2. Feb. 2021 · 
Bildung

Bischof Meister sorgt sich um den Austausch mit anderen Religionen

Hannovers Landesbischof Ralf Meister beklagt, dass aufgrund der Corona-Beschränkungen der Dialog zwischen den Religionen Schaden nehmen könnte. „Was uns plagt, ist, dass sich die interreligiösen und interkonfessionellen Kontakte in dieser Zeit nicht weiterentwickeln“, sagte er bei einer Online-Veranstaltung der Hanns-Lilje-Stiftung. Der Dialog sei dort besonders schwer, wo unterschiedliche Sprachen, Kulturen oder Liturgien aufeinanderträfen. Da sei es von Vorteil, wenn man im selben Raum sitzen kann, meinte der Bischof der größten evangelischen Kirche in Deutschland. Mit Blick auf die Zeit nach der Corona-Pandemie sagte Meister: „Es wird viel Energie brauchen, die wir in die Beziehungen wieder investieren müssen.“ Meister äußerte sich im Gespräch mit Altrabbiner Gábor Lengyel von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, anlässlich dessen 80. Geburtstags die Lilje-Stiftung zu einer digitalen Veranstaltung mit rund 100 Gästen geladen hatte. Lengyel engagiert sich bereits seit Jahrzehnten für den christlich-jüdischen Dialog in Niedersachsen. Er betonte, wie wichtig es sei, miteinander im Austausch zu bleiben – selbst dann, wenn es besonders schwer sei, weil es viel Gegenwind aus den eigenen Reihen gebe. Er selbst erlebte dies beispielsweise im Jahr 2017, dem Jahr des großen Reformationsfestes. Lengyel hatte sich kritisch zum Reformator Martin Luther geäußert, der nicht nur die Bibel ins Deutsche übersetzt, sondern auch antisemitische Schriften verfasst hatte. Lengyels Stellungnahme löste damals eine breite Debatte aus, woraufhin Meister zu einem neuen Veranstaltungsformat einlud. Seitdem findet alljährlich am Vorabend des Reformationstages ein christlich-jüdischer Austausch statt. Lengyel war jedoch aus der jüdischen Community heraus scharf angegangen worden für seine Teilnahme an einer Veranstaltung im Kontext des Reformationsfestes, wie der Altrabbiner noch einmal schilderte.

    Für Lengyel ist Antisemitismus längst nicht die einzige Bedrohung, gegen die sich die Gesellschaft entschieden zur Wehr setzen müsse. Im Gespräch mit Bischof Meister formulierte er den Wunsch, dass sich die Menschen stark dafür engagieren sollten, die Demokratie zu verteidigen. Besondere Sorge bereiten ihm dabei die sogenannten „illiberalen Demokratien“, wie sie beispielsweise Viktor Orbán in Ungarn ausgerufen hat. Aber auch bei den Bildern vom Sturm auf das US-Kapitol habe er Angst bekommen. Die Entwicklungen in Ungarn aber auch in Israel und Deutschland beobachtet Lengyel ganz genau und sehr kritisch, denn diese Länder markieren Wegmarken seines bewegten Lebens: Geboren in Ungarn, verlor er schon bald seine Mutter, die zunächst ins Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt wurde und wenig später bei einem Transport zum Arbeitsdienst ums Leben kam. Mit nur 15 Jahren machte sich Lengyel auf die beschwerliche Flucht nach Wien. Im Online-Gespräch mit Bischof Meister sagte er, dass er die sogenannte Balkan-Route, über die auch zahlreiche Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland gelangt sind, sehr gut kenne. Eine weitere Spitze gegen die ungarische Regierung und jene Unterstützer des Kurses von Viktor Orbán, die im Sommer 2015 die Balkan-Route um jeden Preis schließen wollten. Von Wien aus reiste Lengyel aber rasch weiter nach Israel, wo er sich zum Mechaniker ausbilden ließ. Dort entwickelte er ein Gefühl von Zugehörigkeit und auch Nationalgefühl, erzählt er heute – fügt jedoch an, dass er das schon bald deutlich kritischer bewertete.

    1965 stand er schließlich vor einer schwierigen Entscheidung: Er erhielt die Möglichkeit, mit einem Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst nach Deutschland zu gehen. Freunde sagte ihm damals, so berichtete er, er dürfe nicht in das Land gehen, in dem seine Mutter umgebracht worden sei. Doch ein Rabbiner gab Lengyel den Rat: „Nach Deutschland zu gehen, ist für dich eine Herausforderung – also geh!“ Seine Lebensgeschichte machte Gábor Lengyel zu einem kritischen Menschen und zu jemandem, der beständig Brücken baut. „Meine Heimat ist dort, wo meine Freundinnen und Freunde sind“, sagt Lengyel heute. Im Dialog mit Landesbischof Meister sagte Lengyel über sich selbst: „Ich musste immer kämpfen. Ich hatte keine reichen Eltern, keine reichen Großeltern. Ich warte nicht auf Geschenke von anderen, sondern denke positiv.“ Mit dieser Einstellung brachte er es schließlich auch zum Manager, unter anderem bei IBM. Erst nachdem er seine Karriere in der Wirtschaft beendet hatte, studierte Lengyel und wurde schließlich Rabbiner. Der christlich-jüdische Dialog war ihm seit langem ein Anliegen, auch weil er sich gesagt hat, wenn er nach Deutschland gehen und dort leben wolle, müsse er sich auch in Deutschland engagieren – im Judentum und im Dialog. Heute rät er jedem: „Wer eine Verbesserung der Welt will, muss sich politisch engagieren.“

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #020.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail
Alle aktuellen MeldungenAktuelle Beiträge
Foto: GettyImages/geckophotos
Bremst das Kabinett Lies den Sparkurs? Es gibt Anzeichen für neue Schulden am Horizont
13. Mai 2025 · Klaus Wallbaum3min
Auf der Dachterrasse der Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover wachsen Tomaten. Das Gotteshaus wurde zum Studentenwohnheim. | Foto: Beelte-Altwig
Expertin warnt die Kirchen: Verscherbelt nicht alle Immobilien, sondern plant umsichtig
13. Mai 2025 · Anne Beelte-Altwig3min
Am zweiten Prozesstag ergreift der Angeklagte Yashar G. das Wort. | Foto: Wallbaum
Angeklagter Staatsanwalt G. sagt: Das LKA will den Verdacht von sich auf mich lenken
12. Mai 2025 · Klaus Wallbaum4min