?

Eine Uniform ist nicht nur die optische Ausgestaltung behördlichen Handelns. Zunehmend ist sie auch eine Art tragbare Einsatzzentrale. In oder an ihr müssen digitale Geräte, analoge Unterlagen und diverse „FEM“, Führungs- und Einsatzmittel, Platz finden. Das ungelöste Problem vieler Beamtinnen: Wohin mit dem Merkheft? „Steckt man es in die Brusttasche, dann funktioniert die weibliche Brust als eine Art natürliche Schanze“, erklärt Maija Schultz, Designerin und Mitarbeiterin in dem Projekt. Die Studenten haben daher für die Beamtinnen Blusen entwickelt, bei denen die Anatomie schlauer genutzt und eine Brusttasche unterhalb der Brüste platziert ist.

Foto: Studio Tusch

Uniform soll allen Figurtypen gerecht werden

Ebenso soll die Uniform unterschiedlichen Figurtypen gerecht werden. Normalerweise kommen im Lauf des Berufslebens ein paar Kilo dazu. Deswegen „wächst“ eine funktionale Dienstkleidung mit. Gut auszusehen ist für die Beamten kein Selbstzweck, erklärt Thomas Prange: „Die Uniform soll keine optische Barriere zu den Bürgern sein. Wir wollen angesprochen werden.“

Aus der Kooperation ist keine neue Uniform entstanden. Die Ideen der Studenten sind in Prototypen für einzelne Kleidungsstücke zusammengeflossen, einem Lookbook und einem animierten Filmclip. „Uns war zunächst wichtig, eine Bestandsaufnahme zu haben, was wir verbessern können“, sagt Thomas Prange. Im nächsten Schritt könne man daran gehen, einzelne Uniformteile umzugestalten. „Das Hemd ist wichtig, eine Gala-Uniform ist wichtig.“ Für die nächsten Jahre, meint er, hat er eine lange To-do-Liste mitgenommen. Wenn die Entwürfe der Studenten tatsächlich in die Produktion gehen sollten, dann werden nicht nur niedersächsische Beamte davon profitieren. Denn das Logistik Zentrum Niedersachsen beliefert auch diverse andere Landespolizeien in Deutschland.

Die Ergebnisse des Projekts „Poli-Corporate“ werden bei einem Fotoshooting im Reitstall gezeigt,. | Foto: Stefan Koch